Chinas Ballon wirft dunkle Schatten

In den USA überbieten sich Demokraten und Republikaner in scharfer Rhetorik gegenüber Peking

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.

Was das Pentagon eindeutig als Überwachungsballon zur Spionage identifiziert haben will, ist nach chinesischen Angaben bloß ein ziviles meteorologisches Forschungsgerät, das vom Kurs abgekommen ist. Aber so harmlos der Vorgang aus Sicht der Chinesen auch sein mag – in den Vereinigten Staaten hätte ein echtes UFO nicht mehr Aufsehen erregen können.

Die Wirkung des Ballons auf die Psyche der US-Amerikaner ist eindeutig auch eine Nachwirkung der Terroranschläge vom 11. September 2001, als der Luftraum ebenfalls plötzlich und unerwartet verletzt wurde. Unmittelbar nach der Aussage des Pentagons erklärten die Chinesen, dass sie für Spionagezwecke kaum auf eine so veraltete Technologie zurückgegriffen hätten.

Ballons als Vehikel für Spionage wurden zuerst nach der Französischen Revolution und besonders während des US-Bürgerkriegs wurden sie intensiv eingesetzt. Doch die Fluggeräte haben durchaus ein Comeback, auch im Zeitalter der Satelliten: Sie sind billig, mittels Computern steuerbar, können einen Ort länger beobachten als Satelliten und sind für Radar schwer zu erkennen. Im Jahr 2019 setzte das FBI 25 experimentelle Ballons für die Überwachung des Mittelwestens ein: auf der Suche nach den Routen des illegalen Drogenhandels sowie anderen Bedrohungen der Sicherheit der USA.

Das Pentagon gibt unumwunden zu, dass kein relevanter nachrichtendienstlicher Schaden durch die mögliche Spionage des chinesischen Ballons zu vermuten ist. Der Schaden neben der Verletzung des Hoheitsgebiets ist somit vor allem symbolisch, muss aber trotzdem ernst genommen werden.

Die unmittelbare Folge war diplomatischer Natur. Seit fünf Jahren war kein US-Außenminister mehr in Beijing, wegen der chinesischen Brüskierung von Trumps Außenminister Mike Pompeo und zuletzt aufgrund der Covid-Pandemie. Eigentlich war für diesen Sonntag der Beginn eines zweitägigen Staatsbesuchs von US-Außenminister Antony Blinken in Beijing geplant, nachdem Biden und Xi im November auf Bali versucht hatten, ihre Beziehungen mindestens zu stabilisieren. Nachdem das Pentagon am Donnerstagabend den Spionage-Ballon über Montana gemeldet hatte, kam die Biden-Regierung wenige Stunden später unter Druck. Der rechtskonservative republikanische Senator aus Arkansas, Tom Cotton, verlangte, dass Blinkens Reise abgesagt würde. Andere Republikaner wie der Kongressabgeordnete Michael McCaul aus Texas kritisierten hingegen Blinkens Absage: Dieser hätte nach Beijing reisen sollen, um Xi die Leviten zu lesen.

Dann war die Frage, was aus dem Ballon selbst werden sollte: Das Pentagon wollte ursprünglich das Luftschiff nicht abschießen, aus Sorge vor herabstürzenden Teilen auf Städte und Menschen. Andere hingegen wollten den Störenfried sofort vom Himmel holen. Der Sheriff von York County in South Carolina warnte auf Twitter: »Versuchen Sie auf keinen Fall den Ballon abzuschießen. Ihre Gewehrkugeln werden das Ziel auf keinen Fall erreichen! Handeln Sie verantwortungsvoll. Was nach oben geht, kommt auch wieder runter, auch Ihre Kugeln.«

Dann versicherte plötzlich Präsident Joe Biden etwas kryptisch: »Wir werden uns darum kümmern.« Diesen Worten folgte bald die Tat vor der Küste Nord-Carolinas, innerhalb von US-Gewässern: Am Samstag wurde der Ballon von einem F-22-Kampfjet mit einer Sidewinder-Rakete abgeschossen.

Eine wachsende Skepsis gegenüber China ist eine der wenigen überparteilichen Übereinstimmungen überhaupt: Niemand in Washington will gegenüber Beijing als zu weich erscheinen. Es ist eher ein Überbietungswettbewerb zu beobachten. Da das Sicherheitsproblem durch den Ballonflug kaum ernst gewesen ist, lässt die starke politische Reaktion auf eine vergleichsweise Lappalie aufhorchen.

Die USA sind traditionell nicht weniger ein Binnenreich als das chinesische Reich der Mitte. Die US-Grenzen mussten vor dem neuen Millennium nie ernsthaft verteidigt werden, mit Ausnahme des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor 1941. Die USA sind also bis heute in gewisser Weise eine abgeschottete Welt. Entsprechend sensibel wird auf Grenzverletzungen reagiert. Und nach den schwierigen Jahren der Corona-Epidemie kommt die alte Angst vor der »gelben Gefahr« zum Tragen. So satirereif einiges an dieser Ballon-Episode auch anmutet – ihre Folgen sind durchaus ernst zu nehmen. Der Analyst Bill Bishop schrieb auf Twitter, dass er denke, dass Chinas Kommunistische Partei die Brisanz dieses Ereignisses deutlich unterschätze: »Es verdunkelt eine bereits stark düster werdende Stimmung im Kapitol.« Nachdem Peking mit der hauptsächlich an die eigene Bevölkerung gerichteten aggressiven »Wolfskrieger«-Rhetorik vorgelegt hat, ziehen die USA mit scharfen antichinesischen Tönen nach. Auch diese sind weniger für die Weltöffentlichkeit als für die »Heimatfront« gedacht.

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