Eine Hochzeit wie im Bilderbuch

In Japan haben christlich anmutende Trauungen Konjunktur. Die Religion spielt dabei aber keine Rolle

  • Felix Lill, Tokio
  • Lesedauer: 7 Min.

Riko Yamasaki träumt davon, eines Tages den Segen eines Pastors zu erhalten. Wenn sie erst den richtigen Mann gefunden habe, will sie christlich heiraten. Sie hat auch schon eine genaue Vorstellung, wie das aussehen soll. Sie muss lachen, wenn sie es sich ausmalt: »Eine fröhliche, großzügige Festlichkeit habe ich vor Augen. Ich will ganz viele Freunde einladen. Und es soll viel glänzen und glitzern! So eine Hochzeitsfeier will ich für mich!«

Nicht nur für Riko Yamasaki gehört eine romantische Hochzeit in eine Kirche. Die junge Japanerin, die derzeit noch Single ist, hat vor zwei Jahren die Feier ihrer Schwester organisiert. »Der Pastor hat so schöne Worte gewählt«, erinnert sie sich. »Das Beeindruckendste war dann, dass mein Vater eine Botschaft an meine große Schwester gerichtet hat. Er sagte, dass er traurig ist, weil seine Tochter nun einen anderen Familiennamen hat. Da mischte sich Traurigkeit mit Glück.« Seinen Schwiegersohn habe Rikos Vater dann darum gebeten, dass er für Yamasakis Schwester gut sorgen werde.

»Das fand ich schön«, sagt Riko Yamasaki noch einmal und sieht lächelnd um sich, während ihre Worte im Raum nachhallen. »Hier in dieser Kirche war das!« Die Frau im dunkelblauen Hosenanzug breitet ihre Arme aus, als wäre sie hier zu Hause. Was auch ein bisschen zutrifft. Ihren Traum von einer bilderbuchartigen Hochzeit hat Riko Yamasaki zum Beruf gemacht, sie ist Hochzeitsplanerin beim Unternehmen Escrit in Tokio. Und für Feiern wie die ihrer Schwester besitzt Yamasakis Arbeitgeber mehrere Kirchen. Oder besser gesagt: Gebäude, die wie Kirchen aussehen.

Yamasaki führt durch die Räumlichkeiten und erklärt: »In diesem Gebäude haben wir eine eigene, sehr moderne Musikanlage. Und die Decke ist in der Mitte 13 Meter hoch, das sorgt für einen schönen Sound.« Keine Räumlichkeit in Tokio sei höher. »Hier vorne am Altar steht bei den Hochzeitsfeiern dann der Pastor und hält eine Rede.« Für die Feiern werde ein Pastor einer Freikirche in Nordtokio bestellt.

Am Kopfende des Kirchenschiffs prangt ein großes Kruzifix, in der Mitte sind Holzbänke. Aber auch wenn dieser Bau den Namen trägt: »Minami Aoyama Santa Chiara Kyoukai« – die Santa Chiara-Kirche von Süd-Aoyama – um eine Kirche handelt es sich hier nicht. Errichtet wurde das Gebäude im Jahr 2010 im Shoppingviertel Aoyama im Zentrum von Tokio. Und auch dieses Bauwerk ist eher dem Konsum gewidmet als dem Glauben. Einen Gottesdienst hat es hier noch nie gegeben. Die vermeintliche Kirche ist ein »kekkonshikijo« – eine »Hochzeitsfeierräumlichkeit«.

Diese Pseudokirche ist eines von vielen bemerkenswerten Beispielen für das erstaunliche Verhältnis der japanischen Gesellschaft zur Religion. In Umfragen geben zwar rund 70 Prozent der Menschen an, sich der polytheistischen Urreligion Shinto zugehörig zu führen. Ungefähr ebenso viele folgen den Ritualen des Buddhismus. Wer aber vermutet, Japan sei hyperreligiös, sieht sich getäuscht. Schon die Tatsache, dass laut Statistiken viele Menschen mehr als eine Religion haben, deutet aufs Gegenteil hin: Die große Mehrheit im ostasiatischen Land sieht die Sache mit dem Glauben pragmatisch.

Bei den in Japan allgegenwärtigen Schreinen des Shinto wirft man Münzen und richtet Wünsche an die Götter. Bei buddhistischen Tempeln kauft man sich auch kleine Zettel, die einem vermeintlich die Zukunft vorhersagen. Fragt man aber Menschen in Japan, ob sie daran wirklich glauben, ist die Antwort meist Achselzucken. Es sei eher Tradition, und es schade ja nichts, die Rituale am Leben zu halten. Als religiös sehen sich die meisten Japanerinnen und Japaner nicht. »Ich glaube ja nicht an Gott wie die Christen«, heißt es dann oft. Aber man konsumiert das Christentum gern.

Kirchenartig aufgemachte Eventhallen wie die »Minami Aoyama Santa Chiara Kyoukai« sind seit Jahrzehnten die Goldesel im Hochzeitsgeschäft. »In Japan machen heute noch rund 15 Prozent der Paare die traditionelle Shinto-Hochzeit im Kimono«, erklärt Ryuichi Tsubakimoto, ein smarter Typ im schwarzen Anzug. Er ist Manager bei Escrit und kennt die Daten genau: »Die Hälfte aller Feiern findet in so einem Kirchengebäude statt. Dass Leute eine christliche Note in ihrer Hochzeit haben, ist heute der Standard.«

Persönlich haben auch Riko Yamasaki und Ryuichi Tsubakimoto, die vor allem christlich anmutende Feiern organisieren, nichts mit dem Christentum zu tun. Ohnehin sind nur rund drei Prozent der Bevölkerung in Japan Christen. »Viele Menschen wollen eine Hochzeitsfeier, wie sie es aus den Hollywood-Filmen kennen«, erklärt Yamasaki. »Die Bilder sind so romantisch. Man bewundert einfach die Schönheit dieser Feiern.« Und sie betont noch einmal, als wäre es wichtig, dass es hier keine Missverständnisse gebe: »Die allermeisten unserer Kunden sind natürlich keine Christen.«

Der Rituale von Religionen bedient man sich in Japan auf flexible Weise. Wie in einem Baukastensystem werden sie ins Alltagsleben eingeführt. »Für die meisten Leute, ungefähr 70 Prozent der Bevölkerung, ergibt sich im Alltagsleben eine Art Arbeitsteilung der Religionen«, sagt Hans Martin Krämer. Der Japanologie-Professor und Religionsexperte der Universität Heidelberg beobachtet dies vor allem bei wichtigen Übergangsriten im Leben. »Das Christentum gehört zum Teil auch dazu.« Stichwort Hochzeitskultur. Beerdigungen hingegen werden meistens nach buddhistischen Ritualen organisiert. Und nach der Geburt bringt man Kinder zu einem Schrein des Shinto.

Während Buddhismus und Shinto aber kulturell wesentlich tiefer verankert sind, hat das Christentum erst im vergangenen Jahrhundert an Einfluss gewonnen – und zwar eher auf popkultureller Ebene. Neben christlichen Hochzeiten feiern viele Menschen in Japan auch ein christliches Weihnachtsfest, wenngleich man dieses eher mit seinem Liebespartner als mit der Familie verbringt. Die selektive Popularität des Christentums führt Hans Martin Krämer auch, aber nicht nur auf die farbenfrohe und musikalische Ästhetik der Festlichkeiten zurück. »Der Anteil von Hollywood-Kitsch ist kaum zu gering zu veranschlagen«, sagt Krämer im Videogespräch und muss lachen. »Aber das Wissen über das Christentum ist in Japan doch recht ausgeprägt. Die Bibel wird eher selten als Glaubensdokument gelesen, sondern als Kulturerzeugnis.« Als gebildeter Japaner wisse man in etwa, was in der Bibel steht. Und so wirkt es weltgewandt und gebildet, wenn jemand in einer Pseudokirche heiratet.

Der Manager Ryuichi Tsubakimoto in der »Minami Aoyama Santa Chiara Kyoukai« unterstreicht Krämers Einschätzung. Er geht zum Altar und blättert in einem aufgeschlagenen Buch, in dem einige Bibelverse in mehreren Sprachen geschrieben stehen. »Der Pastor, den wir für die Hochzeitsfeiern arrangieren, kommt von einer Kirche im Tokioter Stadtteil Ikebukuro. Der ist recht bekannt.« Offenbar als Qualitätsausweis fügt Tsubakimoto flüsternd hinzu: »Er ist Italiener.« Daraufhin betont Riko Yamasaki, dass der Pastor zwar auf Japanisch spreche, aber immer wieder auch einige englische Begriffe verwende. Die meisten Kundinnen und Kunden wünschten sich das so. »Gerade weil der Pastor Italiener ist, wäre es doch schade, das auszublenden.« Er spreche ein etwas gebrochenes Japanisch. »Die Hochzeitspaare bewundern diesen Mix. Und sie freuen sich jedes Mal, wenn ihnen auf Englisch dann ›Congratulations‹ gesagt wird.«

Die christlichen Hochzeiten haben womöglich ihren Zenit erreicht. Satoko Fujita, die bei Escrit für PR-Angelegenheiten verantwortlich ist, sitzt auf einer der Holzbänke in der Kirche und blickt zum Kruzifix. »In den vergangenen Jahren haben die Hochzeitsfeiern insgesamt abgenommen, weil mehr Menschen Single bleiben.« Zudem wird es beliebter, einfach ganz individuell zu feiern. Im Trend sind etwa Hochzeitsgesellschaften in den Bergen oder im Baseballstadion. »Für uns als Unternehmen, das in Gebäude wie Kirchen investiert hat, ist das natürlich langfristig eine Herausforderung.«

Allerdings wird sich mit Hochzeiten im pseudo-christlichen Stil wohl noch einige Jahre gutes Geld verdienen lassen – nach wie vor ist es die mit Abstand beliebteste Art zu heiraten. Für die nahe Zukunft überlegt man bei Escrit zudem, seine Dienste auch in anderen asiatischen Ländern anzubieten. Man wolle es vor allem in solchen Ländern versuchen, wo man das Christentum vor allem durch Hollywood kennt.

Für die seit Jahren wachsende Anzahl von Singles haben unterdessen andere Unternehmen Wege gefunden, den folkloristischen Charme exotischer Religionen in Erlösmodelle umzuwandeln. In Kaufhäusern begegnet man immer wieder Fotostudios, die Shootings in weißen Brautkleidern anbieten – die Outfits lassen sich aus einem Katalog auswählen. Denn nur, weil es keinen Partner gibt, muss man noch lange nicht auf den gewünschten christlichen Kitsch verzichten. Es wäre doch sonst höllisch schade.

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