Nazi-Beleidigung nicht nachzuweisen

Göttinger Amtsgericht spricht 66-jährige Antifaschistin frei

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Demonstration am 21. März 2022 in Göttingen (Symboldbild).
Demonstration am 21. März 2022 in Göttingen (Symboldbild).

Das Göttinger Amtsgericht hat am Donnerstag eine Antifaschistin von dem Vorwurf freigesprochen, einen bekennenden Rechtsextremisten beleidigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte Annette R. zunächst zur Last gelegt, dem Neonazi Benjamin Krüger den Spruch »Verpiss dich, du Nazischwein« hinterhergerufen zu haben. Der zeigte die 66-Jährige an, und das Amtsgericht erließ gegen R. im vergangenen April einen Strafbefehl in Höhe von 40 Tagessätzen à 30 Euro. Dagegen legte der Anwalt der Beschuldigten Einspruch ein, über diesen wurde nun verhandelt.

Am 7. Februar, dem vermeintlichen Tattag, hatte die Göttinger Anti-Atom-Initiative ihre monatliche Mahnwache veranstaltet. Unter die Zuhörer mischten sich auch vier Neonazis – neben Krüger der ehemalige Kader der verbotenen Freiheitlich-Deutschen Arbeiterpartei (FAP), Dieter Riefling, der Anführer des inzwischen aufgelösten »Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen«, Jens Wilke, sowie der Funktionär der faschistischen Partei »Die Rechte«, Tobias Haupt. Die auch in der Anti-Atom-Initiative aktive R. hatte die vier Neonazis nach eigenen Angaben laut aufgefordert, die Versammlung zu verlassen. Nachdem zwei Polizist*innen hinzugekommen seien und die Rechtsextremisten sich in Richtung Bahnhof entfernt hätten, habe sie ihnen noch »Nazis, verpisst euch« zugerufen, so die Beschuldigte in ihrem damals angefertigten Gedächtnisprotokoll. Vor Gericht äußerte sich R. selbst nicht zur Sache.

Das Aufeinandertreffen insbesondere von Jens Wilke und Annette R. hat eine Vorgeschichte. So bedrohte der frühere »Freundeskreis«-Chef die Familie der Frau schon vor deren Haus über Megafon.

Im Prozess berichtete die damals beteiligte Polizeibeamtin, wie sie und ihr Kollege den »verbalen Konflikt« zwischen den Neonazis und R. beobachtet hätten. Was von wem gesagt oder gerufen worden sei, konnte die Polizistin nicht sagen. Sie habe dann Krügers Anzeige aufgenommen, Wilke habe sich als Zeuge des Vorfalls zur Verfügung gestellt.

Krüger selbst behauptete vor Gericht, er und seine Kumpane seien am fraglichen Abend in Göttingen »spazierengegangen« und eher zufällig auf die Mahnwache der Atomkraftgegner*innen gestoßen. Als sie sich vom Kundgebungsort entfernt hätten, sei R. ihnen gefolgt und habe sie permanent beleidigt. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, warum ausgerechnet er sich von dem vermeintlich gefallenen Wort »Nazischweine« angesprochen fühlte, sagte Krüger: »Weil sie mich so angeguckt hat.«

Staatsanwaltschaft wie auch R.s Verteidiger werteten die Zeugenaussagen in ihren Abschlussvorträgen als höchst widersprüchlich und insbesondere die Aussage Krügers als wenig schlüssig und forderten Freispruch. Die Richterin, die im April 2022 noch den Strafbefehl ausgestellt hatte, schloss sich an. Es habe in der Verhandlung keine Möglichkeit gegeben, den Tatvorwurf der Beleidigung zu beweisen. Annette R. nutzte ihr Schlusswort zu einem Bekenntnis gegen rechts: »Nie wieder Faschismus – hoch die internationale Solidarität«, sagte sie.

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