Zeiten der medialen Reue

Pamela Anderson blickt in der Doku »Watch Pamela: Eine Liebesgeschichte« und der Biografie »Love, Pamela« auf ihr skandalreiches Leben

Baywatch-Ikone, Playboy-Legende, ehemalige Rockstar-Ehefrau, das vielleicht größte Sexsymbol der 1990er Jahre, Opfer eines Videotape-Skandals: Pamela Anderson hatte im Laufe ihres Lebens viele Rollen. Die meisten wurden ihr von außen aufgedrückt – und das nicht immer zu ihrem Vorteil.

Sexismus, Missbrauch, öffentliche Demütigungen: Ihre Möglichkeiten, das eigene Bild von sich in der Öffentlichkeit zu kuratieren, waren lange Zeit begrenzt. Kapitalisieren konnte sie die vielen Skandalisierungen, die medial um ihre Person herum konstruiert wurden, nicht wirklich. Das Privatvideo, das in den 1990ern ihr und ihrem damaligen Ehemann Tommy Lee gestohlen und als »Sex-Video« vermarktet wurde, brachte ihr keinen einzigen US-Dollar ein. Und obwohl sie jahrelang maßgeblich für den Erfolg von »Baywatch« verantwortlich war, schlagen jährliche Tantiemen von insgesamt 4000 US-Dollar nur mager zu Buche.

Nadia Shehadeh
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.

Nein, die Geschichte der Pamela Anderson war lange keine wirklich glanzvolle Erfolgsgeschichte. Und dass sie heute noch stoisch und vor allem nicht verbittert auf ihre Zeiten im Showgeschäft zurückblickt, ist nahezu ein Wunder. Anderson hat ihren Frieden nicht nur gefunden – sie hat ihn auf wundersame Weise wahrscheinlich auch nie wirklich verloren.

Nun schreiben wir das Jahr 2023, und in den vergangenen Jahren hat sich so etwas wie eine »Tell all«-Trendbewegung entwickelt. Promis schildern mithilfe von Social Media, Dokus und Biografien nochmal ihre eigene Sicht auf die Dinge. Und so taucht in diesen Tagen auch Pamela Anderson aus der Versenkung auf, um ihre Geschichte selbst zu erzählen. Die gibt es direkt im Doppelpack: Mit der Netflix-Doku »Watch Pamela: Eine Liebesgeschichte« und ihrer Biografie »Love, Pamela«. Beide Produktionen fallen auf einen öffentlichen Nährboden, der ab und zu nur allzu bereit scheint, sich für die jahrelangen Demütigungen vor allem weiblicher Stars zu entschuldigen.

Wie zur Buße eilen Journalist*innen und Kommentator*innen herbei, um Andersons Wirken nochmal anders und zum ersten Mal überhaupt zu würdigen. Anderson, so heißt es nun, sei immer schon so viel mehr gewesen als ein Opfer: Eine engagierte Tierschützerin, eine Ikone der 1990er, eine begabte Broadway-Darstellerin, die aktuell als Roxy im Musical »Chicago« das Publikum begeistert. Außerdem eine gute Mutter und ein zurückgezogener Familienmensch, was in der Doku mit wunderschönen Impressionen der Farm, auf der sie in Kanada mit ihren Eltern lebt, untermauert wird.

Die Berichterstattung von heute ist natürlich anders als in den 1990er Jahren und den frühen 2000ern, und die Liste derer, bei denen man sich schon in den letzten Jahren entschuldigen musste, lang: Britney Spears, Lindsay Lohan, Jessica Simpson, Paris Hilton. Peinlich berührt blickt man mithilfe der neuen Anderson-Produktionen also kollektiv zurück auf eine Zeit, in der es natürlich vor allem der Ritt durch private Katastrophen und belastende Ereignisse war, der Anderson immer wieder ins Scheinwerferlicht rückte.

Es überrascht dabei nicht, dass sowohl Doku als auch Biografie nochmal wie durch ein Brennglas die grausamen Erlebnisse Andersons anvisieren. Als Kind von einer Babysitterin missbraucht, mit zwölf Jahren Opfer sexualisierten Missbrauchs durch einen Mann, jahrzehntelange Gewalt in Partnerschaften, wiederholte Verletzungen ihrer Privatsphäre: Auch in der Doku, die sehr respektvoll mit Anderson und ihrer Geschichte umgeht, ist man darauf angewiesen, auf genau das Material zurückzugreifen, dass Anderson viele Jahre lang verletzt und geschädigt hat.

