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  • Erbeben in der Türkei und Syrien

Visa-Erleichterungen: Wie kann man Angehörige nach Berlin holen?

Das Landesamt für Einwanderung erleichtert die Einreise von Angehörigen aus Erdbeben-Gebieten, doch es bleibt kompliziert

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.
Abertausende Menschen haben durch das Erdbeben alles verloren. Die türkische, kurdische und syrische Diaspora versucht deshalb, Angehörige mit Visa nach Berlin zu holen.
Abertausende Menschen haben durch das Erdbeben alles verloren. Die türkische, kurdische und syrische Diaspora versucht deshalb, Angehörige mit Visa nach Berlin zu holen.

»Das Verfahren ist nicht einfach«, betont Engelhard Mazanke gleich zu Beginn, »nicht einfach!« Der Leiter des Landesamtes für Einwanderung (LEA) stellt am Dienstagabend die Visa-Regelungen vor, mit denen Betroffene aus den türkischen und syrischen Erdbebengebieten nach Berlin einreisen können. Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) hat ihn zu der Informationsveranstaltung eingeladen.

Mazanke weiß: Ein Großteil der Anwesenden will entweder selbst Angehörige so schnell wie möglich aus den Trümmern heraus und nach Deutschland holen oder türkischen, syrischen und kurdischen Gruppen dabei helfen. Als höchster Vertreter der Berliner Ausländerbehörde will er ihnen keine zu großen Hoffnungen machen.

Emotional ist der Abend ohnehin. Die Vorständin des TBB Ayşe Demir eröffnet den Vortrag mit einer Gedenkminute. »Ich persönlich empfinde das Ausmaß kollektiven Trauerns so stark und tief wie nie zuvor. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht an die Verstorbenen und ihre Angehörigen denken«, sagt sie. Eine praktische Antwort darauf sei der Versuch, Angehörigen einen Weg nach Deutschland zu ermöglichen.

Darauf folgt der juristische Teil des Abends. Mazanke unterscheidet zwischen den dauerhaften und zeitlich begrenzten Visa. »Es ist wichtig, dass man den Zug ›Visaverfahren‹ von Anfang an auf das richtige Gleis setzt.« Für ein dauerhaftes Visum, das einen Aufenthalt über 90 Tage hinaus erlaubt, kommt der Familiennachzug infrage. Berliner*innen mit unbefristetem Aufenthalt oder deutschem Pass, die Mitglieder ihrer Kernfamilie, also Eltern, Kinder und Ehepartner*innen, aus betroffenen Gebieten in der Türkei oder Syrien holen wollen, bekommen laut Mazanke eine sogenannte Globalzustimmung. Die deutschen Botschaften behandeln diese Anträge also prioritär und möglichst schnell.

Dieses beschleunigte Verfahren hat aktuell nur Berlin beschlossen. Der Bund habe aber die übrigen Länder dazu aufgerufen, es Berlin gleichzutun, so Mazanke. Berliner*innen mit befristetem Aufenthaltstitel wie Studierenden steht der Familiennachzug zwar auch offen, sie fallen allerdings nicht unter die Globalzustimmung.

Für Angehörige zweiten Grades, also Geschwister oder Großeltern inklusive deren Kernfamilie, kann das D-Visum beantragt werden. Damit die Verwandten für 90 Tage einreisen dürfen, braucht es eine Verpflichtungserklärung der in Berlin Ansässigen. Das bedeutet: Sie haften für alle öffentlichen Mittel, die die eingereisten Angehörigen während ihres Aufenthalts in Anspruch nehmen. Seien es Krankenhauskosten, Unterbringung, Verpflegung – die Verpflichtungserklärenden müssen dafür aufkommen. Das LEA empfiehlt den Abschluss einer Krankenversicherung mit einer Deckungssumme von 30 000 Euro. Zusätzlich sollte das Einkommen, um eine erwachsene Person herzuholen, bei mindestens 1256 Euro liegen, für jede weitere Person brauche es 333 Euro extra, für ein Kind 196 Euro. »Wir schauen dann: Wie viele Verwandte passen in diese Summe«, so Mazanke.

Während Familiennachzug und D-Visum nur in Berlin vereinfacht wurden, wurde auf Bundesebene eine weitere Option geschaffen: Das Notfallvisum nach Artikel 25 des Visa-Codex. Es betrifft dieselben Personengruppen wie das D-Visum und verlangt ebenfalls nach ausreichend Geld, doch es gilt ausschließlich für Deutschland, nicht für den EU-Raum und lässt sich im Grundsatz nicht verlängern. Laut Mazankes Darstellung eindeutig der schlechteste der drei Wege: »Wenn Sie dieses Verfahren wählen, müssen Sie sich fragen, was danach passiert.«

Nachfragen aus dem Publikum weisen auf Schwierigkeiten hin: Liegt der Pass unter den Trümmern vergraben? Kein Visum. Vergeben die deutschen Konsulate in Amman und Beirut, eigentlich für Syrer*innen zuständig, schlicht keine Termine? Kein Visum. Haben die Angehörigen in Deutschland weder Vermögen noch Einkommen, weil sie etwa von Rente leben? Keine Bonität – kein Visum. Ein älterer Mann schildert genau eine solche Situation. Sieben Verwandte habe er verloren, »mit denen, die mir bleiben, möchte ich mein Bett und Brot teilen.« Wenn sein Freund zufällig vermögend wäre, könnte der dann die Solvenzpflicht übernehmen? »Sie könnten sich bei ihm als Haushaltshilfe anstellen lassen und dann Einkommen beziehen«, gibt Mazanke einen Tipp.

Wenn Angehörige einmal in Berlin angekommen sind, ist die Frage, wie es weitergeht. Läuft der Aufenthalt über das D-Visum, rät Mazanke zu einem Systemwechsel noch während der 90-tägigen Laufzeit. Ob über eine Ausbildung, einen Sprachkurs oder eine Au-Pair-Stelle – »alles, was legal ist und erleichtert, ist möglich.«

Aktuell hält sich die Nachfrage nach den erleichterten Visa in Grenzen, berichtet Mazanke. In den vergangenen 24 Stunden seien lediglich 25 Verpflichtungsanträge eingegangen, in ganz Deutschland wurden bisher nur 582 Erdbeben-Visa ausgestellt. Da seine Behörde aber ohnehin überlastet sei, habe er 13 Anfänger*innen eingestellt, die sich nach einer kurzen Einarbeitungsphase ausschließlich um die Anträge kümmern werden.

Die großen Einreise-Erleichterungen lassen indes auf sich warten. Die EU könnte wie schon beim Ukraine-Krieg die Massenzustrom-Richtlinie anwenden und damit Erdbeben-Betroffenen Reisefreiheit gewähren. Doch hierfür sieht Mazanke nicht den politischen Willen. Ebensowenig hält er ein Bundesaufnahmeprogramm für realistisch – dafür bräuchte es einen entsprechenden Beschluss aller Innenminister*innen und der Bundesregierung. »Rechtlich hat die Bundesregierung mehr Möglichkeiten, sie schöpft diese nur nicht aus«, so Mazanke. Auf Landesebene wäre ebenfalls ein Aufnahmeprogramm denkbar. »Das könnte man machen, das gibt es aber noch nicht.« Nicht einmal zu einem dreimonatigen Abschiebungsstopp in die Türkei und Syrien hat sich die Berliner Innenverwaltung bisher durchgerungen.

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