Element of Crime: Weil die Welt dann eine schönere wird

Sven Regener und Jakob Ilja von Element of Crime über Streitkultur, Band-Demokratie und Agitprop

Jakob Ilja (ganz links) und Sven Regener (2. v.l.) mit den Band Kollegen Richard Pappik (ganz rechts) und Markus Runzheimer
Jakob Ilja (ganz links) und Sven Regener (2. v.l.) mit den Band Kollegen Richard Pappik (ganz rechts) und Markus Runzheimer

In dem Song »Ohne Liebe geht es auch« auf dem neuen Album heißt es: »Ein Leben ohne Liebe ist nicht so einfach, wie du glaubst«. Wie kann man denn ein Leben ohne Liebe einfach finden?

Interview

Element of Crime machen seit fast 40 Jahren zusammen Musik. Sänger, Texter und Trompeter Sven Regener und Gitarrist Jakob Ilja gründeten die Band 1985. Nach mittelprächtigem Erfolg entschieden Element of Crime Anfang der 90er Jahre, ihre Lieder auf Deutsch aufzunehmen. Von da an ging’s steil bergauf. Die Band ist wohl die einzige, die es schafft, ein Wort wie »Schwachstromsignal-Übertragungsweg« in einem Liedtext unterzubringen.
Am 6. April erscheint ihr 15. Studio-Album »Morgens um vier«.

Regener: Ich würde das nicht ganz so wörtlich nehmen, aber vielleicht wenn man eine soziopathische Neigung entwickelt und denkt: Jetzt ist auch mal Schluss mit der Scheiße? Nein, ich würde da gar nicht so tief reingehen. Die Radikalität, mit der Leute etwas behaupten und die Radikalität, mit der man dem etwas entgegensetzen kann, sind guter Stoff für Songs. Außerdem gefällt mir der Titel in seiner Radikalität, auch wenn es vielleicht Quatsch ist. Einfach mal Dinge, von denen behauptet wird, sie seien wichtig, zur Diskussion zu stellen.

Klingt eher, als wären Sie gerade in einer sehr gedrückten Stimmung gewesen.

Regener: Nein, ich schrieb einen Song. Wenn ich Songs schreibe, bin ich immer gut drauf.

Ilja: Noch etwas zur Entstehungsgeschichte unserer Lieder: Zuerst entsteht immer die Musik, dann der Text. Und gemeinsam Musik zu machen, macht Spaß.

In dem Film »Tár« gibt es eine Szene, in der spielt Lydia Tár – eine Dirigentin – mit ihrer Tochter, und alle Kuscheltiere haben von dem Kind einen Taktstock bekommen, woraufhin Tár sagt: Orchester sind keine Demokratie. Stimmt das auch für Bands? Irgendwer muss ja entscheiden, wann ein Song fertig ist.

Ilja: Bei uns ist jeder Fachmann für sein Gebiet. Klar gibt es Bands, bei denen jemand sehr viel vorgibt, aber sind das dann noch Bands? Jeder hat seine Rolle und die wird nicht hierarchisch infrage gestellt.

Regener: Es gibt so Bands, die eher hierarchisch organisiert sind. Einer oder zwei haben was zu sagen, der Rest bekommt festes Gehalt und tut, was man ihm sagt. Bei Solokünstlern, die sich dann phasenweise Bands dazuholen, wie Elvis Costello, ist das ja okay, aber wir folgen eher einer Bandidee, wie man sie von den Beatles oder den Rolling Stones kennt. Mit dem Anspruch, als Gleiche unter Gleichen zu sein. Niemand wird dazu gezwungen, künstlerisch etwas mitzumachen, was er nicht will. Also so eine Art Negativdemokratie. Mick Jagger würde Keith Richards auch nicht sagen: Spiel das mal so! Wenn bei uns einer sagt, er fühlt sich mit diesem oder jenem Song nicht wohl, dann wird der nicht gespielt. Das gilt für alle drei, die die Band ausmachen, also für Jakob, Richard und mich.

In Ihrem Band-Podcast geben Sie aber schon zu, dass Sie auch mal heftig streiten, sodass es richtig kracht. Jetzt machen Sie schon fast 40 Jahre zusammen Musik, Eheleute würde man nach Tipps fragen: Wie streitet man richtig gut?

Regener: Da ging es um die Platte »Romantik« und zu der Zeit waren wir ja erst 16 Jahre zusammen.

Ilja: Erst 16 Jahre. Der war gut.

Regener: Bei der Platte war es wirklich Spitz auf Knopf, da wäre die Band fast dran zerbrochen. Aber wenn das so gewesen wäre, wäre es auch okay gewesen. Die bloße Existenz einer Band ist ja kein Wert an sich. Das bringt’s nur, wenn daraus tolle Sachen entstehen.

Ilja: Es geht gar nicht darum, wie gut oder schlecht man streitet. In den ersten Jahren haben wir uns oft aus Unsicherheit gestritten, weil man nicht wusste, wie Sachen gemeint sind. Wir haben festgestellt, dass wir nicht alles sofort klären müssen. Am Ende einer Tour müssen wir sagen können, wir würden auch noch eine weitere Platte machen. Die Musik ist letztendlich immer größer als wir im Einzelnen.

Regener: Man kann viele Sachen nebenher machen und die sind auch alle toll, aber nur, wenn wir drei zusammen sind, dann kommt dabei Element of Crime raus. Aber wenn es mit der Musik nicht mehr funktionieren würde, dann wäre es bedrohlich. Wir können toll miteinander Minigolf spielen, aber das nützt ja nichts, wenn die Musik nicht gut ist.

Herr Regener, Sie haben mal gesagt, wenn Element of Crime je so einen Hit gehabt hätten, wie »Herr Lehmann« als Buch einer war, dann würde es die Band nicht mehr geben.

Regener: Vielleicht. Ich habe »vielleicht« gesagt.

Also würden Sie das so noch mal sagen?

Regener: Es ging dabei um die 80er Jahre, als wir noch auf Englisch gesungen haben. Wäre »Long Long Summer« von der LP »Freedom, Love and Happiness« ein Hit geworden, hätten wir nie Songs auf Deutsch gemacht und wären wohl daran gescheitert, immer wieder »Long Long Summer« zu schreiben. An so was sind Bands schon oft kaputt gegangen. Viele streiten sich bei Erfolg mehr als bei Misserfolg.

Ilja: Das Problem ist doch, dass bei »Delmenhorst«, dem einzigen Hit, wenn man so will, die Plattenfirma gesagt hat: Ein Stück über so einen kleinen Ort, das funktioniert nicht. Und beim nächsten Album wurde dann gefragt: Wo ist denn jetzt »Delmenhorst«? Und das zeigt doch, welches System dahintersteckt. Da kann man nur verlieren.

Regener: In der Kulturindustrie wird viel in der Vergangenheit gelebt, was einmal erfolgreich war, muss man genauso wieder machen. Aber schon weil wir nie so einen großen Radio-, oder Single- oder Sonstwie-Hit hatten und trotzdem jede Menge Langspielplatten verkauften, mussten wir uns diesem Druck nie beugen.

Wie nervig ist es eigentlich für Musiker, wenn man diesen Hit hatte und auf den Konzerten rufen die Leute dann nach zwei Songs: »Delmenhorst, Delmenhorst«?

Ilja: Das ist doch lustig, Menschen die rufen: Delmenhorst, Delmenhorst. New Order haben das mal unterlaufen, indem sie »Blue Monday« auf einem Konzert gleich als erstes gespielt haben; als sechs Minuten-Version und dann waren alle zufrieden.

Regener: Wir haben eine Zeit lang nicht »Weißes Papier« gespielt und das kam nicht gut an. Es kamen immer wieder Leute und haben gefragt, warum wir das nicht spielen. Und eigentlich ist es auch nicht besonders nett. Wenn die Leute das so gerne wollen, warum sollen die traurig nach Hause gehen? Und der Song ist ja gut. Also haben wir ihn wieder gespielt. Wir sind ja kein One-Hit-Wonder. Wir haben fünf, sechs Songs, bei denen wir wissen, da ist die Schnittmenge groß an Leuten, die die besonders mögen.

In einem Interview sagten Sie mal, Herr Regener, politische Lieder zu machen, sei so aufregend, wie Bedienungsanleitungen für Staubsauger zu vertonen. Reizt es Sie in diesen Zeiten gar nicht, mal einen Song als politisches Statement rauszuhauen?

Regener: Musik hat viel mit Gefühl zu tun und es ist doch problematisch, die Leute bei ihren Gefühlen zu packen und das dann politisch umzumünzen. Das ist der Kern allen Populismus. Agitprop ergibt in der Regel weder gute Politik noch gute Musik. Das eine ist dann zu dumpf und schlagwortartig und das andere ordnet sich etwas unter, was mit ihm nichts zu tun hat. In den 90ern, als in ganz Deutschland Asylbewerberheime gebrannt haben, haben wir Konzerte für eine Initiative gespielt, und auch vor dem Klima-Volksentscheid sind wir in Berlin aufgetreten. Für einzelne Sachen, die uns am Herzen liegen, machen wir so was mal. Aber grundsätzlich ist Musik Geschmackssache, Politik nicht. In der Politik geht es um was anderes: Vernunft, Verstand, Aufklärung, Klugheit. Sachen, die in der Kunst keinen großen Wert haben.

Wovor hatten Sie zuletzt Angst?

Regener: Was wird das denn jetzt? Wir sind Musiker, wir sind keine Therapiepatienten. So etwas fragen mich fremde Menschen nicht ungestraft. Es ist ja ein alter Irrtum, zu glauben, Künstler machen Kunst, um sich selber darzustellen. Wir machen das, um unsere Werke in die Welt zu bringen, weil wir glauben, dass sie dann schöner wird.

Okay. Dann besser konkreter: Ihr neues Album ist eines in einer langen Reihe von Alben. Haben Sie nach all den Jahren noch Angst vor dem Release?

Regener: Das ist doch mal eine schöne Frage.

Ilja: Angst ist vielleicht ein zu großes Wort. Aber in einer Zeit, in der sich die Plattenindustrie so rasant wandelt, hat man ja kaum noch Kriterien, an denen man sich orientieren kann. Man weiß, man hat ein gutes Album gemacht, aber was man nicht weiß, ist, ob das Publikum seit dem letzten Album noch dabei ist. Was zählt, ist da eher: Wie ist der Vorverkauf für die Tour? Kommt der Podcast gut an?

Regener: Das Gute ist aber auch, dass man bestimmte Ängste nicht mehr zu haben braucht. Früher hatte es noch eine Bedeutung, wenn vom neuen Album weniger CDs verkauft wurden als von dem davor. Heute ist der CD-Verkauf nicht mehr besonders relevant und im Vergleich zur letzten Platte auch nicht mehr aussagekräftig, weil da jetzt alles drunter und drüber geht und das Streaming die physischen Tonträger immer mehr zurückdrängt. Eine »Goldene Schallplatte« wird es für uns nicht mehr geben. Aber das macht einen auch wieder lockerer.

Element of Crime: »Morgens um vier« (Vertigo Berlin), erscheint am 6.4.

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