Selenskyj in Großbritannien: Ein Helm und eine Bitte

Wolodymyr Selenskyj wird im britischen Unterhaus mit Begeisterung empfangen

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein volles Haus und tosender Beifall waren ihm garantiert. Nur wenige Stunden nachdem am Mittwochmorgen bekannt geworden war, dass der ukrainische Präsident kurzfristig nach London auf Besuch kommen werde, schritt Wolodymyr Selenskyj die Stufen der Westminster Hall hinauf, gekleidet in seinen üblichen dunkelgrünen Pullover. Die altehrwürdige Halle im Londoner Parlamentsgebäude war zum Bersten voll, in den folgenden 20 Minuten unterbrachen die Abgeordneten die Rede des Präsidenten immer wieder durch lauten Applaus.

Selenskyjs Überraschungsbesuch war für Großbritannien von großer symbolischer Bedeutung. Nach der Staatsvisite in Washington im Dezember mit einem kurzen Zwischenstopp in Polen auf der Rückreise war es erst die zweite Reise ins Ausland, die Selenskyj seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022 unternommen hat. Nach einer Unterredung mit Premierminister Rishi Sunak und dem Auftritt vor dem versammelten Parlament ging er zum Buckingham Palace zu einer Audienz bei König Charles.

Dass Selenskyj noch vor seiner Reise nach Brüssel in London vorbeigeschaut hat, zeigt, wie sehr Kiew die Unterstützung Großbritanniens schätzt. Daran ließ der Präsident in seiner Rede in der Westminster Hall keine Zweifel: »London ist Kiew vom ersten Tag an beigestanden«, sagte er. »Von den ersten Sekunden und Minuten des Kriegs.« Er bedankte sich mehrfach für den »Mut« der Briten.

Selenskyjs Auftritt in der Westminster Hall – er sprach durchwegs auf Englisch – war emotional und eindringlich, zuweilen sogar witzig. Aber der Präsident drängte die britische Regierung auch dazu, noch mehr zu tun. Ein bildstarker Moment kam gegen Ende der Rede, als Selenskyj dem Sprecher des Unterhauses, Lindsay Hoyle, den Helm eines ukrainischen Kampfpiloten schenkte. Er trug die Aufschrift: »Gebt uns Flügel, um unsere Freiheit zu verteidigen.« Falls noch jemand zweifelte, was damit gemeint war, nahm der Präsident danach noch klarere Worte in den Mund: »Dies ist meine wichtigste Bitte an Sie und an die Welt: Kampfflugzeuge für die Ukraine.« In den vergangenen Wochen hat Kiew mit zunehmender Dringlichkeit die Lieferung von Flugzeugen gefordert, aber bislang haben die westlichen Alliierten dem nicht zugestimmt.

Großbritannien hat am Mittwoch jedoch anderweitig zusätzliche Hilfe in Aussicht gestellt. So wird das britische Militär bald ukrainische Piloten ausbilden, damit sie moderne Kampfjets fliegen können. Auch wird Großbritannien weitere Langstreckenwaffen liefern, die es Russland erschweren werden, zivile und militärische Infrastruktur zu bombardieren. »Unser Ziel besteht weiterhin darin, einen Sieg der Ukraine gegen Russland sicherzustellen«, sagte Sunak am Mittwoch im Unterhaus. Bereits Mitte Januar hatte London angekündigt, 14 Kampfpanzer des Typs Challenger 2 sowie 30 Artilleriegeschütze an die Ukraine zu liefern.

Nach den USA ist Großbritannien der zweitwichtigste Geldgeber der Ukraine, bislang hat die britische Regierung 2,3 Milliarden Pfund an militärischer Unterstützung bereitgestellt. Zudem bildet das britische Militär Tausende ukrainische Soldaten aus.

Die enge Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der Ukraine geht viele Jahre zurück. Nach der russischen Annexion der Halbinsel Krim 2014 stärkte London die ökonomische und vor allem die militärische Kooperation mit Kiew. Zusammen mit den USA wurde Großbritannien zum wichtigsten Sicherheitspartner der Ukraine.

Bereits Ende 2014 schickte London eine erste Tranche an Militärgeräten und logistischer Unterstützung in die Ukraine, weitere Hilfspakete folgten 2015. Unter dem Codenamen Operation Orbital begann Großbritannien zudem ein Ausbildungsprogramm für die ukrainischen Streitkräfte, mit dem Ziel, die Fähigkeiten zur Verteidigung ihres Territoriums zu stärken. Gegen Ende 2021, als immer mehr russische Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschierten und die Gefahr einer Invasion stieg, lancierte Großbritannien ein Kreditprogramm, das der Ukraine Darlehen für den Kauf von Kriegsgerät bereitstellte.

Eine glatte Absage für Kampfjets erhielt Wolodymyr Selenskyj indes nicht. Rishi Sunak lässt anlässlich des Besuchs des ukrainischen Präsidenten eruieren, ob Kampfflugzeuge für die Ukraine verfügbar sind. Sunak habe Verteidigungsminister Ben Wallace um Prüfung gebeten, was für Maschinen das Vereinigte Königreich theoretisch an die Ukraine liefern könnte, teilte Downing Street am Mittwoch mit. Es handele sich aber um eine »langfristige« Lösung. Bereits im Frühling könnten die ersten ukrainischen Piloten an Nato-Jets in Großbritannien ausgebildet werden, hieß es weiter. Damit rückt er von seiner bisherigen Position ein wenig ab. Bisher hatte er zurückhaltend auf Forderungen nach einer Lieferung von Kampfjets reagiert, wie sie etwa Ex-Premierminister Boris Johnson erhoben hatte.

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