Die Linke: Mehr Good Vibrations wagen!

Wo sind die Erfolge der Linken? Die Partei hat zu sehr schlechte Laune

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 6 Min.

Es ist ein Kreuz mit dem Fortschritt. Nie tut er das, was man erwartet. Da hatten Bürgerrechtler in den USA jahrelang gefordert, dass dem Obersten Gerichtshof auch People of Colour angehören, und dann war ausgerechnet Clarence Thomas – ein erzkatholischer Reaktionär, der privaten Waffenbesitz befürwortet und Abtreibung ablehnt – der erste Schwarze, dem dies gelang. Man darf bezweifeln, dass Malcolm X darüber gejubelt hätte.

Auch hielt sich bei Linken die Freude in Grenzen, als Maggie Thatcher elf Jahre lang, von 1979 bis 1990, Europas erster weiblicher Regierungschef war. Was ihren männlichen konservativen Vorgängern nicht gelungen war, schaffte die »Eiserne Lady«: Mit äußerster Härte und Unerbittlichkeit privatisierte sie Staatsunternehmen und entmachtete die Gewerkschaften. Seitdem ist die britische Arbeiterklasse politisch und moralisch erledigt, und die Labour Party hütet sich davor, das Wort »Sozialismus« in den Mund zu nehmen.

Noch mehr abschreckende Beispiele gefällig? Als die Schwulenbewegung von offen homosexuellen Politikern träumte, wird sie kaum Männer wie Jens Spahn im Sinn gehabt haben. Und wie heißt gleich die Frau, die als Verteidigungsministerin ins höchste Amt der Europäischen Union weggelobt wurde? Hatte die Ohnsorg-Theater-Schauspielerin Heidi Kabel am Ende recht, als sie sagte: »Die Emanzipation ist erst dann vollendet, wenn auch einmal eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufgerückt ist«?

Aber Linke sind ja Kummer gewohnt. Nimmt man die feisten, selbstzufriedenen Konzernchefs Jeff Bezos (Amazon), Mark Zuckerberg (Facebook, Instagram) und Elon Musk (Tesla, Twitter) als Maßstab, dann geht es dem Kapitalismus heute besser denn je. Che Guevara war gestern; die Milliardäre der digitalen Welt sind die Polit-Popstars von heute. Einstige Lichtgestalten wie Willy Brandt werden hingegen kritisch gesehen. Den »Radikalenerlass« haben manche Linke ihm nie verziehen. Und in puncto Frauen war Willy – aus heutiger Sicht – ein ziemlicher Sexist.

Eine Schlüsselformulierung: »aus heutiger Sicht«. Im Umgang mit der Historie sind Linke abwechselnd geschichtsbesessen und geschichtsvergessen. Davon kann die SPD ein Lied singen. Wann immer sie an der Regierung das Parteiprogramm gegen die Realpolitik austauschte, ertönte die vertraute Leier: »Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten«, gefolgt von dem Hinweis, dass die SPD 1914 für die Kriegskredite gestimmt hat.

Zugleich ist selbst das Weltbild jener Linken, die Karl Marx nur vom Hörensagen kennen, vom Schwarz-Weiß-Denken des 19. Jahrhunderts geprägt. Damals standen wenigen Bonzen zahllose Habenichtse gegenüber. Heute hingegen gibt es in Europa eine breite Mittelschicht. Hierzu zählen Facharbeiter und kleine Angestellte, die – statt von der Revolution – vom Reihenhaus träumen. Oder fürchten, es zu verlieren. Doch die Mittelschicht mit ihren berechtigten Abstiegsängsten ist selbst für gemäßigte Linke nicht existent. Ausgerechnet die wirtschaftsliberale FDP musste die SPD daran erinnern, dass eben nicht die Superreichen unter der kalten Progression leiden, sondern die ureigene sozialdemokratische Klientel: Arbeitnehmer, deren Lohnzuwächse von steigenden Steuersätzen aufgefressen werden.

Es ist nicht der einzige blinde Fleck der Linken. Auch was soziale Benachteiligung angeht, hängt sie bewusstseinsmäßig tief in der Vergangenheit fest. Für sie haben die 60er Jahre, als Frauen, »Gastarbeiter« und Homosexuelle wie Menschen zweiter Klasse behandelt wurden, nie geendet – einmal Opfer, immer Opfer. Die Frau, die zur Abteilungsleiterin aufgestiegen ist, das schwule Pärchen, das nahtlos ins Dorfleben integriert ist, der Migrant, der einen Handwerksbetrieb aufgebaut hat – all diese Menschen kommen im linken Weltbild nicht vor.

