»Im Kleinen damit anfangen, toxische Strukturen aufzulösen«

Katharina Florian von Kehrwork über Feminismus, Rassismus und was das mit Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche zu tun hat

Bevor Katharina Florian im vergangenen Sommer das Unternehmen Kehrwork gründete, war die Berlinerin lange in der Verlagsbranche tätig.
Bevor Katharina Florian im vergangenen Sommer das Unternehmen Kehrwork gründete, war die Berlinerin lange in der Verlagsbranche tätig.

Frau Florian, mit welchem Bild von Hausarbeit sind Sie aufgewachsen?

Interview

Katharina Florian, 40, ist Gründerin des Unternehmens Kehrwork, bei dem Reinigungskräfte zu fairen Bedingungen angestellt sind. Sie lebt seit 2015 in Berlin, hat zwei Kinder und war lange in der Verlagsbranche tätig.

Bei uns war samstags immer Putztag, da hat dann die ganze Familie mitgeholfen. Meine Mutter war arbeiten und mein Vater hat mit uns Kindern zusammen den Haushalt geschmissen. Wir haben dann laut Musik gehört und geputzt. Meistens Queen, das war gut. Nur wenn mein Vater einen emotionalen Tag hatte, mussten wir auch mal WDR 4 hören. Das war dann für uns Kinder nicht so schön (lacht).

Was gefällt Ihnen beim Putzen am wenigsten?

Die Sauberkeit bleibt nicht lang erhalten. Bei uns zu Hause hält das vielleicht so zwei Stunden, bis dann die Kinder nach Hause kommen. Die gehen baden und schon ist’s wieder vorbei. Dann ist schon wieder alles voller Kalk und Seife und man denkt so okay, alles wieder von vorn.

Gibt es auch etwas, das Ihnen gefällt?

Dass es kaum jemanden gibt, der oder die das gerne tut. Dadurch ist der Befriedigungseffekt total groß, wenn man für jemanden anderes putzt. Wenn ich selber putze, kann ich da reinversinken und stundenlang über Dinge nachdenken, die mich beschäftigen. Das hat für mich etwas sehr Meditatives und Schönes.

Wer putzt denn bei Ihnen zu Hause?

Manchmal ich (lacht). Also wenn wir so ausgebucht sind, dass niemand von Kehrwork mehr frei ist, um uns zu unterstützen. Ansonsten putzt bei uns zu Hause ein Teammitglied.

Kehrwork ist ein im vergangenen Sommer von Ihnen gegründetes Unternehmen, bei dem Reinigungskräfte zu legalen und fairen Bedingungen beschäftigt sind.

Die Geschäftsidee basiert auf dem Prinzip der Kurzen Vollzeit. Das bedeutet: ein 30-Stunden-Festgehalt über dem Tariflohn der Gebäudereinigung, inklusive aller vernünftigen Zugaben bezüglich Urlaub, Krankheitsfall, Versicherungen und betrieblicher Altersvorsorge. Plus ein Konzept zur Weiterbildung für die individuellen Bedürfnisse unserer derzeit 13 Angestellten.

Zum Beispiel?

Wir helfen bei der Vermittlung von Sprachkursen. Viele in der Reinigungsbranche tätige Menschen haben ja einen Hintergrund, der einen bestimmten Freiraum braucht. Migrant*innen etwa, die eine Sprachbarriere haben. Wie soll ich denn in diesem Land eine langfristige Teilhabemöglichkeit bekommen, wenn ich die Sprache nicht kann? Ich kann mich nur begrenzt engagieren, kann meine Krankenkassenunterlagen nicht verstehen. Das heißt, die Möglichkeiten zur Teilhabe sind durch diese Sprachbarriere arg eingeschränkt. Und ich kann sie nicht abbauen, wenn ich 50 Stunden die Woche arbeiten muss, um meine Existenz zu sichern.

Und dennoch sind etwa 90 Prozent der Reinigungskräfte in deutschen Privathaushalten illegal beschäftigt

Das sind zutiefst prekäre Arbeitsverhältnisse. Diese Leute haben weder eine Haftpflicht-, Kranken- noch Urlaubs- oder Unfallversicherung. Wenn man krank wird, hat man keinerlei Möglichkeit, in ein gutes Netz zu fallen, man ist immer für sich allein verantwortlich. Etwa wenn man einen Haushaltsunfall hat. Statistisch gesehen ist das nicht unwahrscheinlich, immerhin handelt es sich hierzulande um die häufigste Unfallursache. Wir haben eine Person im Team, der genau das passiert ist. Die Familie, die sie illegal beschäftigte, hat sich nicht gekümmert. Mit Notarzteinsatz und Operation bedeutete das hinterher 20 000 Euro Schulden. Und wenn man nur ein paar Hundert Euro im Monat zum Leben hat, dann ist das etwas, was man sein Leben lang nicht wieder loswird.

Das Risiko nehmen trotzdem viele in Kauf.

