Schlafen verboten bei G20-Protest

Gericht bestätigt Campverbot beim G20-Gipfel, Kläger kritisieren Angriff auf Grundrechte

  • Christopher v. Savigny
  • Lesedauer: 3 Min.

Sind Schlafen und Essen ein notwendiger Teil des politischen Protests? Muss man sich waschen können, bevor man auf die Barrikaden geht? Knapp sechs Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg hat sich das Oberverwaltungsgericht (OVG) in der Hansestadt in zweiter Instanz mit der Frage befasst, ob das erlassene Teilverbot für ein Protestcamp im Altonaer Volkspark seinerzeit rechtens war oder nicht.

Nach lediglich einem Verhandlungstag – anberaumt waren zwei Tage – wurde am Donnerstag das Urteil verkündet: Die Beschränkungen seien »rechtlich nicht zu beanstanden« gewesen, hieß es in einer Presseerklärung des OVG. Eine schriftliche Urteilsbegründung will das Gericht innerhalb der nächsten Wochen nachreichen.

Ein breites Bündnis von politischen Organisationen, unter anderem der Verein Attac, die Interventionistische Linke sowie mehrere Studierendenverbände hatten den Protest 2017 unterstützt. »Wir bedauern dieses enttäuschende Urteil«, sagt Attac-Vertreter Dirk Friedrichs zum »nd«. »Wir halten diese Duldung des Angriffs auf politische Grundrechte durch Stadt und Polizei Hamburg für sehr bedenklich. Es war der erklärte politische Wille des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz und des G20-Einsatzleiters Hartmut Dudde, Camps sogar in der gesamten Stadt zu verhindern.«

Dieser Einschätzung hat das Gericht ausdrücklich nicht widersprochen. Eine weitere Gerichtsverhandlung scheint zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen. »Wir werden eine Revision prüfen«, so Friedrichs.

Dem G20-Gipfel war ein langes Hickhack um erlaubte und nicht erlaubte Protestformen vorausgegangen: Ein ursprünglich geplantes »Antikapitalistisches Camp« im Hamburger Stadtpark hatte die Stadt zunächst mit Hinweis auf die Grünanlagenverordnung untersagt. Nach einem Veto des Bundesverfassungsgerichts wurde dieses Verbot kurz danach abgemildert: Das Camp falle unter das Thema Versammlungsfreiheit und sei daher zu genehmigen. Die Stadt dürfe jedoch Umfang und Dauer der Veranstaltung bestimmen.

Ein weiteres Zeltlager im citynahen Elbpark Entenwerder bekam zwar eine Zulassung – allerdings hatte die Polizei nach Angaben der Veranstalter die Zufahrtswege blockiert und den Teilnehmern eine deutlich kleinere Fläche zugewiesen, als vereinbart. Später hat die Polizei zudem Schlafzelte beschlagnahmt und Pfefferspray versprüht. Viele Teilnehmer wichen daraufhin ins Stadtzentrum aus und veranstalteten unter dem Motto »Rechtsstaat oder Polizeistaat« ein »Spontancamp« auf dem Hamburger Rathausmarkt.

Für das schlussendlich genehmigte Camp im Altonaer Volkspark hatte die Versammlungsbehörde nach Auskunft von Attac lediglich 20 Versammlungszelte und 50 Toiletten zugelassen. Erst fünf Tage später – unmittelbar vor dem G20-Wochenende – seien 300 Schlafzelte, eine Küche und zwei Waschzelte zusätzlich erlaubt worden. Frauke Diestelrath, Geschäftsführerin von Attac Deutschland, findet dies nach wie vor zu wenig: »Wer umstrittene Staatschefs wie Putin, Trump, Erdoğan und Xi Jinping einlädt, der steht in der Pflicht, Versammlungen dagegen zu ermöglichen. Dazu gehören auch Protestcamps samt der notwendigen Infrastruktur wie Schlafplätzen, Kochstellen und Sanitärbereichen. Ein Angriff auf politische Grundrechte wie 2017 in Hamburg darf nicht geduldet werden. Das klarzustellen, ist auch sechs Jahre nach dem G20-Gipfel und in zweiter Instanz wichtig.«

Sowohl die Stadt als auch die Polizei Hamburg hätten seinerzeit – so die Haltung von Attac – alles daran gesetzt, Camps für angereiste Teilnehmer zu verhindern – und zwar auch außerhalb einer zu dem Zweck eingerichteten, 38 Quadratkilometer großen Versammlungsverbotszone. Die damalige Argumentation sei gewesen, Camps und die notwendige Infrastruktur für Proteste wie Unterbringungs-, Versorgungs- und Sanitärgelegenheiten stünden nicht unter dem Schutz von Artikel 8 des Grundgesetzes, der die Versammlungsfreiheit regelt. Zahlreiche andere Gerichtsurteile zu Protestcamps hätten jedoch klargestellt, dass Schlaf- und Versorgungszelte unabdingbar seien, sofern angereiste Teilnehmer ohne sie nicht an den mehrtägigen Protesten teilnehmen könnten. Dies sei aus Sicht von Attac in Hamburg »eindeutig der Fall« gewesen.

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