Unter Wert verkauft

Warnstreik an Krankenhäusern: Gewerkschaft wirft Vivantes vor, Patienten zu gefährden

Es wird voll, sehr voll: Bei der Streikversammlung im nd-Haus am Franz-Mehring-Platz ist am Montagmorgen schon vor Beginn kein Durchkommen mehr. Alle Plätze sind besetzt, auch auf den Fensterbänken drängeln sich Gewerkschafter in gelben Warnwesten. Vor den geöffneten Türen stehen Menschen, die es nicht mehr in den Raum geschafft haben und versuchen, von außen dem Geschehen drinnen zu folgen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat zum Warnstreik in den Berliner Krankenhäusern aufgerufen. Zur Streikversammlung gekommen sind Delegationen von zahlreichen Standorten der beiden großen Krankenhausgesellschaften Charité und Vivantes sowie vom Jüdischen Krankenhaus, auch Vertreterinnen der Vivantes-Tochtergesellschaften sind da.

1000 Beschäftigte seien berlinweit an Krankenhäusern in den Streik getreten, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Max Manzey zu »nd« und spricht von einer »hohen Streikbeteiligung insgesamt«. Von den Auswirkungen in den Krankenhäusern berichten die lokalen Streikposten. Drei Stationen hätten am Jüdischen Krankenhaus geschlossen werden müssen, so eine Vertreterin der Streikversammlung. »Bei uns ist ein OP zu«, ruft eine Streikende vom Vivantes-Klinikum in Neukölln unter lautem Applaus. Die Hälfte der Belegschaft sei dort im Streik. An anderen Standorten würden Kreißsäle, radiologische oder Dermatologie-Abteilungen bestreikt, wie Mitarbeiterinnen berichten. Zahlreiche planbare Operationen seien verschoben worden, teilweise lägen Verwaltung und Krankenhaus-Kitas lahm.

Die Krankenhäuser bestätigen die Einschränkungen im Betrieb, schwächen aber ab: »Die Krankenversorgung findet auch heute geordnet statt«, erklärt Markus Heggen, Pressesprecher an der Charité. An allen drei Standorten der Charité habe es demnach Arbeitsniederlegungen gegeben, nur noch zwei Drittel der Operationssäle seien in Betrieb. Zentrale Notaufnahmen blieben aber offen, ebenso gebe es keine Einschränkungen bei Operationen bei Kindern.

Damit die Patienten nicht zu sehr unter dem Streik leiden, gibt es Notdienste. Planbare Behandlungen werden verschoben, während Notfälle weiter behandelt werden. Formale Vereinbarungen über diese Notdienste konnten allerdings nicht getroffen werden. Während die Geschäftsführung des Jüdischen Krankenhauses kooperativ sei, gebe es bei den Vivantes-Krankenhäusern Streit um die Notfallversorgung, berichtet Max Manzey. Demnach werden auf manchen Stationen mehr Betten belegt, als es die Streikbeteiligung erlauben würde. »Vivantes versucht, die Beschäftigten unter moralischen Druck zu setzen«, sagt Manzey. »Die Kollegen bleiben aber standhaft.« Die Vivantes-Geschäftsleitung gefährde so das Patientenwohl. Wenn keine Einigung über einen Notdienst zustande kommt, stelle Verdi in jedem Fall einseitig eine Mindestbesetzung nach dem eigenen Angebot.

Der Warnstreik an den Berliner Krankenhäusern ist Teil des bundesweiten Arbeitskampfes im öffentlichen Dienst. Verdi und Beamtenbund wollen 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr für die 2,5 Millionen Beschäftigten, die bundesweit unter den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes fallen. Das Angebot des von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geleiteten Kommunalen Arbeitgeberverbands sieht da vergleichsweise mickrig aus: Zum Oktober dieses Jahres soll der Monatslohn um 3 Prozent steigen, im Juni 2024 sollen dann weitere 2 Prozent folgen. Dafür soll die jährliche Sonderzahlung angehoben werden.

Bei den Gewerkschaften sorgt das Angebot nicht gerade für Begeisterung. Als es auf der Streikversammlung vorgetragen wird, buhen die Streikenden. Einen »Schlag ins Gesicht« nennt Max Manzey das Angebot. Es zeuge von mangeldner Anerkennung für die tägliche Leistung der Beschäftigten. Was ihn besonders stört: Die Arbeitgeber wollen für den Krankenhausbereich einen »Tarifvertrag Zukunftssicherung« abschließen. Das Vertragswerk würde Krankenhäusern in finanziellen Notlagen erlauben, den Lohn um bis zu 6 Prozent zu senken. In Berlin könnten die Vivantes-Kliniken unter diese Regelung fallen. Manche Beschäftigten könnten also, sollte sich das Arbeitgeberangebot durchsetzen, am Ende der Tarifverhandlungen mit weniger Geld in der Tasche dasitzen als davor.

»Man merkt, dass die Leute richtig wütend sind«, sagt Max Manzey über die Reaktion in den Belegschaften. Nach den zwei Streiktagen in dieser Woche wollen die Gewerkschaften am 14. und 15. März zu weiteren Warnstreiks aufrufen, um so den Druck vor den Verhandlungen Ende März zu erhöhen. Sollte sich bis dann die Arbeitgeberseite nicht bewegen, schließt Manzey auch unbefristete Streiks nicht aus: »Wenn es keine Einigung gibt, wird die Bundestarifkommission entscheiden, ob es in die Urabstimmung geht.«

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