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  • Organisiertes Verbrechen in Mexiko

Mafia-Politiker García Luna vor Gericht

Prozess gegen den mexikanischen Spitzenpolitiker in New York dreht sich um das Organisierte Verbrechen

  • Moritz Osswald, Mexiko-Stadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Mexiko liebt Legenden, Mythen und Märchen. Sagen von Helden, Anti-Helden – und deren Untergang. Genaro García Luna transformierte sich vom Helden zum Anti-Helden; um ihn ranken sich endlos viele Erzählungen. Seit fast zwei Jahrzehnten wird dem Ex-Sicherheitsminister Mexikos vorgeworfen, gemeinsame Sache mit der Organisierten Kriminalität zu machen. Im Dezember 2019 nahmen Behörden den »Supercop«, wie er oft genannt wird, in Texas fest. Jetzt muss er sich in Brooklyn vor Gericht verantworten.

Die geladenen Zeugen – viele bereits ausgelieferte Kriminelle – vermitteln das Bild eines absolut korrupten Staates, dessen Funktionäre sich mit genügend Geld problemlos kaufen lassen. Aussagen klingen wie überspitzte Darstellungen in Serien wie »Narcos«. Während seiner Zeit als Chef der mittlerweile aufgelösten Behörde AFI, sozusagen das mexikanische FBI, soll García Luna an Mitglieder krimineller Gruppen Uniformen, Ausweise und Lieferwagen der Behörde ausgehändigt haben. Zudem soll García Luna die Kartellmitglieder mit relevanten Informationen über Sicherheitsoperationen versorgt haben. Auch Ermittlungen gegen feindlich gesinnte kriminelle Gruppen teilte man laut Zeugenaussagen mit den Sinaloa-Gangstern.

So wurden die Kartellmitglieder im Vorfeld über eine Behördenoperation informiert, bei der Édgar Valdez Villarreal alias »La Barbie« festgenommen werden sollte – auf seiner Hochzeit in Acapulco. »Die Party fand statt, aber nach dieser Warnung ging niemand mehr zur Hochzeit«, erklärte Sergio Villarreal Barragán. Das sorgte im Gerichtssaal 8D im östlichen Distrikt in Brooklyn für einige Lacher. Villarreal Barragán, alias »El Grande« – aufgrund seiner Statur von knapp zwei Metern – ist einer der vielen Zeugen in diesem Megaprozess, ein Krimineller, der nun die Verstrickungen von Politik und Organisiertem Verbrechen ans Tageslicht bringen soll. Doch genau darin liegt auch das zentrale Problem dieses Prozesses: Die Zeugen erzählen und erzählen, können aber keine harten Beweise wie Fotos, Videos oder Dokumente vorweisen. Sie haben zudem ein unübersehbares Eigeninteresse: Haftminderung. Das Vorwissen und eventuelle Wegschauen der US-Drogenfahnder*innen wird allerdings nicht untersucht.

Denn die Drogenjäger*innen der US-Drogenbehörde DEA wussten offenbar schon früh von der Bestechlichkeit García Lunas. Die Doppelmoral der US-Agent*innen zeigt sich durch den García Luna-Prozess in vollem Glanz: Wenn Kriminelle für uns nützlich sind, dann lassen wir sie weiter kriminell sein – bis wir sie irgendwann nicht mehr brauchen. Die exilierte Investigativjournalistin Anabel Hernández deckte auf, dass der Drogenhändler »La Barbie« jahrelang für die DEA arbeitete. Bis er dann 2015 an die USA ausgeliefert wurde. Jetzt ist er ein wichtiger Zeuge im Prozess.

Geburtslüge des Drogenkrieges

Den zahlreichen Schilderungen vor Gericht gehen ausführliche journalistische Recherchen voraus, die bereits Jahre und Jahrzehnte zurückliegen. Medienschaffende wie Anabel Hernández, die laut US-Justizministerium auch im Prozess aussagen soll, Francisco Cruz oder Jesús Lemus Barajas legten ausführlich die Verbindungen zwischen krimineller Unterwelt und dem »Supercop« García Luna und dessen korrupt geführten Polizist*innen dar. Bis zu 1,5 Millionen US-Dollar soll García Luna monatlich von der Mafia an Schmiergeld erhalten haben.

Mit dem Prozess enthüllt sich einmal mehr die Geburtslüge des sogenannten Drogenkrieges: Politiker*innen, die die Kriminellen eigentlich bekämpfen sollten, machen gemeinsame Sache mit ihnen. Zulasten einer traumatisierten Zivilbevölkerung, die seitdem nicht mehr in Ruhe leben kann, sich mit Schießereien, gewaltsamem Verschwindenlassen und einem massiv militarisierten Staat abfinden muss. Offiziell angeklagt ist der ehemalige Sicherheitsminister Genaro García Luna wegen Drogenhandels und Falschaussage. Bei einer Verurteilung wären zehn Jahre Gefängnis bis zu einer lebenslangen Strafe für den korrupten Ex-Politiker möglich.

Doch warum wurde García Luna nie in Mexiko festgesetzt und vor ein Gericht gestellt? Fürs Image der USA kommt der Gerichtsprozess natürlich gerade recht. Es stärkt das Bild der unkorrumpierbaren US-Justiz, die die bösen Jungs in den Knast steckt, und somit das schafft, was Mexiko selbst nicht schaffte. Denn die mexikanische Bundesstaatsanwaltschaft hat Haftbefehle gegen Genaro García Luna vorliegen, für verschiedene Delikte – doch die Tentakel des Ex-Ministers reichen weit.

»Warum Netflix-Serien anschauen, wenn die Realität diese übersteigt?«, fragte Mexikos amtierender Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) kürzlich in einer seiner morgendlichen Pressekonferenzen. Der von Ex-Staatschef Felipe Calderón 2006 losgetretene Krieg gegen die Drogen und die fadenscheinigen Umstände, unter denen dieser ausgerufen wurde – in Wahrheit, um Aktionismus vorzutäuschen und bestimmten Mafiagruppen bei der Erweiterung ihres Territoriums zu helfen – ist ein gefundenes Fressen für López Obrador. Doch auch seine Regierung hat den Drogenkrieg nach über vier Jahren Amtszeit nicht ansatzweise eingedämmt bekommen.

Mit Spannung wird den weiteren Zeug*innen in New York entgegengesehen, die noch präsentiert werden und noch nicht alle bekannt sind. Sollten harte Beweise allerdings ausbleiben, könnte der Mafia-Politiker García Luna am Ende sogar unbeschadet davonkommen.

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