Klimaresilienz: Insel Dominica hat große Ambitionen

Dominica hat nach Hurrikan Maria 2017 das Ziel ausgerufen, erste klimaresiliente Nation zu werden

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 6 Min.
Bei Kreuzfahrten beliebt: Der farbenprächtige Hafen von Rosseau.
Bei Kreuzfahrten beliebt: Der farbenprächtige Hafen von Rosseau.

In Roseau, der Hauptstadt der karibischen Insel Dominica, fallen neben vielen bunt bemalten kleinen Häusern vor allem die Kreuzfahrtschiffe ins Auge. Sie überragen jedes Gebäude der 1642 von französischen Kolonisten gegründeten Ansiedlung. Zahlreiche Souvenirstände reihen sich am Landungssteg aneinander, die mit Zeltplanen von Hilfsorganisationen wie UNHCR und Rotes Kreuz bedeckt sind. Diese kamen nach dem Hurrikan Maria auf die Insel, der 2017 die Insel verwüstete und rund 90 Prozent der Häuser beschädigte. Sogar die Wälder waren durch die mächtigen Winde entlaubt. »Von oben, vom Flugzeug aus, sah die ganze Insel braun aus«, erinnert sich Avis Talbot, die für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP half, den Wiederaufbau zu organisieren. Talbot hat in ihrem Büro noch immer eine Karte der Insel, auf der die Schäden markiert sind. Mittlerweile ist die Insel längst wieder grün, durch deren dichten Regenwald sich Flüsse schlängeln und zuweilen in großen Kaskaden in die Tiefe stürzen.

Reiseinfos
  • Dominica ist mit Fähren von Guadeloupe und Martinique aus zu erreichen. Der Douglas Charles Airport im Nordosten der Insel wird vor allem von regionalen Linien angeflogen.
  • Die beste Reisezeit ist Januar bis Juni, die Hurrikansaison geht von August bis Oktober.
  • Deutsche Staatsbürger benötigen kein Visum zur Einreise. Allerdings muss ein Rückflugticket nach Europa vorgelegt werden.
  • Touristische Infos:
    www.discoverdominica.com/de

    Wasserfälle wie die Trafalgar Falls oder der Emerald Pool – beide im großen Morne Trois Pitons Nationalpark gelegen – sind touristische Attraktionen. Einst dienten die Gebiete entlaufenen Sklaven, »Maroons« genannt, als Rückzugsgebiete. Die Geschichte der Maroons auf Dominica und ihr Widerstand vor allem gegen die englischen Kolonialherren in der zweiten Hälfte des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts wird in dem kleinen Museum am Rande des Emerald Pool gut erklärt.

    Detailliertere Aufklärung über die einstigen Siedlungen im Busch, ihre innovativen Befestigungen und vor allem das Leben ihrer widerständigen Bewohner*innen bietet das Buch »In the Forests of Freedom« des Inselhistorikers Lennox Honeychurch.

    Im 20. Jahrhundert wurde die Region dann für den Tourismus erschlossen. Inzwischen dürfte die Zahl der Touristen, die im natürlichen Schwimmbecken des Emerald Pools in dem kühlen, klaren Wasser schwimmen, die Zahl der Maroons, die sich in diesem Areal versteckten, bei weitem übertroffen haben.

    Undurchdringlich erscheinendes Grün erstreckt sich links und rechts der Straße, die durch den Nationalpark führt. Palmen, Mangobäume und Bananenstauden sind zu sehen. Sind die Bananen mit blauen Plastikplanen vor Vögeln und Insekten geschützt, handelt es sich um Plantagen, die Supermärkte beliefern. Fehlt der Plastikschutz, sind die Früchte vor allem für den Eigenbedarf, erklärt Margaux LaRocque. »Die brauchen kein Gardemaß«, erklärt sie.

    Zahlreiche Bananenfarmer haben nach dem Hurrikan Maria umgesattelt: Auf Kartoffeln und Dasheen (Taro) vor allem. »Das wächst vor allem unter der Erde. Die Pflanzen sind nicht so stark dem Wind ausgesetzt wie Bananen«, erklärt LaRocque. Das ist eine der Anpassungsstrategien an den Klimawandel: Pflanzen anbauen, die Hurrikane besser überstehen. LaRocque selbst ist Künstlerin. Sie lebt in Roseau. Auf einem der Sonne optimal zugeneigten Felsen an der Westküste der Insel will sie mit ihrer Familie einen Solarpark errichten als einen Beitrag gegen die Folgen des Klimawandels. Energie wird in Dominica immer noch vor allem mit importierten fossilen Brennstoffen erzeugt. Das ist einer von vielen Widersprüchen in dem Land, dessen Regierung nach Maria das ambitionierte Ziel ausgerufen hat, die erste klimaresiliente Nation zu werden.

