Im Strecksprung durch die Fußgängerzone

Andreas Koristka macht Vorschläge für eine durchgreifende Gesundheitsreform

Die Deutschen leben ungesund. Sie rauchen, schütten sich mit Alkohol zu und pfeifen auf regelmäßiges Workout. Marathon ist für viele ein Fremdwort und es käme ihnen nie in den Sinn, nach jedem Absatz einer nd-Kolumne 50 Sit-ups zu machen. Deshalb müssen die Krankenkassen teure Behandlungen mit Geld bezahlen, das sie viel besser für Postwurfsendungen verwenden könnten, in denen für Zahnzusatzversicherungen geworben wird. Eine Reform muss also her und wer könnte bessere Vorschläge machen als Starökonom Bernd Raffelhüschen, der der »Bild«-Zeitung erklärte, dass jeder Kassenpatient 2000 Euro Selbstbehalt zahlen müsse, wenn die Versorgung der gesetzlich Verfetteten gesichert bleiben soll?

Dieser Ansatz ist erfrischend, weil endlich mehr marktwirtschaftliche Prinzipien für diejenigen gelten würden, die den Krankenkassen heute mit gerne in Kauf genommenen Herzkreislaufproblemen auf der Tasche liegen. Da der Markt bekanntlich alles regelt, würden sich die Körper künftig zwei Mal überlegen, ob sie krank werden wollen. Außerdem stiege die Motivation, sich sportlich zu betätigen. Ein Beispiel: Wer täglich nur drei Stunden mit einem Vorschlaghammer auf einen Traktorreifen eindrischt und anschließend einen Lkw (40-Tonner) zwei Kilometer weit an einem Hanfseil zieht, senkt sein Osteoporose-Risiko um zwei Prozent und spart 1,85 Kilo CO2.

Andreas Koristka
Andreas Koristka ist Redakteur der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter: dasnd.de/koristka

Aber leider hat Karl Lauterbach den Vorschlag von Bernd Raffelhüschen bereits abgelehnt. Zwar gibt Lauterbach zu, dass er ungesund lebende Schmerbäucher so wenig leiden könne wie eine kohlenhydratreiche Mahlzeit nach 18 Uhr. Aber er will es sich nicht mit der finanziell schwachen Klientel verscherzen möchte, die zum nicht unerheblichen Teil aus potenziellen SPD-Wählern besteht (Zitat nach Gedächtnisprotokoll).

Deshalb müssen jetzt andere Maßnahmen auf den Tisch. Denkbar wäre die Austragung von Bundeskrankenkassenspielen. Wer beim Schlagballwurf mehr als 60 Meter schafft, für den bleibt alles beim Alten. Wer mehr als 30 Meter wirft, erhält immerhin einen kostenfreien Facharzttermin im kommenden Quartal. Wer unter 15 Metern bleibt, soll statt Arztbesuchen ein halbes Jahr zu Hause Sport treiben, um die angespannte Lage im Gesundheitssystem möglichst unkompliziert zu mildern.

Außerdem wäre es möglich, Personen mit erhöhtem Bodymass-Index den Zugang zum ÖPNV zu erschweren. Schmalere Türen und Armlehnen zwischen den Sitzflächen könnten zum Fahrradfahren animieren. Ebenso muss das Ordnungsamt all jene faulen Menschen mit einer Strafe belegen, die auf der Rolltreppe stehen oder ihren Einkaufsweg nicht im Laufschritt zurücklegen. In die StvO gehört ein Paragraph, der an Wochentagen zwischen 8 und 16 Uhr den Hockstrecksprung als Fortbewegungsart in den Fußgängerzonen vorschreibt.

Wahrscheinlich würde es nach diesen Maßnahmen überhaupt keine Kranken mehr geben, Ärzte würden nicht mehr benötigt. Praxen und Krankenhäuser könnten schließen; in ihren Räumen könnten neue Primark-Filialen eröffnen. Die wiederum könnten zur Volksgesundheit beitragen, indem sie keine Übergrößen mehr verkaufen. Die Ärztinnen und Ärzte könnten eine sinnvollere Tätigkeit ausüben und DHL-Pakete austragen. Denn die enormen Einsparungen würden es ermöglichen, dass die Bundesregierung jedem Bürger ein Fitnessgerät der Marke Hammer auf Amazon bestellt. Es ist traurig und zeugt von der geringen Qualität des deutschen Hochschulwesens, dass der angebliche Ökonom Raffelhüschen auf diese Ideen nicht von allein gekommen ist.

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