Es gibt Video-Schnipsel aus Talkshows, in denen berühmte Moderatoren in ihrem Beisein objektifizierende Bemerkungen über ihren Körper machen und sich dabei tierisch lustig finden, Papparazzi-Aufnahmen und natürlich die Geschichte um das gestohlene Sex-Tape, das millionenfach verkauft wurde. Pamela Anderson war jahrelang nicht nur eine öffentliche Figur, sondern tatsächlich so etwas wie öffentliches Gut, das jederzeit und ohne Rücksicht sexualisiert werden durfte. Ihre Zustimmung brauchte es dafür nie.

In diesen Tagen aber wird äußerst respektvoll mit Andersons Lebenswerk umgegangen. Nahezu warmherzig und überschwänglich nähert man sich der ehemaligen Baywatch-Ikone an, die popkulturell zweifelsohne viele Spuren hinterlassen hat. Fast könnte man sich in einer anderen, besseren Zeit wähnen, in der #metoo und Co. endlich Gerechtigkeit für die systematisch schlechte Behandlung von vor allem weiblichen Stars in der Unterhaltungsindustrie erreicht haben. Aber nur fast. Es könnte eine Offenbarung sein, wenn man wirklich davon ausgehen könnte, dass Frauen in der Unterhaltungsbranche für das gewürdigt werden, was sie sind – und nicht für das, was die Öffentlichkeit ihnen gönnerhaft zugesteht.

Und so gibt es im Medien-Tamtam um Doku und Bio auch die merkwürdigen Impressionen, die ein bisschen anmuten wie paternalistische Versuche der Ehrenrettung einer Frau: zum Beispiel Auftritte mit ihren wirklich süßen, aber teilweise auch sehr mansplainenden Söhnen, die, gerade mal aus dem Halbwuchs entkommen, großspurig erklären, was mit der Karriere der Mutter so alles schiefgelaufen ist. Mama Pamela steht derweil daneben und nickt ein bisschen stolz, aber auch ein bisschen gequält die Ehrenrettungsversuche ihres Nachwuchses ab.

Es gibt die gönnerhafte Sympathie von Moderatoren wie Howard Stern, der sich in seinen Shows selbst immer mal wieder als schmieriger Sexist entpuppte, der seine weiblichen Studiogäste belästigte – wie etwa 2005 bei einem besonders berüchtigten Interview die Spice Girls-Sängerin Emma Bunton. Es wird klar: Die Buße an Anderson erfolgt derzeit vor allem deswegen, weil es irgendwie in den Zeitgeist passt, und es schäbig wäre, sich nicht anzuschließen.

Es gibt Frauen, die man gegenwärtig immer noch offen hassen oder auslachen kann – Amber Heard zum Beispiel, die man im vergangenen Jahr im Prozess mit Ex-Ehemann Johnny Depp geradezu medial zum Schafott geführt hat. Oder Britney Spears, auf die Teile der Weltöffentlichkeit aktuell vor allem in den sozialen Medien wieder mit Spott und Häme blicken, weil sie sich scheinbar nicht so verhält, wie viele es sich nach dem Erfolg der #freebritney-Bewegung vorgestellt haben.

Es ist aber grundsätzlich gut, dass Raum geschaffen wird für die Narrative von weiblichen Stars – und ihnen Kontrolle über das überlassen wird, was sie von sich selbst zeigen und erzählen wollen. Das Wohlwollen der Öffentlichkeit ist dabei nur zweitrangig, denn es kann wie ein Fähnchen im Wind jederzeit die Richtung drehen. Der Welle der Solidarität, die Anderson nun erlebt, kann man auf jeden Fall nicht komplett trauen – und das tut sie selbst anscheinend auch nicht. Dafür hat ihr der Sexismus des Showgeschäfts über die Jahre zu viel angetan. Und wohl auch deswegen betont sie, dass sie vor allem eins nicht ist: Eine Jungfrau in Nöten, die von der Welt gerettet werden muss. Nein, Pamela Anderson braucht die Buße der Weltöffentlichkeit nicht, um zu wissen, wer sie ist und was sie verdient. Und das ist auch gut so.

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