Ich kann das total verstehen! Natürlich nehme ich die 15 Euro, die als angemessener Stundenlohn kursieren, lieber direkt auf die Hand als über Rechnung. Wenn ich mich von dem Betrag versichern muss und Steuern bezahle, dann sind das netto sechs oder sieben Euro, die da pro Stunde übrigbleiben. Plus Anfahrts- und Wegezeiten, die in keiner Kalkulation abgebildet sind. Das ist also auch noch ganz viel unbezahlte Arbeitszeit, die hinzukommt. Für ein Konzept, das nicht wirtschaftlich ist und auch gar nicht funktionieren kann. Da muss ich mich eben fragen, ob ich mir das leisten kann, für so wenig Geld auf Rechnung zu arbeiten. Für die allermeisten Leute lautet die Antwort: Nein. Und dann nehmen sie es lieber schwarz auf die Hand.

Der Wunsch nach vernünftigen Arbeitsbedingungen ist groß. Gleichzeitig muss es auch Leute geben, die bereit sind, entsprechend zu zahlen. Wer sind Ihre Kund*innen?

Es sind Menschen, die über Nachhaltigkeitsfragen nicht nur auf einer ökologischen, sondern auch auf einer sozialen Ebene nachdenken. Tatsächlich ist da mittlerweile eine recht diverse Community entstanden. Und das ist eine bewusste Wortwahl, weil das einen echten Support-Charakter hat. Die Leute wissen eben, dass sie einerseits eine Dienstleistung einkaufen und andererseits aber auch etwas total Cooles unterstützen. Einfach dadurch, dass sie mit vernünftigen Arbeitsbedingungen einem anderen Menschen eine Perspektive schaffen. Wir haben Leute im Team, die seit zehn, 15 Jahren in Deutschland leben und kaum in der Lage sind, ihre Post zu verstehen. Durch uns vermittelt, können sie jetzt endlich ihren Deutschkurs anfangen. Das ist ein Riesenschritt und das nehmen unsere Mitarbeiter*innen auch so wahr. Sie sagen: Endlich habe ich Zeit, vorher konnte ich das nie machen. Ich hatte niemanden und wusste gar nicht, wo ich hingehen soll.

Das klingt nach mehr als nur nach fairen Arbeitsbedingungen.

Es geht darum, Türen zu öffnen und Hürden abzubauen, damit die Leute selbstbestimmt existieren können. Was das für eine empowernde Wirkung haben kann, zeigt meine Lieblingsgeschichte. Eine Frau kam drei Wochen nach Arbeitsbeginn an und sagte: So, ich brauche eine neue Wohnung, ich will mich scheiden lassen und ich brauche einen Sprachkurs. Und da war so alles drin in diesem Plan. Raus aus einer toxischen Beziehung, weil man es sich leisten kann. Das ist auch ein Aspekt, der gerade Frauen betrifft. Man befindet sich in totalen Abhängigkeitsverhältnissen und hat dann auf einmal ein Gehalt, mit dem man sagen kann: Tschüss, das war’s, ich mach das hier nicht mehr. Das ist doch großartig! (lacht) Im Ernst: Es ist unfassbar wichtig, diese strukturell bedingten Abhängigkeiten aufzubrechen.

Zuvor waren Sie lange in der Verlagsbranche tätig. Warum der Wechsel?

Ich war zehn Jahre lang Teil des Verlagskollektivs edition nautilus. Dort haben wir viele Texte und Projekte gehabt, die sich mit Feminismus, Rassismus und prekärer Arbeit beschäftigten. Aber irgendwann hatte ich total Bock, praktischer zu arbeiten. Ich meine, seit Generationen diskutieren wir wieder und wieder die gleichen Sachen. Ich wollte an einer Stelle, die mir vertraut war, ansetzen und wirklich mal praktisch prüfen, ob es nicht die Möglichkeit gibt, etwas zu ändern.

Gab es Kritik, dass Sie mit Ihrem Unternehmen politische Ideen kommerzialisieren?

Nö, das habe ich jetzt so noch nicht gehört. Ganz zu Anfang gab es Kommentare, dass unsere Dienstleistungen so teuer wären und sich die alleinerziehende Krankenschwester das ja wieder nicht leisten könnte. Da horche ich natürlich auf, denn ist das die Rechtfertigung dafür, dass immer noch nach unten gedrückt werden muss?! Ich kann doch nicht sagen, weil es der einen schlecht geht, muss es der anderen jetzt auch schlecht gehen. Das ist doch Quatsch. Wenn ich immer nur auf den ganz großen Klassenkampf warte, wird sich nichts bewegen. Wir können aber im Kleinen anfangen und toxische Strukturen auflösen, jede*r an seinem und ihrem Platz.

Aber ein gemeinnütziger Verein ist Kehrwork nun auch nicht.

Nein, es ist eine Kapitalgesellschaft und das hat vor allen Dingen mit diesem Steuerwust zu tun. Aber auch damit, dass ich – wenn wir irgendwann einen Gewinn haben – lieber sagen möchte: Hey, Leute, Bonus fürs Team. Das ist ja in solchen Beschäftigungsverhältnissen überhaupt nicht vorgesehen. Ich glaube, Bonus-Zahlungen sind in der Branche eher unüblich, das kann man ja auch mal ändern, nicht wahr?

Was hat den Ausschlag gegeben, dieses Experiment einzugehen?

Ich erinnere mich an die ersten Coachings, die ich gemacht habe, um mal abzuklopfen, ob meine Geschäftsidee total bescheuert ist. Und dann kam die Rückmeldung: also es geht gegen jede Profitlogik, aber es geht. Und das war der entscheidende Satz!

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