Mietenwahnsinn: Bündnis protestiert in Prenzlauer Berg

Auslaufende Sozialbindungen sind nicht das einzige Problem

  • Felix Schlosser
  • Lesedauer: 4 Min.
Schön wär’s, doch der Prenzlauer Berg zeigt: Hier haben Eigentümer und Investoren das Sagen.
Schön wär’s, doch der Prenzlauer Berg zeigt: Hier haben Eigentümer und Investoren das Sagen.

»Prenzlauer Berg in den 90er Jahren. Prenzlauer Berg ach, es war einmal. Prenzlauer Berg was ist aus dir geworden?« So erklang es am vergangenen Samstag vom Lautsprecherwagen der Demonstration des Mietenwahnsinn-Bündnisses. Der Song war nicht zufällig gewählt.

Denn es ging um die in diesem und in den folgenden Jahren auslaufenden Sozialbindungen von über 18 000 Wohnungen, die im Rahmen des Programms »soziale Stadterneuerung« in den Neunziger- und Nullerjahren, insbesondere im Ostteil der Stadt, durch den Berliner Senat gefördert wurden. Die Eigentümer der damals maroden Wohnhäuser bekamen finanzielle Zuwendungen für Instandsetzung und Erneuerung und mussten sich im Gegenzug bereit erklären, für 20 bis 30 Jahre Verpflichtungen im Sinne des Mieterschutzes einzugehen. Da sich diese Verpflichtungen nun nach und nach dem Ende zuneigen und somit Mieterhöhungen und Eigenbedarfskündigungen drohen, sehen Mieter*inneninitiativen eine massive Verdrängungswelle auf die Stadt zurollen.

Besonders betroffen von dieser Entwicklung ist der im Lied besungene Prenzlauer Berg. Schon bei der Auftaktkundgebung vor dem Ernst-Thälmann-Denkmal nahe des S-Bahnhofs Greifswalder Straße beschrieb eine Sprecherin den Ist-Zustand des Pankower Ortsteils. »Prenzlauer Berg ist ein Symbol für die Aufwertung der Stadt und die damit verbundene Verdrängung von einkommensschwachen Mieter*innen«, sagte sie. Man müsse sich nur umschauen: Sanierte Altbauten mit Eigentumswohnungen, teure Neubauten oder »gated communities« – also geschlossene Anlagen mit Luxuswohnungen.

Im Gespräch mit »nd« forderte Sandra Koch, Sprecherin des Mietenwahnsinn-Bündnisses, dass Sozialbindungen auf Dauer sein müssen und nicht nur temporär. »Wenn ein Eigentümer baut, kriegt er Zuschüsse. Wenn die Bindungen auslaufen, behält er die Zuschüsse, darf dann aber die Miete normal erhöhen.« Das sei ein Förderkonzept, was so auf keinen Fall weiter Bestand haben dürfe. »Berlin hat ein eigenes Wohnraumgesetz, sodass eine Änderung auf Landesebene möglich sein sollte«, meint sie. Auch das »Kieztreffen Pankow«, das von den auslaufenden Sozialbindungen betroffene Mieter vernetzt, fordert vom sich neu konstituierenden Berliner Senat »Konzepte, um die Mieterinnen vor der drohenden Verdrängung aus ihren Wohnungen und Nachbarschaften zu schützen«.

Die auslaufenden Sozialbindungen sind nicht das einzige Problem, mit denen Mieter hier konfrontiert sind. Das machten zahlreiche Redebeiträge unterschiedlicher stadtpolitischer Initiativen während der knapp zweistündigen Demonstration bei durchgehendem Regen klar. So beklagte beispielsweise die »Anwohnerinitiative Ernst-Thälmann Park« die geplante Errichtung eines Neubauquartiers mit Hochhäusern, Büros und Hotels durch einen privaten Investor.

Gleichzeitig wurde auf der Demonstration aber auch deutlich, dass es sich lohnen kann zu kämpfen. Eine Sprecherin des Hauses Kastanienallee 12 berichtete darüber, wie sie sich angesichts einer drohenden Zwangsversteigerung als Hausgemeinschaft zusammengefunden und organisiert haben. Ihr Haus ist nun in gemeinwohlorientierten Händen.

Am Senefelderplatz, dem Endpunkt der Demonstration, konnten sich Teilnehmende ein eigenes Bild davon machen, was der ebenfalls oft kritisierte »Bauwahnsinn« für die Stadt Berlin bedeutet. Durch den Bau eines Hochhausprojekts des französischen Immobilienkonzerns Covivio sackte der Tunnel der U-Bahnlinie U2 ab und wird nun technisch aufwendig wieder angehoben. Abreisende Demonstrierende mussten auf den lediglich alle 15 Minuten fahrenden Pendelverkehr warten. Das auf der Demonstration gezeichnete Bild einer Stadt, die nach und nach durch Investoren und Unternehmen zerstört wird, wurde an dieser Stelle mehr als anschaulich.

Die Demonstration bildete den Höhepunkt der überregionalen »Housing Action Days«. Auch in anderen deutschen und europäischen Städten war es zu diesem Anlass zu Aktionen gekommen. Dem Aufruf des Mietenwahnsinn-Bündnisses folgten am Samstag rund 500 Menschen – weit entfernt von den rund 40 000 Mietern, die sich noch 2019 an einer Großdemonstration des Bündnisses beteiligten.

In den Folgejahren sorgte jedoch nicht zuletzt die Corona-Pandemie für eine Schwächung sozialer Bewegungen, sodass solche Teilnehmer*innenzahlen nicht mehr erreicht werden konnten. Bündnissprecherin Sandra Koch zeigt sich nach der Demonstration trotzdem zufrieden: »Wir haben ein lautes Zeichen gesetzt und gezeigt, dass wir unsere Kieze nicht Spekulant*innen überlassen.« Man werde weiter Widerstand gegen auslaufende Sozialbindungen, Eigenbedarfskündigungen und Verdrängung leisten.

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