Ein Stück Potsdam ohne Parkplätze

Angehende Architekten entwickeln Ideen für die Stadt – auch für den vom Abriss bedrohten DDR-Plattenbaukomplex Staudenhof

Modell von Architekturstudierenden für die Rettung und Umgestaltung des Potsdamer Staudenhofs. Die angedachten Laubengänge befinden sich auf der Rückseite.
Modell von Architekturstudierenden für die Rettung und Umgestaltung des Potsdamer Staudenhofs. Die angedachten Laubengänge befinden sich auf der Rückseite.

Die Frage ist nicht ernst gemeint: »Wo sind denn die Parkplätze?« Die Entwürfe der Architekturstudierenden sehen keine Stellplätze für Fahrzeuge vor. Im Gegenteil: Begrünte autofreie Straßen, auf denen Hühner die Krümel wegpicken und damit der Straßenreinigung die Arbeit erleichtern – so etwas in die Richtung schwebt ihnen vor. Häuser mit Solaranlagen auf den Dächern, energiesparend ohne Fenster auf der Nordseite, aber großen Glasfronten an der sonnigen Südseite.

Schilfrohrteiche, gefiltertes Regenwasser für die Toilettenspülung und die Waschmaschine. Gemeinschaftsküchen oder gleich ein ganzes Gemeinschaftshaus, dessen Erdgeschoss sich rundum alle paar Schritte betreten lässt. So offen soll es schon von der Bauweise her für alle Einwohner und Gäste der Stadt sein, mit Räumen, die teils jederzeit jedem offen stehen und teils unkompliziert gebucht werden können. Auch ein hypermodernes Museum der Bauwende in Lehm- und Holzbauweise ist zu sehen, mit unkonventionellen Musterwohnungen und einer klassischen Ausstellung für die Stadt, die doch bislang in erster Linie für ihr Schlossmuseum Sanssouci und den zugehörigen Schlossgarten weltbekannt ist.

Diese Ideen entwickelten seit Herbst Studierende des Natural Building Labs, also des Naturbaulabors, der Technischen Universität Berlin. Sie schauten sich dazu in der Potsdamer Innenstadt um, insbesondere auf dem Hof des alten Militärwaisenhauses und an der Plantage hinter dem ehemaligen Rechenzentrum. Ihre Wege führten auch bis hin zum Wohnkomplex am Staudenhof, der dem Abriss geweiht ist, aber vielleicht doch noch eine zweite Chance bekommt. Von Montag bis Donnerstag waren die Arbeiten im Erdgeschoss des Rechenzentrums ausgestellt und werden zum Abschluss am Donnerstagabend von den Studierenden in Kurzvorträgen präsentiert. Die anschließende Diskussion beginnt dann mit ebenjener Frage: »Wo sind denn die Parkplätze?« Doch unter den älteren Leuten im Publikum ist niemand, den das Fehlen solcher Stellflächen wirklich stört. Sie gehöre zur »Omageneration 70 plus« und sei einst stolz gewesen, mit 18 Jahren Auto fahren zu dürfen, erzählt eine Frau. Doch so könne es nicht mehr weitergehen, die jungen Menschen seien heute anders.

Dass das wirklich so ist, bezweifelt der Student Friedrich Lorch. Sie seien an einem kleinen Institut mit wenigen Studierenden. Die Kommilitonen an anderen Universitäten »ticken anders« und wollten oft immer noch mit viel Beton bauen, bedauert er. Die ausgestellten Entwürfe stützen sich auf Materialien wie Holz und Lehm und wollen Bauschutt möglichst vermeiden. 220 Millionen Tonnen davon fallen pro Jahr in der Bundesrepublik an. Abriss und Neubau sind eine unglaubliche Verschwendung knapper Ressourcen und Energie.

Trotzdem droht der in Potsdam vor 50 Jahren errichtete Plattenbau am Staudenhof einfach zu verschwinden. 2024 soll er abgerissen werden und bis 2029 an seiner Stelle der neobarock anmutende Block V als Neubau entstehen. So hat es die Stadtverordnetenversammlung 2021 beschlossen und so wird es kommen, wenn eine von Architekten, Kunsthistorikern und oppositionellen Kommunalpolitikern ins Leben gerufene Initiative »Retten wir den Staudenhof« das nicht doch noch verhindern kann. Sanierung und Modernisierung schonen die Umwelt und wären hier der bessere Weg.

Was möglich wäre, demonstrieren die Studierenden Benedikt Jährling, Ariann Schwarz, Angelina Orsagosch, Cyrill Kreißl, Felix Frankowiak und Phillip Arndt. Ihr Modell zeigt einen Staudenhof, der mit seiner neuen Fassade kaum wiederzuerkennen ist. Die alten Betonelemente werden demnach abgenommen und anderswo wiederverwendet. Eine angesetzte Wendeltreppe und Laubengänge erlauben den Zugang zu den Wohneinheiten. Die Flure im Inneren entfallen. Das schafft zusätzliche Wohnfläche und erlaubt neue Grundrisse für 1,5- bis 4-Raum-Wohnungen. Kühn und vielleicht unrealistisch ist die Vorstellung, die Bewohner könnten beim Umbau selbst Hand anlegen und so die Baukosten erheblich reduzieren.

Die Stadtverordnete Anja Günther (Linke) ist begeistert. Schade nur, dass der Entwurf einerseits zu spät komme und andererseits seiner Zeit zu weit voraus sei, fürchten Besucher der Präsentation. Es sei wohl eine Traumblase, die leider zerplatzen werde. »Unter Architekten hat sich herumgesprochen, dass die Bauwende kommen muss, aber es ist noch nicht der Mainstream«, beklagt eine Frau. »Ich möchte widersprechen, dass es eine Traumwelt sei«, entgegnet Selina Schlez, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Natural Building Lab. »Es ist nah an dem, was umgesetzt werden kann. Die Technik ist schon so weit.« Sie bekommt zur Antwort: »Dass es technisch möglich ist, daran habe ich keinen Zweifel. Aber ob es politisch durchsetzbar ist?«

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