Meilensteine auf einem langen Weg

Stilblüten, dichtende Arbeiter und zerbrochenes Glas: In Hellersdorf feiert eine Grundschule Richtfest

Lernen unter der Stromtrasse: Richtfest für den Schulneubau am Naumburger Ring in Hellersdorf
Lernen unter der Stromtrasse: Richtfest für den Schulneubau am Naumburger Ring in Hellersdorf

Langsam nimmt es Form an: Am Schulneubau am Naumburger Ring in Hellersdorf stehen Rohbau und Fassade, auch im Innenbereich ist der Schulbetrieb, der hier Ende des Jahres starten soll, mit ein bisschen Fantasie schon vorstellbar. Höchste Zeit also für das Richtfest. Eine kleine Menschentraube hat sich am Dienstagmorgen schon vor Beginn der Veranstaltung versammelt. Bauarbeiter in orangenen Warnwesten schießen Selfies, während Bezirkspolitiker interessiert das Gelände inspizieren. Die Bauleute hatten das Gelände am Vortag extra noch von Schlamm befreit, erzählt der Bauleiter zu Beginn.

»Die Grundschule wird sich hier gut in die Umgebung einfügen«, sagt Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) in ihrer Rede über den in Grau gehaltenen Funktionsbau am nordöstlichen Stadtrand. Auf einem großen Banner ist der Entwurf abgebildet: Der viergeschossige Bau teilt sich in zwei Flügel, gegenüber liegt eine ebenfalls neugebaute Turnhalle, dazwischen soll der Schulhof entstehen. Die Fassaden zieren gerasterte Ornamente. Auf dem Dach soll es eine extensive Begrünung geben, so Kahlfeldt. Direkt hinter dem Eingang werde sich ein großes Foyer befinden, darüber eine Galerie, berichtet sie weiter. Die Klassenräume seien in sogenannten Compartments angeordnet. Im Gegensatz zur klassischen »Flurschule« seien die Unterrichtsräume also rund um ein kleines Foyer angeordnet, das »individuelle Aufenthaltsmöglichkeiten« bietet, wie Kahlfeldt es formuliert. »Viele kleine Schulen in einer großen Schule«, versucht sie das komplexe Baukonzept für das Publikum verständlicher zu machen.

Das, was die neue Grundschule in Hellersdorf besonders macht, ist, dass sie eben nicht besonders ist: Es handelt sich um einen sogenannten Typenbau, bei dem ein einmal entwickelter Bauplan mit nur wenigen lokalen Änderungen an mehreren Standorten umgesetzt wird. Einen zweiten Bau dieses Typs gibt es bereits, sieben weitere werden folgen, so Kahlfeldt. Mit der Vereinheitlichung sollen Planungs- und Bauzeiten deutlich verkürzt werden. Auch die zeitfressenden Genehmigungsverfahren können so abgekürzt werden. »Ich bin mir sicher, dass auch die anderen Projekte zügig abgeschlossen werden können«, sagt Kahlfeldt.

Die Eile ist auch nötig, denn in Berlin gibt es nach wie vor einen großen Mangel an Schulgebäuden. Nachdem die Stadt in den letzten zehn Jahren um etwa eine halbe Million Menschen gewachsen ist, wird die Zahl der Erstklässler jedes Jahr größer. Nur mit Hauen und Stechen ist es im vergangenen Jahr gelungen, alle Schüler mit Schulplätzen zu versorgen. Die 576 Schulplätze, die am Naumburger Ring entstehen sollen, könnten zumindest für ein bisschen Erleichterung sorgen, hofft Alexander Slotty (SPD), Staatssekretär in der Senatsbildungsverwaltung. »Wir bauen nicht nur schneller, sondern auch mehr«, sagt er. Im Rahmen der Schulbauoffensive des Senats seien bisher 25 000 neue Schulplätze entstanden, weitere 30 000 sollen bis 2026 dazukommen.

Die Schulbauoffensive gilt als eines der Kernprojekte des rot-grün-roten Senats. Mehr als eine Milliarde Euro wird jedes Jahr in den Bau neuer Schulgebäude und die Sanierung alter Bestände investiert – ein Teil davon allerdings, um die stark gestiegenen Baukosten auszugleichen. Die Schulen würden höchsten Standards bei Energieeffizienz und Recycling entsprechen, auch an Barrierefreiheit sei gedacht, sagt Slotty. Vor allem aber folgten sie modernen pädagogischen Konzepten, so Slotty über die Compartmentschulen. Immer häufiger würden Fachpolitiker aus anderen Bundesländern in Berlin zu Besuch kommen, um sich die hier erprobten Konzepte anzusehen. »Die modernsten Schulen der Welt entstehen gerade in Berlin«, sagt Slotty.

Dass es dabei aber auch Hürden gibt, kann Gordon Lemm (SPD), Bezirksbürgermeister in Marzahn-Hellersdorf, berichten. Auf dem Gelände, auf dem jetzt die neue Grundschule entsteht, standen zuvor zwei rege von Vereinen genutzte Turnhallen. »Klar waren das intensive Diskussionen darüber, wohin die ausweichen konnten«, sagt er. »Aber alle sind sich bewusst, dass wir mehr Schulplätze brauchen, darum ging es dann doch vergleichsweise schnell.« Doch das nächste Problem lauerte schon: Direkt über das Gebäude führt eine Stromtrasse, die eine potenzielle Gefahrenquelle darstelle. In vielen langen Sitzungen sei um eine Lösung gerungen worden. »Die Menschen sehen das häufig nicht, aber die eigentliche Arbeit findet statt, bevor die Bagger rollen«, sagt Lemm. Ob das die zahlreichen Bauleute im Publikum ähnlich sehen? Die Blicke, die sie sich zuwerfen, lassen anderes vermuten.

Die Stilblüte ist aber schnell vergessen, als das Programm seinen Höhepunkt erreicht: Ein Polier steigt auf das Baugerüst und verliest den Richtspruch. »Der Senat in Berlin stellte klar – neue Schulen braucht die Schülerschar«, trägt der dichtende Arbeiter vor. »Ein Ort, an dem Toleranz und Respekt vorgelebt wird, ein Ort, an dem Fleiß und Ehrgeiz entstehen« solle die neue Schule sein. »Der Richtkranz hängt hier gleich oben – alle Handwerker möchte ich loben«, fährt der Polier fort und leert nach jedem Stabreim ein Glas Weißwein in einem Schluck. »Nun das Glas zersplittere im Grund – geweiht sei dieses Haus zur Stund’«, schließt er, nimmt einen letzten Schluck und wirft das Glas nach alter Sitte auf den Boden.

Nur ein Detail kann das Richtfest dann noch trüben: Die Firma Klebl, die den Schulbau in Hellersdorf verantwortet, hat in der Oberpfalz ihren Sitz und fertigt dort auch einen Teil der verwendeten Bauelemente. Entsprechend ziert ein Band in den bayerischen Landesfarben weiß und blau den Richtkranz. »Beim nächsten Mal bestellen wir dann rot-weiß«, sagt Petra Kahlfeldt in Anspielung auf die Berliner Landesflagge.

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