Willkommenskultur geht anders

Trotz öffentlicher Unterstützung ist der Vietnamese Pham Phi Son noch immer von der Abschiebung bedroht

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Pham Phi Son, ein von Abschiebung bedrohter ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter, zeigte sich am Freitagabend sichtlich bewegt: Rund 250 Menschen haben vor der Chemnitzer Ausländerbehörde ein Bleiberecht für ihn und seine Familie gefordert. »Es gab Rednerinnen und Redner aus der zweiten Generation der Deutschvietnamesen, die aus ihrer eigenen Kindheit den schweren Kampf um ein Aufenthaltsrecht in den 1990er Jahren kennen«, sagt Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat, der die Kundgebung angemeldet hat, zu »nd«. Die Menschen, die sich mit der Chemnitzer Familie solidarisieren, seien zum Teil aus anderen sächsischen Städten oder aus Berlin angereist.

Pham Phi Son lebt seit 36 Jahren in Sachsen. Sein Aufenthaltsrecht verlor der strafrechtlich unbescholtene Mann 2017, weil da den Behörden in Chemnitz aufgefallen war, dass er 2016 länger als die erlaubten sechs Monate Urlaub in Vietnam gemacht hat. Die Frist überschritt er, weil unter dem subtropischen Klima eine alte Kriegsverletzung am Bein wieder aufbrach und medizinisch behandelt werden musste. Gerichte haben den Antrag von Pham, seiner neu nach Deutschland eingereisten Frau und der in Deutschland geborenen Tochter auf ein humanitäres Bleiberecht ebenso abgelehnt wie die Sächsische Härtefallkommission, zuletzt in der vergangenen Woche. Um der Abschiebung zu entgehen, war die Familie ab 2019 zwei Jahre lang untergetaucht. Inzwischen arbeiten die Eltern als Küchenkraft und Auslieferungsfahrer in einem Restaurant bei Chemnitz. Der Arbeitgeber sagte gegenüber einer Regionalzeitung, dass er seine Mitarbeiter dringend brauche. Die Tochter soll im Sommer eingeschult werden. Sie war nie in Vietnam.

Die gute Nachricht kam wenige Stunden vor der Kundgebung: Die Stadt Chemnitz hatte zugesichert, den Fall nochmals zu prüfen und »vorerst« auf eine Abschiebung zu verzichten. »Die Behörde wird Kontakt zur Familie und deren Anwältin aufnehmen und das weitere Vorgehen abstimmen«, heißt es von der Stadt. Dabei geht es darum, wie »die noch fehlenden Nachweise der nachhaltig wirtschaftlichen und sprachlichen Integration« der Familie erbracht werden. Pham Phi Son reagierte vorsichtig optimistisch, solche vagen Zusagen habe er schon viele erhalten.

Ein Problem besteht darin, dass der Mann trotz 36 Jahren Aufenthalt in Deutschland nur bescheiden Deutsch spricht. In der DDR war eine Integration nicht gewollt, die sprachliche Verständigung erfolgte am Arbeitsplatz durch Dolmetscher. Später bekamen ehemalige Vertragsarbeiter immer nur ein Aufenthaltsrecht, wenn sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienten. Da das meist in prekärer wirtschaftlicher Selbständigkeit geschah, blieb keine Zeit zum Deutschlernen. Einen Rechtsanspruch darauf gibt es erst seit 2014. Der Familienvater ist bereits 65 Jahre alt.

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) begrüßte die Entscheidung der Chemnitzer Ausländerbehörde, die Familie vorerst nicht abzuschieben. Er appellierte an die Familie, ihre deutschen Sprachkenntnisse zu verbessern.

Der Sächsische Flüchtlingsrat hat am vergangenen Mittwoch eine Onlinepetition an Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und weitere Landespolitiker wieder aufleben lassen, in der ein Bleiberecht für die Familie gefordert wird. Inzwischen haben fast 100 000 Menschen unterschrieben. In einer zweiten Petition, die innerhalb weniger Tage 35 000 Unterschriften fand, fordert die Deutschvietnamesin Hami Nguyen aus Frankfurt am Main dasselbe von der Bundespolitik.

Sachsens Ministerpräsident hat erst im Januar eine Initiative für mehr Zuwanderung gestartet. »Wir wollen Zielregionen auswählen – etwa in Indien oder Vietnam«, sagte Kretschmer. Dort wolle man mit einer Willkommenskultur in Ostdeutschland werben. »Der vietnamesische Gemüsehändler ist hier anerkannt und willkommen.« Aber der Fall Pham Phi Son hat sich auch unter gerade angeworbenen vietnamesischen Pflegekräften und ihren Angehörigen in Vietnam herumgesprochen – und der entspricht kaum dem Bild, das Kretschmer vorgibt.

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