Langfristige Pläne für die KZ-Gedenkstätten

Sachsenhausen erhält neues Besucherzentrum, Ravensbrück will alte Schneiderei als Depot und für Ausstellungen nutzen

»Ein Blick nach vorn zurück«, nennt es Direktor Axel Drecoll am Mittwoch. Seine Stiftung brandenburgische Gedenkstätten feiert im Oktober 30. Geburtstag. 1993 übernahm die eigens dazu gegründete Stiftung die KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück, die 1961 beziehungsweise 1959 eröffnet worden waren. Langfristige Zielplanungen aus dem Jahr 1996 wurden bis 2017 für insgesamt 78 Millionen Euro schrittweise umgesetzt.

Doch dies ist nicht das Ende. Seit Jahren beschweren sich Anwohner von Sachsenhausen über Reisebusse, die durch die holperige Zufahrt rumpeln und mit laufendem Motor auf ihre Fahrgäste warten. Nun gibt es nach schier endlosen Streitereien, die manchmal den Respekt vor dem historischen Ort vermissen ließen, eine Kompromisslösung. 2025 soll für drei Millionen Euro ein neuer Busparkplatz entstehen und außerdem der Bau eines neuen Besucherzentrums starten. Das alte ist längst zu klein für die große Zahl von Gästen aus aller Welt. Nach den pandemiebedingten Einschränkungen der Jahre 2020 und 2021, in denen insgesamt nur 248 000 Besucher gezählt worden waren, strömten im vergangenen Jahr 355 000 Menschen herbei, um die Ausstellungen auf dem weitläufigen Gelände zu besichtigen. 2019, vor Corona, waren mehr als 700 000 Gäste hier gewesen. Es ist durchaus damit zu rechnen, dass es wieder in diese Richtung gehen wird und vielleicht auch noch über diese Marke hinaus. Dafür muss die Gedenkstätte fit gemacht werden.

Besucherzahlen im Jahr 2022
  • Seit 1993 zählten die Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen zusammen rund 15 Millionen Besucher.
  • Die Gedenkstätte für die Euthanasie-Opfer in Brandenburg/Havel übertraf mit 5692 Besuchern im Jahr 2022 leicht die Zahl vor Corona. Der Gedenkort Zuchthaus Brandenburg zählte 1902 Besucher.
  • Die KZ-Gedenkstätte Ravensbrück zählte im vergangenen Jahr 60 000 Gäste, nachdem es in den zwei Corona-Jahren zuvor nur etwa halb so viele gewesen waren, 2019 aber 110 000.
  • Die Potsdamer Begegnungsstätte Leistikowstraße verzeichnete 7943 Gäste.
  • Die Stiftung hat einen Jahresetat von 8,4 Millionen Euro. af

    Ende vergangenen Jahres billigte der Stiftungsrat eine von drei Varianten für eine neue Zielplanung, die in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Architekturbüro Aicher Ziviltechniker GmbH entwickelt wurden. Vorgesehen ist demnach neben dem neuen Besucherzentrum mit Buchladen noch ein zweiter Neubau mit Seminarräumen, Büros und Café sowie die Sanierung der 60 historischen Bauwerke auf dem Areal. Das Neue Museum, in dem bisher Dauer- und Sonderausstellungen zu sehen waren, soll für große Veranstaltungen erschlossen werden. Dagegen soll der kleine Veranstaltungssaal in der ehemaligen Lagerwäscherei dann Sonderausstellungen aufnehmen.

    Die Vorhaben allesamt umzusetzen, wird wieder Jahre dauern und noch einmal geschätzt 70 Millionen Euro kosten. »Dafür haben wir noch keinerlei Finanzierungszusage«, stellt Direktor Drecoll dar. Oder doch, aber nur für ein einziges Projekt: das sechs Millionen Euro teure Besucherzentrum. Denn dafür fließen je drei Millionen Euro aus dem eingezogenen Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR sowie aus dem Zukunftsinvestitionsfonds des Landes Brandenburg.

    Auch für die Gedenkstätte Ravensbrück gibt es eine Zielplanung, überarbeitet vom Architekturbüro Kannenberg & Kannenberg aus Wittstock. Nachdem die Gedenkstätte lange von dem vorgelagerten Gelände am See gelebt hat, von den Ausstellungen im Zellenbau und in der Kommandantur, sollen nun stärker das einstige Häftlingslager und der alte Industriehof genutzt werden. Sie waren in der DDR durch eine sowjetische Kaserne belegt. Teile der Hauptausstellung sollen aus der Kommandantur in die ehemalige Schneiderei verlegt werden, die für diesen Zweck denkmalgerecht saniert werden muss. Auch als Depot soll die Schneiderei genutzt werden. Die Gesamtkosten für alle Planungen beziffert Gedenkstättenleiterin Andrea Genest auf 36 Millionen Euro.

    Die Ziele stehen auch unter dem Einfluss der Tatsache, dass in absehbarer Zeit die letzten hochbetagten Überlebenden nicht mehr als Zeitzeugen zur Verfügung stehen werden. Zum Jahrestag der 1945 von sowjetischen und polnischen Truppen befreiten Konzentrationslager werden im April noch 20 Überlebende erwartet. Wieder nicht kommen kann der 97-jährige Wolodymyr Korobov, der 1943 ins KZ Sachsenhausen verschleppt wurde und jetzt wegen des Ukraine-Kriegs in Kiew festsitzt. »Die gute Nachricht ist: Er lebt noch«, sagt Kulturministerin Manja Schüle (SPD).

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