Reinen Herzens

Die Initiatoren der Kundgebung für den Frieden verprellen lieber Linke als Anhänger der AfD

Seit einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine und diejenigen, die das massenhafte Schlachten und Verstümmeln, das Leid der Zivilbevölkerung und die Verwüstung eines ganzen Landes nicht mit noch mehr Waffen beantworten wollen, sind in der Defensive. Es fehlt schon lange eine große Demonstration gegen Kriegslogik und Aufrüstung, für Waffenstillstand, Verhandlungen und den Rückzug der russischen Truppen. Doch die Friedenskundgebung von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht ist es nicht.

Denn aus dem Initiatorenkreis wurde bewusst so widersprüchlich kommuniziert, dass die AfD sich eingeladen fühlen kann. Das bringt Gegner von Waffenlieferungen und Aufrüstung in eine beklemmende Lage: Entweder sie bleiben einer Veranstaltung fern, deren Anliegen sie im Kern unterstützen oder sie demonstrieren zusammen mit der AfD.

Ja, breite Bündnisse sind richtig, bei der Frage nach Krieg und Frieden kann es bis zum CSU-Mann Gauweiler reichen. Diese Breite machte die Friedensbewegung in den 80er Jahren groß und stark. Beifall von der falschen Seite, über dieses Spektrum hinaus, kann man nicht immer verhindern; genausowenig, dass Nazis versuchen, Proteste zu kapern. Von Regierungsparteien wurde das in der Vergangenheit gern genutzt, um das gesamte Anliegen zu diskreditieren. Aber all diese richtigen Argumente greifen diesmal nicht. Denn wir reden nicht darüber, dass sich an diesem Sonnabend am Brandenburger Tor in Berlin auch vereinzelt Menschen einfinden, die die AfD oder andere rechtsextreme Parteien gewählt haben.

Die entscheidende Frage ist: Wie verhalten sich die Organisatoren dazu? Und da muss man in diesem Fall leider sagen: entsetzlich. Denn sie überlassen es der AfD zu entscheiden, wie prominent sie auf der Demo vertreten sein will. Dabei wäre es für die Initiatoren so einfach gewesen, die Grenze nach rechts zu ziehen. Frage Interview: Sind AfD-ler willkommen? Antwort: Nein. Stattdessen: »Alle sind willkommen.« »Keine Gesinnungsprüfung.« »Ehrlichen Herzens.« Nur Fahnen sollen sie bitte zuhause lassen und sich möglichst nicht in die erste Reihe drängeln.

Das macht den Unterschied: Bei anderen Demonstrationen haben sich die Organisatoren im Vorfeld klar von der AfD distanziert. Und zumindest versucht, sie der Demo zu verweisen. Das setzt die Norm. Doch hier nicht. Offenbar verstehen Wagenknecht und Lafontaine unter Rechtsextremisten nur Reichsbürger oder die NPD. Und verharmlosen damit die viel gefährlichere AfD.

Eine Kundgebung, die von Linken mitgetragen wird, auf der die AfD dabei sein darf? Erstaunlich viele Linke sind bereit, darüber hinwegzugehen. Vielleicht, weil sie zermürbt sind von dem Dauerfeuer, unter dem Friedensbewegte stehen. Weil sie sich diese erste große Friedensdemo nicht nehmen lassen wollen. Ja, die große Mehrheit am Brandenburger Tor hat nichts mit Nazis im Sinn. Aber das reicht nicht.

Denn was sagen wir beim nächsten Mal, wenn einer wie Kemmerich sich in Thüringen von der AfD ins Amt wählen lässt? Oder wenn mal wieder in irgendeinem Ort die CDU einen Antrag mit der AfD zusammen durchsetzt, zusammen also mit einer in weiten Teilen faschistischen Partei. Linke bekämpfen die AfD zu Recht. Und können jetzt nicht gemeinsam mit ihr demonstrieren. Auch nicht für Frieden.

Diese Demonstration ist ein Dammbruch. Der Kollateralschaden für die Linkspartei und für die Friedensbewegung könnte deshalb am Ende größer sein als das Friedenszeichen am Wochenende. Die Verantwortung dafür tragen die Initiatoren. Die lieber Linke verprellen als Anhänger der AfD.

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