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- Bestattungsbranche im Wandel
Meister für das Abschiednehmen
Der Beruf des Bestatters hat sich sehr verändert. Nachwuchssorgen gibt es nicht
Um in die Sarghalle zu gelangen, muss Marvin Vemmer eine Treppe runtergehen, die in den Keller führt. »Das hier ist der Ausstellungsraum«, erklärt der junge Mann, während er mit der Hand die Tulpenschrauben eines Sargoberteils aufdreht. »Die meisten Leute haben noch nie so viele Särge auf einmal gesehen. Aber letzten Endes kommen sie ja hier runter, um einen Sarg auszusuchen.«
Marvin Vemmer arbeitet in der vierten Generation für das Bestattungsunternehmen Vemmer, ein Familienbetrieb in Bielefeld. Den Abschluss als Bestattungsfachkraft hat er vor zehn Jahren gemacht. Aus der Praxis weiß er: »Wenn jemand zum Bestatter kommt, dann erwartet er eine friedliche und einfühlsame Atmosphäre.«
Der Sarg öffnet sich mit einem Rumpeln. »In jedem Fall machen wir den Verstorbenen oder die Verstorbene sauber«, sagt er. »Wir kleiden die Person ein, mit den Sachen, die sie gerne anhatte.«
Das Waschen findet auf einem Aluminiumtisch statt. Die Oberfläche lässt sich einfach desinfizieren. »Manche Leute denken, ein Bestatter sähe so aus wie in den Comics von Lucky Luke, mit einer Krähe auf der Schulter.« Marvin Vemmers amüsiertes Lachen hallt durch den fensterlosen Raum. »Wir können uns gut anpassen. Es ist ja unsere Aufgabe, es den Angehörigen so einfach wie möglich zu machen. Wenn dann zum Beispiel Leute mit dem Charisma eines Campingplatzes zu uns kommen, dann stellen wir uns gerne darauf ein und geben uns ein klein wenig mehr salopp.«
Die meisten Menschen in Deutschland möchten nach ihrem Tod verbrannt werden. Weniger als die Hälfte der jährlich rund 950 000 Verstorbenen bekommt eine Erdbestattung. Das ist aber nur eine von vielen Veränderungen, auf die sich die Branche einstellen muss.
Früher galt Bestatter als Männerberuf. Das nimmt Marvin Vemmers Kollegin, die 21-jährige Xenia Böhmer, heute anders wahr. Sie ist in ihrem zweiten von drei Ausbildungsjahren. »Der Tischler im Dorf ist schon lange nicht mehr automatisch auch Bestatter. Unter den Tischlern gab es früher fast nur Männer. Aber mittlerweile sehe ich an den Berufsschulen, dass das Verhältnis im Bestattungswesen mindestens ausgeglichen ist.«
Tatsächlich lassen sich heute mehr Frauen für den Beruf ausbilden als Männer. Im Jahr 2021 waren von den 650 auszubildenden Bestattungsfachkräften in Deutschland 54 Prozent weiblich. Voraussichtlich wird der Anteil der Frauen in Zukunft weiter steigen.
Um im Bestatterwesen tätig zu sein, ist eine abgeschlossene Ausbildung keine Pflicht. Wer möchte und einen Gewerbeschein vorzeigen kann, darf ein Bestattungsunternehmen gründen. Aber einige Voraussetzungen sollte man schon mitbringen, meint Xenia Böhmer: »Wir arbeiten hier jeden Tag mit Toten. Damit muss man umgehen können, egal was man glaubt, wie es für den Verstorbenen nach dem Tod weitergeht. Sterben muss halt jeder von uns. Ich finde, es ist eine schöne und dankbare Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Mensch einen würdevollen Abschied bekommt.«
Das Bestattungsunternehmen Vemmer ist seit Jahren Ausbildungsbetrieb und leistet damit einen wichtigen Beitrag für die gesamte Branche. Bestattermeister Thomas Vemmer kümmert sich gerne um die Nachwuchsförderung. »Die Zusammenarbeit mit Frau Böhmer ist sehr angenehm. Sie unterstützt uns nach besten Kräften, ist schulisch gut und eine tolle Mitarbeiterin.«
Bis ins Jahr 2007 gab es keinen staatlich anerkannten Ausbildungsgang. Thomas Vemmer erinnert sich: »Mein Vater hat Anfang der 80er Jahre Lehrgänge besucht und sich dann zertifizieren lassen. Das steckte die Ausbildung waren noch in den Kinderschuhen.«
