Corona-Lockdown: Nicht alles schlecht

Beschwerden über völlig überzogene Regelungen zur Eindämmung der Pandemie sind weit verbreitet

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 4 Min.

Unpopuläre Tatsachen: Die Lockdowns in Deutschland zu Beginn der Pandemie und im ersten Covid-Winter waren notwendig und im Vergleich mit anderen Ländern ziemlich harmlos. Zudem gab es für die betroffenen Gewerbe wie Handel und Gastronomie recht großzügige Ausgleichszahlungen.

Die Schutzmaßnahmen haben Leben gerettet, als die Gefahr bestand, dass nicht alle schwer Erkrankten (intensiv)medizinisch versorgt werden könnten. Sie hatten das Ziel einer allgemeinen Kontaktbeschränkung, um Ansteckungen weitgehend einzuschränken. Das war relativ unspezifisch in die Breite gezielt und lädt heute dazu ein, übertriebene Maßnahmen zu beklagen oder sich über eine absurde Regulierungswut lustig zu machen. Aber man erinnere sich: Zu Anfang der Pandemie gab es noch kaum Wissen über mögliche Ansteckungswege, keine Impfungen und keine einfachen Testmöglichkeiten. Beispielsweise wurde zu viel Energie in Empfehlungen zum richtigen Händewaschen und zu wenig Aufmerksamkeit in den Atemschutz investiert – wie lange man mit selbstgenähten Stoffmasken herumgelaufen ist und wie spät erst die Debatte um Luftfilter aufkam, ist im Rückblick durchaus bemerkenswert.

Aber sich jetzt über die Unnsinnigkeit abgesperrter Kinderspielplätze zu echauffieren oder über die teils widersprüchlichen Regelungen dazu, wann man wie auf einer Parkbank sitzen durfte, gehen am Kern der Sache vorbei: Die Schutzmaßnahmen haben als Paket funktioniert – deswegen wird es auch schwerfallen, die Effektivität einzelner Maßnahmen zu überprüfen. Zudem gibt es für vieles zu wenige Daten und die vorhandenen sind auch nicht unbedingt zuverlässig – wer erinnert sich noch an die Debatte darüber, dass sich Kinder quasi nicht in Schule und Kita, sondern im privaten Umfeld anstecken würden?

Und was wäre gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, dass das Virus Kinder besonders hart erwischt? Dann wären alle froh gewesen, dass die Schulen und Kitas länger geschlossen waren. Die langen Schulschließungen zeigen aber auch, dass die Maßnahmen und die Lockerungen oft nicht so sehr von sicheren wissenschaftlichen Erkenntnissen oder recht wahrscheinlichen Prognosen, sondern von wirtschaftlichen und politischen Interessen geleitet wurden. Die Arbeit sollte möglichst normal weitergehen, Infektionsketten zu brechen, das sollte hauptsächlich in der Freizeit oder eben bei Kindern und Jugendlichen stattfinden – so kam der Witz auf, dass das Virus nicht gerne arbeiten geht.

Ohne den Schock, der mit dem Lockdown verbunden war, wäre es wohl damals vor drei Jahren kaum gelungen, den surreal erscheinenden Ernst der Lage tatsächlich zu vermitteln und das gesellschaftliche Leben derart herunterzufahren. Freiwillig hätte man wohl nicht auf Shoppen, Geburtstagsfeiern oder Reisen verzichtet. In der Erwartung baldiger Schließungen gingen die Partys ja vielmehr weiter, weil man das vielleicht letzte Wochenende ja noch mal ausnutzen wollte – man hofft halt immer, dass es einen selbst nicht trifft.

Die teilweise Widersprüchlichkeit der Verbote und die vielen, teils unplausiblen Ausnahmen haben es schwer gemacht, der Pandemiepolitik zu folgen. Dazu haben auch der deutsche Föderalismus und die unterschiedlichen Profile der Ministerpräsident*innen beigetragen. Die vielen unterschiedlichen Ausnahmeregelungen schienen wie eine komplizierte Überbürokratisierung des Pandemiemanagements, sie haben aber auch dazu beigetragen, die Strenge zu lockern. Schließlich wäre »einfach drinnen bleiben« schon simpler, aber auch belastender gewesen.

Dass sich jetzt immer mehr Politiker*innen für vermeintlich unnötige oder überzogene Maßnahmen entschuldigen, entspricht nicht der damaligen Bedrohungssituation und ist sowohl für den weiteren Umgang mit Sars-Cov-2 als auch mit kommenden Pandemien fatal. Im Nachhinein erscheint es so, als wären die Verbote unangemessen und übertrieben scharf gewesen. Dass sie im Großen und Ganzen richtig waren, ist eine recht unpopuläre Meinung geworden.

In diesen Annahmen, diese oder jene Maßnahme sei übertrieben hart gewesen und die unerwünschten Nachwirkungen seien schlimmer als die verhinderten Probleme, zeigt sich das Präventionsparadox: Wenn das Schlimmste durch Verbote verhindert wurde, erinnert sich natürlich niemand an die krassen Auswirkungen der Pandemie, sondern an die krassen Auswirkungen der Maßnahmen – ein grundlegendes Dilemma. An die Bilder der Armeelastwagen, die das norditalienische Bergamo voller Leichen verließen, denkt man nur noch ungern zurück, geschweige denn, dass man sich selbst oder seine Lieben in so einer Situation imaginieren möchte.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal