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  • Ausstellung »Ruth Wolf-Rehfeldt: Nichts Neues«

Nur die halbe Wahrheit

Eine der Mail-Art-Pionierin Ruth Wolf-Rehfeldt gewidmete Retrospektive in Potsdam wird ihrem Werk und Leben nicht gerecht

  • Lena Böllinger
  • Lesedauer: 6 Min.
Kunst zum Verschicken: Ruth Wolf-Rehfeldt, »Concrete Shoe«, o. J.
Kunst zum Verschicken: Ruth Wolf-Rehfeldt, »Concrete Shoe«, o. J.

Aus der Ferne sieht es aus wie eine Stickerei, doch je näher man kommt, desto deutlicher wird: Das Papier ist nicht bestickt, sondern betippt. Es sind Schrift-Bilder, nicht größer als eine Postkarte oder eine DIN-A4-Seite. Sie kommen als akkurate Mandelas daher, schnörkellos in strikt geometrischen Formen. Erst wenn man ganz nah davor steht, erkennt man die einzelnen Buchstaben und beginnt sogleich, nach einem verborgenen Sinn zu suchen. Hinter der starren Oberfläche versteckt sich ein neckisches Verwirrspiel. »Tippe deine eigene Kunst« – unter diesem Motto fertigte die DDR-Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt ab den 1970er Jahren sogenannte Typewritings an. Mit ihrer Schreibmaschine schuf sie Werke an der Schnittstelle von Konkreter Poesie, Grafikdesign und dadaistischer Collage. Das Minsk Kunsthaus in Potsdam widmet der heute 91jährigen Künstlerin jetzt eine Retrospektive mit dem Titel »Nichts Neues«.

Die Ausstellung gliedert sich in drei Episoden, die jeweils mit dem Titel eines ihrer Werke überschrieben sind: »Viele offene Fragen«, »Ob die Natur sich nicht übernahm, als sie sich den Menschen leistete« und »Wo stehen Sie?«. Leider erschöpft sich darin bereits die gesamte Ausstellungsidee. »Bei der Entwicklung des Ausstellungskonzeptes war es uns wichtig, die Künstlerin sprechen zu lassen«, schreiben die Kuratorinnen. Die Werke und ihre Titel sollten den »Weg zeigen«. Das misslingt. Beim Gang durch die Ausstellung entsteht kein Weg, die Anordnung der Exponate wirkt mal willkürlich, an anderer Stelle erscheinen die hergestellten Zusammenhänge eher erzwungen denn intuitiv. Die spärlichen Begleittexte verweisen lediglich auf das Offensichtliche oder warten mit nichtssagenden Worthülsen auf. Über die Künstlerin, ihr Leben, die Entstehung und Entwicklung ihres Werkes erfährt man kaum etwas.

Dabei werfen die Künstlerin und ihr Werk allerhand interessante Fragen auf. Wie kommt eine Malerin darauf, statt dem Pinsel die Schreibmaschine in die Hand zu nehmen? Wie macht man aus Sprache visuelle Kunst? Wie arrangiert sich eine Künstlerin mit durchaus politischen Werken mit dem Staatsapparat und den Zensurbehörden der DDR?

Der Reihe nach: Ruth Wolf-Rehfeldt macht zunächst eine Ausbildung zur Industriekauffrau, die Schreibmaschine ist ihr als Arbeitsgerät sehr vertraut. In den 1950er Jahren zieht sie nach Berlin, lernt dort ihren späteren Ehemann, den Maler Robert Rehfeldt kennen, beginnt zu zeichnen, zu malen und Gedichte zu schreiben. Ein künstlerisches Studium absolviert sie nie, sie bringt sich alles selbst bei. Sie sucht nach einer eigenen Ausdrucksform und findet sie schließlich in ihrer eigenwilligen Schreibmaschinenkunst. »Gedanken, Empfindungen, Absichten, etc. mit Hilfe der Schreibmaschine sprachlich-visuell auszudrücken, halte ich, obwohl nicht ganz neu, für ein zeitgemäßes Beispiel künstlerischer Aktivität«, schreibt sie um 1972 in ihrem Manifest Signs Fiction. Es gefällt ihr, einem »beliebigen Einfall oder Anliegen unmittelbar nachgehen zu können«. Sie betont den »spielerischen Aspekt« ihrer Kunst und die »Freude am Machen selbst«. Es entstehen über 800 Typewritings. Buchstaben werden über dem Papier verteilt, mal dichter, mal weiter. Es entstehen Muster, Schattierungen aus überlagerten Buchstaben, Zeichen aus Zeichen, teils sogar architektonische Gebilde und Collagen. Manchmal flackert Sinn über die Schrift-Bilder, blitzen Wortfetzen auf, kurz glaubt man, grammatikalischen oder geometrischen Regeln auf die Spur zu kommen, dann zerbröselt und zerfasert alles wieder in brüchige Buchstabenketten.

Offensichtlich hat Ruth Wolf-Rehfeldts Kunst wenig mit dem Sozialistischen Realismus gemein, wie ihn auch die DDR-Führung propagierte. Statt auf Wirklichkeitsnähe und Verherrlichung der Werktätigen und ihrer alltäglichen Mühen setzt Wolf-Rehfeldt auf Abstraktion und Formalismus und ist damit den damals angesagten Kunstströmungen des Westens näher. Gleichwohl entsteht ihr gesamtes Werk in der DDR, sie wird auch Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR. Als sie von einer Journalistin des Deutschlandfunks 2019 nach dem Politischen in ihrer Kunst gefragt wird, antwortet sie: »Politisch? Weiß ich nicht. Da müsste man wahrscheinlich aktiver geworden sein. Ich habe das eben alles mehr zurückhaltend gemacht.«

Stellung bezogen hat sie trotzdem, wenn auch subtil. So tauchen in ihrem Werk immer wieder ökologische Themen auf. Die starke Umweltverschmutzung, insbesondere durch die Chemieindustrie, war in der DDR durchaus ein heikles Thema. Ruth Wolf-Rehfeldt begegnet ihm mit Witz und Ernsthaftigkeit gleichermaßen. Das Werk »EVOLUTION« (1972) teilt ein Blatt Papier durch eine gepunktete Linie in zwei Hälften. An der Linie hangeln sich in unterschiedlichen Abständen Worte entlang: »NATURE. NATURE AND MEN. MEN AND NATURE. MEN END NATURE. MEN END MEN. NATURE.« Auch der Kalte Krieg, das Wettrüsten und die Angst vor einer atomaren Eskalation beschäftigen Ruth Wolf-Rehfeldt. Im Werk »PEACE IS A COMPLEX PROCESS« aus den späten 1970er Jahren schlängeln und winden sich die Buchstaben des schlichten Satzes über das Papier kreuzen und überlappen sich, aber – so viel Hoffnung muss sein – verknoten sich nicht.

Auch wenn sich Ruth Wolf-Rehfeldt mit ihrer Kunst eher aus einer Nische heraus und »zurückhaltend« geäußert haben mag, zurückgezogen lebte sie nicht. Im Gegenteil. Über ihren Mann lernt sie die Mail-Art-Szene kennen, eine Art Social-Media-Netzwerk des analogen Zeitalters. Künstlerinnen und Künstler, aber auch Laien schicken sich gegenseitig Postkarten mit Grafiken, Malereien oder Collagen. Ein paar davon werden auch in der Ausstellung gezeigt. Die Werke enthalten oft explizit oder implizit politische Botschaften. Auch hier geht es oft um ökologische Themen, die atomare Bedrohung, Krieg. Manchmal werden die Karten ergänzt und weiterverschickt. Es entstehen kollaborative, subversive Kunstwerke. Die Kontakte reichen von den Ostblockstaaten, über die USA bis in die Diktaturen Lateinamerikas. Ruth Wolf-Rehfeldt und ihr Mann beteiligen sich rege.

Eine letzte Mail-Art -Aktion startet Ruth Wolf-Rehfeldt 1990. Sie will die »positiven Eigenwerte der DDR« bewahren, hofft, es möge zu Verhandlungen unter »gleichberechtigten Partnern« kommen. Weder das eine noch das andere ist der Fall. Ruth Wolf-Rehfeldt beendet daraufhin ihr künstlerisches Schaffen. »In der DDR hatte man eine bestimmte Einstellung. Und das war ja auf einmal nicht mehr die richtige«, erinnert sie sich im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Mit dem Aufkommen der E-Mail war außerdem auch die Mail Art hinfällig, daran festzuhalten findet Ruth Wolf-Rehfeldt sinnlos. Insofern scheint es nur die halbe Wahrheit zu sein, wenn die Kuratorinnen der Ausstellung »Nichts Neues« schreiben, die Künstlerin habe »zum selbstgewählten Zeitpunkt« aufgehört zu arbeiten, »in der Gewissheit, dass alles gesagt wurde und es gültig bleibt«. Weder war der Zeitpunkt selbstgewählt, noch war alles gesagt, sodass nichts Neues mehr zu erwarten gewesen wäre. Mit dem Zusammenbruch der DDR und dem Einbruch der digitalen Kommunikation stürzte eher zu viel Neues auf die Künstlerin ein. Einfach weiterzumachen war nicht möglich. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk bringt sie es unprätentiös und direkt auf den Punkt: »Es dauert auch eine Zeit, ehe man damit fertig wird.« Solange entsteht eben: Nichts Neues.

»Ruth Wolf-Rehfeldt: Nichts Neues«, bis 7. Mai, Kunsthaus Das Minsk, Potsdam

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