Die Erzählung vom verhängnisvollen Versehen

Ein Mann aus Niedersachsen soll wegen der Tötung seiner Frau und illegalen Waffenbesitzes für 13 Jahre in Haft

  • Katja Spigiel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Mutter (l.) und Schwester (r.) von Besma A. im Zeug*innenstand.
Die Mutter (l.) und Schwester (r.) von Besma A. im Zeug*innenstand.

Besma liegt auf dem Sofa in ihrem Zuhause im niedersächsischen Einbeck. Als sie mutmaßlich dabei einschläft, tötete ihr alkoholisierter Ehemann sie mit einem Kopfschuss. Cemal A. ruft daraufhin den Notruf und erklärt, dass er seine Frau aus Versehen erschossen habe. In den 54 Prozesstagen am Landgericht Göttingen überließ der 51-Jährige seiner Verteidigung das Sprechen. Er selbst setzte die gesamte Zeit ein Pokerface auf.

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat sich der Angeklagte betrunken, um einen Unfall realistischer erscheinen zu lassen. Seine Verteidiger*innen beharren indes auf einem tragischen Versehen. Das Landgericht Göttingen hält diese Version für unwahr. Am Samstag verkündete der Richter, dass es sich um Mord gehandelt haben muss. Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine gewisse alkoholbedingte Schuldunfähigkeit bestanden habe, und doch muss die Tat nach Ansicht der Kammer, wenn auch kurzfristig, geplant gewesen sein.

Zur Urteilsverkündung kamen Besmas Angehörige überpünktlich. Ihre Stimmung war sichtlich getrübt, die Mutter der Getöteten brach schon vor Beginn der Verhandlung zusammen. Als der Richter spricht, halten sich Mutter und Schwester der Getöteten im Zeugenstand weinend in den Armen. Cemal A. weicht im Moment der Urteilsverkündung zum ersten Mal von seiner versteinerten Miene ab. Er wirkt ernüchtert und schnauft hörbar.

Vertreten wurde Cemal von Florian Melloh und Gabriele Heinecke. Letztere vertrat unter anderem schon Aktivist*innen bei G20-Prozessen und die Angehörigen von Oury Jalloh. Im Schlussplädoyer mahnte sie gemeinsam mit ihrem Kollegen davor, die Geschehnisse in der Tatnacht mit Spekulationen aufzuladen. Die Zeug*innenaussagen von Besmas Familie hätten eine »Belastungstendenz«, da sie im Interesse der Getöteten formuliert seien. Da ein Großteil von Besmas Angehörigen in den Niederlanden lebt, tauschten sie sich vor allem über Messenger-Dienste aus. Ihre Aussagen bezögen sich auf diesen Austausch und darauf, was Besma dort behauptet habe – und das sei laut Melloh nicht eindeutig überprüfbar. Ein Mordmotiv sei nicht bewiesen worden, außer »man geht nicht von einer Nullhypothese, sondern von einem Vorurteil aus«.

Manfred Koch vertritt die Familie als Anwalt der Nebenklage. Die Erzählung vom »tragischen Unfall« hält er für »weltfremd«. Für ihn sei klar: Besma sei einem Femizid zum Opfer gefallen. Die Nachrichten und Sprachaufnahmen, in denen sie über ihre Ehe klagte und von Gewalt, Beleidigungen und Drohungen ihres Mannes berichtete, wurden zum Verhandlungsgegenstand. Laut Koch sei das Opfer so selbst als Zeugin zu hören gewesen. Sie habe beschrieben, dass sie erniedrigt und geschlagen worden sei. »Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Das zu relativieren ist absolut fragwürdig.«

Koch sagt, er habe den Eindruck, dass die Verteidigung so getan habe, als habe Besma das konstruiert. Das sei »absurd«. Seit dem Mai 2021 begleitete die feministische »Initiative Prozessbeobachtung Besma A.« den Fall. Im Gespräch resümiert eine Aktivistin, dass Besma die Ressourcen genutzt habe, die ihr zur Verfügung gestanden hätten. »Sie hat ihre sozialen Kontakte aktiviert und ihre Erfahrungen geteilt. Das sind die Beweise, die vorliegen.«

Im Verlauf der Verhandlung, die sich über zwei Jahre hinzog, kündigte der Richter mehrfach an, die Beweisaufnahme schließen zu wollen. Nicht nur einmal brachte ihn die Verteidigung davon ab und stellte neue Beweisanträge. Diese sollten zeigen, dass die Eheleute ein harmonisches Miteinander pflegten. Es wurden unter anderem private Foto- und Videoaufnahmen gesichtet, die Besma bei Anlässen wie Familienfesten zeigten und auf denen sie laut der Verteidigung nicht unzufrieden wirkte.

In einer Sprachnachricht sagte Besma: »Ich kann ihn nicht ausstehen. Gut, dass er arbeitet, sonst hätte einer von uns den anderen getötet.« Für das Gericht steht außer Frage, dass Cemal und Besma miteinander unglücklich waren. Der 51-Jährige habe seine Frau also loswerden wollen. Für die Tötung der dreifachen Mutter und illegalen Waffenbesitz soll er für insgesamt 13 Jahre in Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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