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Europol: Polizei fürs Grobe

Europol koordiniert bewaffnete Spezialeinheiten und jetzt auch Observationstrupps

Eigentlich soll die Europäische Union den Mitgliedsstaaten keine Kompetenzen streitig machen. Deshalb ist in jedem der 27 EU-Länder grundsätzlich die dortige Polizei für die Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zuständig. Jedoch können Agenturen wie Europol bei grenzüberschreitenden Vorfällen eine koordinierende Rolle übernehmen. Die EU-Polizeiagentur kommt immer dann ins Spiel, wenn zwei oder mehr Mitgliedsstaaten betroffen sind.

Aufgrund der EU-Verträge sollte Europol selbst über keine Polizeieinheiten mit Zwangsvollmachten oder gar Bewaffnung verfügen. Allerdings haben die Regierungen im Rat beschlossen, dass die Agentur ihre Spezialeinheiten koordinieren darf. Seit 2019 ist beim Anti-Terror-Zentrum von Europol in Den Haag ein »Unterstützungsbüro« für den sogenannten Atlas-Verbund angesiedelt. Darin organisieren sich 38 Spezialeinsatzkommandos aus den Schengen-Staaten sowie Großbritannien, das auch nach dem Brexit weiter an der polizeilichen Kooperation in Europa teilnehmen darf.

Der Atlas-Verbund wurde nach den Anschlägen des 11. September 2001 zunächst als informelle Struktur gegründet, seit 2008 gehört er zur EU. Brüssel will sich damit auf polizeiliche Großeinsätze vorbereiten. Dies betrifft Einsätze bei Terroranschlägen, schwerer und organisierter Kriminalität oder »Krisen«. Für derartige Situationen greifen Verträge wie die sogenannte Solidaritätsklausel, wonach die Mitgliedsstaaten und die Kommission mit ihren Polizeieinheiten einander beistehen sollen – allerdings immer nur auf Anforderung des betreffenden Staates.

Aus Deutschland nehmen die GSG 9 der Bundespolizei sowie Spezialeinheiten aus Baden-Württemberg am Atlas-Verbund teil, aus Österreich die Cobra. Länder wie Frankreich, Spanien oder die Niederlande entsenden auch ihre Gendarmerien. Das sind militärische Einheiten, die nach einer Grundausbildung Aufgaben im Bereich der Inneren Sicherheit übernehmen.

Erst ab 2021 war das Unterstützungsbüro für den Atlas-Verbund bei Europol tatsächlich einsatzbereit. Es soll aus insgesamt fünf Beamten mit Leitungsfunktionen bestehen, außerdem ordnen die Mitgliedsstaaten leitende Angehörige ihrer Polizei oder Gendarmerie zu Europol ab. Außerdem verfügt das Netzwerk über ein Sekretariat, das derzeit von dem slowakischen Lynx-Polizeikorps gestellt wird. Den politischen Vorsitz des Atlas-Verbundes übernimmt die jeweilige Ratspräsidentschaft, für das laufende Halbjahr obliegt dies der Regierung Schwedens.

Für die Kooperation mit Europol stellt die EU-Kommission zusätzliche Finanzmittel bereit, die meisten davon aus dem Europol-Haushalt. Für 2023 erhält das Unterstützungsbüro fast vier Millionen Euro, mit 2,6 Millionen Euro für ein maritimes Ausbildungszentrum fließt das meiste Geld nach Deutschland. Dort soll eine Geiselnahme auf einem Schiff simuliert werden, unter den über 200 erwarteten Teilnehmenden sind auch 30 Rollenspieler.

Jedes Jahr halten die europäischen Spezialeinheiten gemeinsame Trainings ab, einige davon haben Wettkampfcharakter. Alle fünf Jahre wurden diese Übungen in verschiedenen Ländern gleichzeitig durchgeführt. Zuletzt fand eine solche Veranstaltung vor zwei Wochen mit rund 300 Einsatzkräften unter dem Namen »Feuersturm« statt. Angenommen wurde ein »terroristisches Komplott« über 15 Ländergrenzen hinweg. Das Szenario begann in Irland, von wo zwei Verdächtige mit »ruchlosen Plänen« nach Österreich flogen und anschließend in die Benelux-Staaten reisten. In den Niederlanden erfolgte dann der »finale Angriff« durch die Atlas-Gruppe.

Neben den operativen Fähigkeiten der bewaffneten Spezialeinheiten koordiniert Europol mittlerweile auch Observationseinheiten, wie sie in Deutschland beispielsweise als Mobiles Einsatzkommando beim Bundeskriminalamt (BKA) angesiedelt sind. Früher existierten dazu drei verschiedene polizeiliche Netzwerke in der EU, den Staaten des Westbalkans, den Schengen-Mitgliedern Norwegen und Schweiz sowie Großbritannien. 2020 wurden die Einheiten in einer »Europäischen Überwachungsgruppe« zusammengeschlossen und bei Europol angesiedelt. Die Initiative dafür kam maßgeblich aus Deutschland, das dafür seinen EU-Ratsvorsitz genutzt hatte. Auch die Führung der Gruppe, die aus 16 Staaten sowie Europol besteht, übernimmt mit Jan Köhler derzeit ein Beamter des BKA, bestätigt die Behörde auf Anfrage des »nd«.

Mit der Überwachungsgruppe würden Techniken und Methoden der verdeckten Überwachung europaweit standardisiert und die grenzüberschreitende Observation vereinfacht, lobt das Bundesinnenministerium. Gemeinsame Trainings erfolgen etwa zur Reaktion auf »Gegenüberwachung« und dem elektronischen Stören polizeilicher Maßnahmen oder zu Observationen bei schlechten Lichtverhältnissen. Vor allem üben die Einheiten jedoch die Verfolgung und Übernahme von observierten Zielpersonen über mehrere europäische Landesgrenzen hinweg. Hierzu können sie auf einen Server bei Europol zurückgreifen, mit dem Peilsender an Fahrzeugen grenzüberschreitend verfolgt werden können.

In einer Arbeitsgruppe »Innovationen« erprobt der Atlas-Verbund neue Spezialtechnik, daran sind auch nicht genannte US-Behörden beteiligt. Als »taktische Unterstützungswaffen« werden Drohnen getestet, die mit Sprengladungen Fenster und Mauern durchbrechen können. Die Spezialeinheiten haben sich außerdem einen Roboterhund gekauft, der angeblich mit Künstlicher Intelligenz ausgerüstet sein soll. Dieser vierbeinige »Schreitroboter« soll alle paar Monate in einen anderen Mitgliedsstaat wechseln und dort Interesse an einer eigenen Beschaffung wecken.

Mit der Koordination von bewaffneten Spezialeinheiten und nun auch Observationstrupps wird das Anti-Terrorismus-Zentrum bei Europol gestärkt. Eigene Befugnisse zur Ausübung von Zwangsmaßnahmen erhält die Polizeiagentur damit aber nicht. Dazu müsste die EU komplett umgebaut werden, wie es die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bestätigt hat. Denn der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union »sieht nicht vor, dass Europol zu einer Art europäischem FBI ausgebaut wird«. Da müssen sich in Deutschland die SPD, die Grünen, die FDP und die CDU, deren Vertreter ein solches »europäisches FBI« mehrfach gefordert haben, also noch ein wenig gedulden.

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