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Kraftakt der Zivilgesellschaft

Diakonie zieht Bilanz nach einem Jahr humanitärer Hilfe für die Ukraine

  • Dorothée Krämer
  • Lesedauer: 4 Min.

In zwei Wochen jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine zum ersten Mal. Die zivilgesellschaftliche humanitäre Hilfe kam bereits unmittelbar nach Beginn des Krieges in Gang. Die Diakonie Katastrophenhilfe, die Diakonie Deutschland und die evangelische Entwicklungshilfeorganisation Brot für die Welt haben nun eine erste Bilanz ihrer Arbeit in der Ukraine und für Geflüchtete von dort gezogen.

Der Direktor der Diakonie Nothilfe, Martin Kessler, war der Pressekonferenz aus Sumy im Nordosten der Ukraine zugeschaltet. »Heute Nacht hatte es zehn Grad minus, es liegt Schnee. Viele Häuser sind zerstört, die Menschen leben in schlecht beheizten Notunterkünften. Gerade zählt vor allem die Winterhilfe: Thermounterwäsche, Heizmaterialien, Decken«, berichtete er. Dank der langjährigen Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen sei es der Diakonie möglich, Unterstützung schnell und unmittelbar zu leisten. Knapp 68 Millionen Euro Spendengelder hat die Organisation für die Ukraine-Nothilfe bisher erhalten. Die Gelder werden in 30 Projekten in zwölf Ländern eingesetzt.

Kessler schilderte die Not von Menschen in der Ukraine, von denen viele innerhalb des Landes mehrfach vertrieben worden seien: zuerst 2014, als Russland die Krim annektierte und der Krieg im Osten der Ukraine begann, dann erneut im vergangenen Jahr. »Sie sind besorgt über die aktuellen Intensivierungen der Kampfhandlungen. Aber sie haben nicht resigniert. Viele wollen ihre Häuser wiederaufbauen, auch aus eigener Tasche«, sagte Kessler.

Dagmar Pruin, Präsidentin von Diakonie Katastrophenhilfe und Brot für die Welt, betonte, man helfe überall dort, wo es nötig sei – »mit Geld oder Hilfsgütern wie Hygieneartikel und Lebensmittel, bei der psychosozialen Unterstützung, der Ausstattung von Unterkünften oder bei integrativen Maßnahmen in den jeweiligen Aufnahmeländern«.

Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, betonte, die Erstversorgung und Unterbringung von rund einer Million Menschen in Deutschland sei ein enormer Kraftakt gewesen. Dass all dies gelang, sei insbesondere vielen ehrenamtlichen Helfer*innen zu verdanken, die an Bahnhöfen Soforthilfe leisteten, oft noch bevor professionelle Strukturen etabliert waren.

Aktuell unterstütze die Diakonie rund 240 Projekte in Deutschland, die Beratung, psychosoziale Hilfe, Sprachkurse, Mutter-Kind-Gruppen, Kinderbetreuung oder Deutschkurse organisieren. Zusätzliche Kapazitäten brauche es jetzt dringend bei Behörden, Wohnraum, Kinderbetreuung, Schule und der medizinischen Versorgung. Zudem plädierte Lilie für eine »interkulturelle Öffnung der Behörden und Einrichtungen«, damit Angebote alle erreichen, die sie brauchen.

Angesichts rasant steigender Mieten, Energie- und Lebensmittelpreise seien mehr Anstrengungen vonseiten der Politik nötig, betonte Lilie. Es brauche »eine Politik, die Menschengruppen nicht gegeneinander ausspielt, sondern zusammenbringt, um die gemeinsamen Probleme zu lösen«.

Der Diakonie-Präsident rief dazu auf, den unbürokratischen Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine auf »die Flüchtlingspolitik insgesamt« auszuweiten. Ukrainer*innen erhalten in der Europäischen Union unkompliziert vorübergehenden Schutz und Sozialleistungen. Sie müssen keinen Antrag auf Asyl stellen. »Deutschland hat über eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen, aber mehr als anderthalb Jahre nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan warten dort immer noch Tausende Menschen auf ihre Evakuierung. Das zeigt einen eklatanten Widerspruch im Umgang mit Menschen in existenzieller Not«, kritisierte Lilie.

Zudem forderte er, dass die Wohlfahrtsverbände beim geplanten Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen mit am Tisch sitzen müssten. »Wir machen im Moment mit allen Wohlfahrtsverbänden die Integrationsarbeit vor Ort. 2015 waren wir in allen Runden dabei«, sagte Lilie. Das sei bei der Bewältigung des damaligen Flüchtlingszuzugs ein erfolgreiches Vorgehen gewesen. Offensichtlich sei das schnell vergessen worden.

Die Behörden auf unterschiedlicher Regierungsebene träfen sich stattdessen nun wieder unter sich, monierte der Diakonie-Chef. Vertreter*innen von Bund, Ländern und Kommunen wollen am 16. Februar im Bundesinnenministerium über die Flüchtlingssituation beraten. Daran wolle man beteiligt werden, um die Erfahrungen der Organisationen einbringen zu können. Er sei überzeugt, dass bei der Bewältigung der Aufgaben Politik und Zivilgesellschaft gebraucht werden, sagte Lilie. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das Treffen am Wochenende angekündigt.

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