Dadurch entsteht eine paradoxe Situation. Die Partei, die sich als Fürsprecherin der Unterdrückten definiert, Die Linke, wird von eben diesen nicht gewählt. Wundern sollte sie sich nicht. Die Reduzierung eines Menschen auf die Opferrolle hat etwas Herablassendes und Gönnerhaftes. Die Rollen sind genauso hierarchisch festgelegt wie in den »Brot für die Welt«-Kampagnen zu Weihnachten: dort das hungernde Kind in Afrika, hier der gutherzige Deutsche, der es vor dem Tod bewahrt.

Es kommt aber noch etwas hinzu, das viele Linke unterschätzen. Und das ist die gute Laune. Wie »Good Vibrations« Massen bewegen können, demonstrierte die Technokultur. Bei der ersten Loveparade 1989 zogen ganze 150 Leute durch Berlin, zehn Jahre später waren es 1,5 Millionen. Dabei ging es nicht nur um Musik. Dem Herausgeber der Technozeitschrift »Frontpage«, Jürgen Laarmann, schwebte eine »Raving Society« vor – eine »ravende Gesellschaft mit lauter glücklichen Leuten, die mit ihrer Identität und Funktion zufrieden sind, genügend Spaß, gute Laune, Sex, gesundes Urteilsvermögen, hohes Selbstbewusstsein etc. haben«.

Das klingt wie Marx auf Ecstasy und wirft die Frage auf, warum Linke eine solch euphorische Vision nicht mal zu denken wagen. Lieber verkünden sie mit der Penetranz eines Teleshopping-Senders die gleiche Botschaft: »Die Welt ist schlecht und ungerecht.« Nicht nur deprimiert sie die Zuhörer und Leser auf Dauer so sehr, dass diese sich irgendwann abwenden. Nein, die immer gleiche Gebetsmühle beleidigt auch den Intellekt.

Die hoffnungsfrohe Aussage »Viel getan, viel zu tun« beschreibt ziemlich gut, was westliche Linke in den letzten Jahrzehnten bewirkt haben und was noch vor ihnen liegt. Tatsächlich stammt dieser Slogan von Roland Kochs CDU, die damit 2003 in Hessen die absolute Mehrheit gewann. Doch es sind genau solche Botschaften, die auch Sympathisanten linker Bewegungen und Initiativen hören wollen. Wer immer nur zum Kämpfen (gegen Faschismus, Rassismus, Sozialabbau etc.) aufgefordert wird, ermattet irgendwann. Von Zeit zu Zeit muss man Erfolge vermelden. Nur so werden die eigenen Anhänger daran erinnert, dass es sich lohnt zu kämpfen.

Es liegt in der menschlichen Natur, dass man auf Ziele, die man gemeinsam erreicht hat, »stolz« ist. Zugegeben, ein tückisches Wort. Nur der Antifaschist und ehemalige Exilant Willy Brandt konnte es sich 1972 erlauben, von Wahlplakaten herab zu verkünden: »Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land.« Aber es funktionierte; die SPD fuhr das Rekordergebnis von 45,8 Prozent ein. Das kann man heute nicht mehr bringen, die Parole ist ruiniert und rechts.

Doch es gibt auch andere Wege, die eigene Anhängerschaft zu motivieren. Während die kommunistische Partei Westdeutschlands, die DKP, nie mehr als knapp über 30 000 Mitglieder zählte, brachte es ihre italienische Schwesterpartei, die »eurokommunistische« PCI, auf 1,5 Millionen Mitglieder. Bei Parlamentswahlen holten die Kommunisten bis zu 34,4 Prozent der Stimmen. Wie ihnen das gelang? Durch schiere Lebenslust.

Bei der »Festa nazionale dell’Unita«, dem Volksfest der kommunistischen Partei Italiens, floss der Champagner reichlich. »Sie haben es gelernt, ihren Landsleuten glühend die Utopie eines endzeitlich fernen Sozialismus zu beschwören und dabei doch dem irdischen Vergnügen des guten Lebens im kapitalistischen Italien herzhaft verbunden zu bleiben.« Diesen Spagat bezeichnete der »Spiegel« 1986 abfällig als »Gucci-Kommunismus«. Dabei war die Haltung dahinter grundsympathisch. Wer ein besseres, glücklicheres Leben für alle einfordert, sollte mit gutem Beispiel vorangehen.

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