Heute widmet sich ein Teil der Ausbildung dem Umgang mit der Institution Kirche. Doch die Bedeutung dieser Module nimmt ab, weil die Anzahl kirchlich begleiteter Bestattungen seit Jahren rückläufig ist. Weniger als die Hälfte der Beisetzungen finden noch nach einem kirchlichen Ritual statt. Auch deshalb entwickelt sich der Beruf immer mehr in Richtung eines Managements von Veranstaltungen im Trauerfall. Bestatter kümmern sich um die Dekoration von Räumen, die Musik und das Catering. »Momentan scheint es im Trend zu liegen, Bestatter zu werden«, meint Thomas Vemmer. »In den letzten Jahren haben wir mehr Bewerbungen bekommen, als wir einstellen können.«
Für junge Leute bietet der Beruf handfeste Vorteile: Er ist krisenfest – denn gestorben wird immer. Man sollte flexibel sein, aber im Prinzip gibt es geregelte Arbeitszeiten. Die Tätigkeiten sind sehr vielseitig. Technische Fragen beim Ausheben von Gräbern spielen genauso eine Rolle wie die Psychologie des Trauerns oder die hygienische Totenversorgung. Diese Vielfalt findet Xenia Böhmer gut: »Man ist mal im Büro, mal draußen. Man kann kreativ sein, aber muss auch sehr genau arbeiten.«
Auf jeden Fall kann sich Xenia Böhmer weitgehend sicher sein, dass sie in diesem Berufsfeld immer Arbeit haben wird. Dabei ist ihr besonders wichtig, dass sie einen positiven Beitrag in der Begleitung trauernder Menschen leisten kann: »Es gibt halt Leute, denen fällt es leichter, mit dem Tod eines geliebten Menschen umzugehen. Anderen fällt es schwerer. Deshalb bin ich froh, dass es heute viele Möglichkeiten gibt, sich beraten zu lassen, ob das jetzt die Notfallseelsorge ist oder eine Sterbeamme. Da können wir eine erste Orientierung geben, damit die Menschen ihre Trauer nicht einfach runterschlucken, sondern wirklich verarbeiten.«
Die Ausbildungssituation im Bestattungswesen ist paradox: Einerseits können die Unternehmen nicht so viele Ausbildungsstellen zur Verfügung stellen, wie nötig wären, um allen geeigneten Bewerbern ein Angebot zu machen. Andererseits gibt es mit Blick auf die Zukunft viel zu wenige Auszubildende. Zudem werden die Anforderungen größer. »Viele Menschen haben eine Erwartungshaltung, wenn sie zu uns kommen«, meint Xenia Böhmer. »Wenn wir diese Erwartungen erfüllen, kann das Sicherheit geben. Zum Beispiel mag ein modern designter Raum für viele Menschen kalt erscheinen. Einige Jüngere hingegen empfinden eine eher traditionelle Ausstattung als spießig.«
In den letzten fünfzehn Jahren wurden über zweitausend junge Menschen als Bestattungsfachkraft ausgebildet. Mittelfristig wird das nicht reichen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifor prognostiziert, dass die Demografie im Bestattungswesen eine doppelte Rolle spielt: Während schon bald ein großer Teil des erfahrenen Personals in Rente geht, kann man statistisch davon ausgehen, dass die Zahl der Sterbefälle deutlich steigen wird. Zudem werden die noch Lebenden immer anspruchsvoller. »Es ist nicht mehr so einfach wie früher«, sagt Xenia Böhmer. »Da gab es noch ein übliches Programm: einfache Erdbestattung, einfachster Sarg und das Gebinde XY, dann Kaffeetrinken. Heute kommt eher: ›Ach ne. Wir möchten das selber machen. Wir möchten diese Reden selber halten.‹ Der Pfarrer spielt oft gar keine Rolle mehr. Heute gibt es viel mehr Möglichkeiten, und diese Auswahl trägt dazu bei, dass viele auch mehr von uns erwarten.«
Noch erlebt das Bestattungswesen keinen deutlichen Arbeitskräftemangel. Auch in ihrem privaten Umfeld trifft Xenia Böhmer häufig auf viel Interesse. »Das ist immer der Partyrenner. Zwar ist die erste Reaktion oft: ›Boah, das könnte ich nicht.‹ Aber dann wollen die Leute doch genauer wissen, was man so macht.«
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