    Passiert ist seitdem einiges. Dächer wurden beim Wiederaufbau besser befestigt, auch dank eines Programms von UNDP und der engagierten Arbeit von Engineers Without Borders. »Ich bin überzeugt, die Häuser, die wir gebaut haben, halten kommenden Hurrikanen besser stand«, erzählt James Curren. Der Bauingenieur aus Kanada war nach Maria lange Zeit Teamleiter von Engineers Without Borders auf Dominica.

    Auf dem Weg ins Siedlungsgebiet der Kalinago stößt man aber auch im Frühjahr 2023 immer wieder auf Straßen, die immer nur halb von Schlammlawinen befreit sind und muss über notdürftig errichtete Behelfsbrücken fahren. Im Herbst 2022 gab es hier gewaltige Regenfälle und die Flüsse schwollen zu Strömen an. Sogar die Spuren von Hurrikan Maria sind noch zu sehen. »Wir warten noch immer auf das Geld der Regierung, um unser Geschäft für den Verkauf von traditionellem Kunsthandwerk wieder aufbauen zu können«, erzählt Agenette Lucien Francis. Ihre Familie stellt unter anderem Masken der Arawak und der Kariben, die einst die Insel bevölkert haben, her. Verkauft werden sie in einem kleinen Verschlag an der Straße, die ebenfalls wirkt, als wäre hier seit dem Hurrikan nichts passiert. Die Fahrt ins Kalinagogebiet wird zu einem Test für Stoßdämpfer, Reifen und Achsen. Immerhin sind die Kalinago an die sozialen Systeme von Schule und Gesundheitswesen angeschlossen. Lucien Francis leitet im Hauptberuf eine Schule für Kinder mit geistigen Einschränkungen. Einige von ihnen bereiten sich sogar auf die Special Olympic World Games, die Olympischen Spiele der Menschen mit geistigen Behinderungen, vor, die im Juni 2023 in Berlin stattfinden.

    Am entgegengesetzten Ende der Insel befindet sich nahe der Ortschaft Soufriere das Champagne-Riff. Es ist eine besondere Attraktion. Denn die starken vulkanischen Aktivitäten am Meeresboden führen dazu, dass regelmäßig Wellen von Luftblasen nach oben steigen – ganz so wie in einem Glas Champagner. Unter Wasser kann man in allen Farben schillernde Fische beobachten, die einzeln oder in Schwärmen durch die »Champagnerperlen« schwimmen. Am Strand konnte man im Januar auch beobachten, wie Hunderte frisch geschlüpfte Karettschildkröten zielgerichtet ihren Weg ins Meer fanden. »Das ist das erste Mal seit Jahren, dass wir das sehen«, freute sich Pam Van Drie, die gemeinsam mit ihrem Mann Harry am Strand ein Tauch- und Schnorchelgeschäft betreibt. Dass jetzt Schildkröten wieder an diesem Strand Nester anlegen, führen beide darauf zurück, dass sie den Strand wiederhergestellt haben. »Wir haben invasive Pflanzenarten wie den Zing Zing (Seidenbaum) beseitigt und durch einheimische Pflanzen wie Mango und Palmen gesetzt. Sie geben den Nestern mehr Schatten. Und wir haben auch für tiefere Sandschichten gesorgt, in die die Schildkröten ihre Nester graben und so die Eier verstecken können«, erzählt sie voller Stolz.

    In der Hauptstadt Roseau hat ihre kleine Firma Pam & Harry ein Boot liegen, mit dem man Walbeobachtungstouren unternehmen kann. Eine Pottwalpopulation von etwa 70 Tieren lebt ständig unweit der Küste. Schon von Weitem sind sie anhand ihrer Wasserfontänen zu entdecken.

    Dominica vermarktet sich nicht zu Unrecht als »Nature Island«. Tatsächlich ist der Grad der Zerstörung hier geringer als auf vielen der benachbarten Inseln. Das ist auch eine Folge der vergleichsweise späten Kolonisierung sowie des Widerstands der indigenen Bevölkerung und Maroons. Damit Dominica eine Naturinsel bleibt, muss freilich eine Balance zwischen Tourismus, Natur- und Umweltschutz gefunden werden. 2019, im Jahr vor der Pandemie, kamen 322 000 Tourist*innen auf die Insel, die selbst nur etwa 72 000 Einwohner zählt. Vor Maria waren es noch mehr: 2016 rund 356 000, im Jahr 2009 gar 608 000.

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