Dehm darf in der Linken bleiben

Ausschlussantrag gegen den Ex-Bundestagsabgeordneten ist im ersten Anlauf gescheitert

Diether Dehm ist ein Politiker, der polarisiert und es auch darauf anlegt. Nicht nur in der Linkspartei, deren Bundestagsabgeordneter er etliche Jahre war, sondern auch darüber hinaus. Dehm gehört zu den namhaftesten Unterstützern von Sahra Wagenknecht; wie sie kokettiert er in der Öffentlichkeit immer wieder mit Äußerungen über eine mögliche Abspaltung von der Linkspartei bzw. eine Neugründung. Die Themenfelder der Auseinandersetzung in der Linken und darüber hinaus reichen vom Umgang mit der Corona-Pandemie über identitätspolitische Fragen bis zur Haltung zum Ukraine-Krieg. Zuweilen scheint es, als handele der 72-Jährige vor allem nach dem Motto: Viel Feind, viel Ehr.

Das zeigte deutliche Wirkung. Zwei Politiker der Linkspartei – der stellvertretende Parteivorsitzende Ates Gürpinar und die sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete Kerstin Eisenreich, die dem Bundesvorstand angehört – beantragten im Oktober 2022 den Ausschluss von Dehm aus der Linkspartei. Zu den Vorwürfen gehört, Dehm habe zu einem Wahlantritt aufgerufen, der gegen Die Linke konkurriert. Außerdem soll er auf einer Kundgebung mit Blick auf Teile des Linke-Vorstands von einem »karrierebeseelten Apparat von BND-gestutzten Egomanen in der Linksparteiführung« gesprochen haben, was nach Ansicht der Antragsteller gegen das Gebot der Rücksichtnahme auf die Rechte anderer Mitglieder verstößt. Weitere Vorwürfe beziehen sich auf eine vermeintliche Relativierung des Holocaust und mutmaßliche sexistische Diffamierungen von Frauen.

Die Landesschiedskommission der niedersächsischen Linken – Dehm ist Mitglied im Landesverband und war dort Landesvorsitzender – hat nun den Antrag auf Parteiausschluss abgewiesen. In dem einstimmig gefassten Beschluss, der »nd« vorliegt, wird darauf hingewiesen, dass es nicht um eine politische Bewertung von Dehms Äußerungen gehe, sondern darum, ob der Ausschlussantrag formal korrekt ist und inhaltlich hinreichend nachweist, dass der Linkspartei schwerer Schaden entstanden ist. Beides ist nach Ansicht der Landesschiedskommission nicht gegeben. So könne man Dehms Äußerung auf dem »UZ«-Pressfest im Sommer 2022, es müsse bei der nächsten Europawahl »eine Kraft antreten, die diesem Abbruchunternehmen da drüben im Karl-Liebknecht-Haus eine Alternative entgegensetzt«, nicht nur als Ankündigung einer Konkurrenzpartei interpretieren. Man könne es, da auch von einer »breiten Bewegung« die Rede war, ebenso als Aufruf zu einem Bündnis inklusive der Linkspartei deuten, wie Dehm in einer Stellungnahme erklärte.

Ähnlich verhält es sich bei anderen Vorwürfen gegen Dehm, die nach Bewertung der Landesschiedskommission immerhin so viel Interpretationsspielraum offen lassen, dass sie nicht zwangsläufig als parteischädigend betrachtet werden müssen. Da nützt den Antragstellern auch der Hinweis nichts, dass es sich bei den im Antrag formulierten Vorwürfen nur um die Spitze des Eisbergs handele und Dehm immer wieder mit ähnlichen Äußerungen auffalle. Es gehe in dem Ausschlussverfahren nicht darum, ob die von Dehm »öffentlich jenseits dieses Verfahrens gesuchten Konflikte« den Linke-Grundsätzen entsprechen »oder eher der von Kontroversen zehrenden Bekanntheit des Antragsgegners dienen«. Hinzu kommt nach Ansicht der Schiedskommission, dass man Dehm die »breitere Öffentlichkeit« seiner umstrittenen Äußerungen nur bedingt vorwerfen könne, da die Antragsteller selbst noch vor Eröffnung des Verfahrens die Antragsschrift Redaktionen von ARD, ZDF und DPA zur Kenntnis gegeben hätten.

Die Ablehnung des Ausschlussantrags gegen Dehm ist eine Niederlage der Linke-Führung in der internen Auseinandersetzung. Nicht nur wegen der Funktionen der Antragsteller, sondern auch, weil der Ausschlussantrag laut einem Bericht der »Tagesschau« vom November 2022 in Rücksprache mit dem Linke-Vorstand gestellt worden sei und laut Parteichef Martin Schirdewan »unsere Unterstützung« genieße.

Kerstin Eisenreich, deren Name unter dem Ausschlussantrag steht, sagte auf nd-Anfrage zur Entscheidung der niedersächsischen Schiedskommission, dazu stellten sich einige Fragen »und ich denke, dass es richtig ist, nun den Weg zur Bundesschiedskommission zu suchen«. Sie sei »guter Dinge, dass Diether Dehm in naher Zukunft nicht mehr Teil der Partei sein wird«. Wer rechten Medien Interviews gebe »und sich durchgängig sexistisch und frauenfeindlich äußert«, solle sich eine andere Spielfläche als Die Linke suchen.

Dehm fühlt sich durch die niedersächsische Entscheidung bestätigt und fordert nun seinerseits den Linke-Vorsitzenden Martin Schirdewan und den Kandidaten für den niedersächsischen Linke-Vorsitz Thorben Peters auf, sich bei ihm zu entschuldigen »oder personelle Konsequenzen zu ziehen«. Auf die nd-Frage, was das bedeute, antwortete Dehm: Rücktritt.

Das Ausschlussverfahren gegen Dehm reiht sich ein in eine Serie von Versuchen in verschiedenen Parteien, unliebsame Mitglieder auf juristischem Wege loszuwerden. Immer wieder zeigt sich, wie schwierig ein Parteiausschluss ist, weil es zu Recht hohe Hürden dafür gibt. Und immer wieder zeigt sich auch, dass Ordnungsmaßnahmen kein Ersatz für die nötige politische Auseinandersetzung und Klärung sein können. Ob diese Auseinandersetzung mit Diether Dehm noch lange in der Linkspartei stattfindet oder sich durch den Wechsel zu einer eventuellen Neugründung erledigt, könnte sich in diesem Jahr entscheiden.

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