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Mit Blitzen schießen

Die Science-Fiction-Serie »Die Gabe« erzählt von starken Frauen, gewalttätigen Männern und radikal veränderten Geschlechterverhältnissen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Jos (Auli’i Cravalho) verfügt über die Kraft, elektrische Stromstöße abzugeben.
Jos (Auli’i Cravalho) verfügt über die Kraft, elektrische Stromstöße abzugeben.

Was wäre, wenn die Frauen den physisch für gewöhnlich stärkeren Männern körperlich von einem Tag auf den anderen deutlich überlegen wären? Dieses »Gedankenexperiment«, wie es die britische Bestseller-Autorin Naomi Alderman selbst nennt, inszeniert sie in ihrem erfolgreichen Science-Fiction-Roman »Die Gabe« (2016), dessen Verfilmung nun als neunteilige Serie bei Amazon Prime zu sehen ist. Die 49-jährige Naomi Alderman, die nicht ausschließlich Science Fiction schreibt, sich in ihren Büchern immer wieder mit dem jüdischen Leben in Großbritannien beschäftigt, auch Computerspiele entwickelt und als deren Mentorin gemeinhin Margaret Atwood gilt, hat selbst an der Serie mitgearbeitet. Diese erzählt von einigen jungen Frauen an ganz verschiedenen Orten der Erde, die plötzlich über die Kraft verfügen, elektrische Stromstöße abzugeben, ganz ähnlich wie das auch Aale tun. Das können sie mittels eines neuen Organs, das ihnen am Schlüsselbein wächst, wie Wissenschaftler bald herausfinden. Die Frauen können Funken sprühen lassen, Blitze aussenden und schon eine Berührung kann reichen, um andere Menschen schwer zu verletzen. Das verändert die Kräfteverhältnisse zwischen Frauen und Männern bald ganz grundlegend.

Erzählt wird das aus Sicht verschiedener junger betroffener Frauen aus Nigeria, Seattle, London, Saudi-Arabien, dem Balkan und der amerikanischen Pampa. Nur was vereint diese jungen Frauen? Warum haben gerade sie diese Gabe? Diese Frage stellt sich auch Margot Cleary-Lopez (Toni Collette), die Bürgermeisterin von Seattle, die zur Fürsprecherin der jungen Frauen wird, die bald unter politischen Druck geraten. Auch Margots Teenager-Tochter Jos (Auli’i Cravalho) verfügt über die titelgebende Gabe, was zu Verwerfungen in der Familie und im Freundeskreis führt. Wie sollen alle mit diesen neuen Superkräften umgehen, die gar nicht so einfach zu kontrollieren sind. Ähnlich geht es der Londoner Gangster-Tochter Roxy (Ria Zmitrowicz), die von ihrem leiblichen Vater bisher kaum wertgeschätzt wird, bis sie plötzlich über diese neuen Kräfte verfügt und für ihn zur wertvollen Waffe wird.

Dabei erzählt die rasante und äußerst spannende Serie vom Spagat zwischen der Freude und der Faszination an diesen neuen Möglichkeiten, an Prozessen der Befreiung, aber auch von den Problemen, damit umzugehen, und neuen Ausschlussmechanismen, die durch diese Entwicklung entstehen. Denn wie zu erwarten, führt die neue Macht der jungen Frauen erst einmal zu einem antifeministischen Backlash – egal, ob es die rechten Blogger in den USA sind, die sich zu Opfern weiblicher Gewalt stilisieren, Technokraten in autoritären Regimen, die um ihre Macht fürchten, oder mitunter auch religiös motivierte patriarchale Besitzstandswahrer, die sofort gewalttätig werden, sobald sich Frauen zur Wehr setzen. In Saudi-Arabien kommt es bald zu einem regelrechten Aufstand, woanders bilden sich autonome Frauenkommunen, die sich auch bewaffnen. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wird plötzlich zur großen politischen Frage. Mittendrin versucht Margot Cleary-Lopez, gegen ihren männlichen Konkurrenten für den US-Senat zu kandidieren und allen Versuchen, die »Gabe« zu kriminalisieren, entschieden entgegenzutreten. Soll es verpflichtende Tests für alle Frauen geben, um festzustellen, wer über die Gabe verfügt? Bestimmen auch in dieser Situation wie immer die Männer über weibliche Körper? Oder ändert sich plötzlich etwas?

Naomi Aldermans Romanvorlage erzählt vor allem von der dystopischen Entwicklung, die die neue Gabe (im englischen Original »The Power«) mit sich bringt. Im Roman verhalten sich die Frauen im Lauf der Zeit nicht besser als die Männer und ergreifen schließlich auch die politische Macht. Es kommt irgendwann sogar zu Genitalverstümmelungen bei Männern. Plötzlich müssen eben die Männer das erleiden, was bisher oft das kaum hinterfragte Schicksal unzähliger Frauen war. Die Serie erzählt im Gegensatz zum Roman aber vor allem von der emanzipatorischen Entwicklung, vom Ausbrechen aus dem Gewaltverhältnis, in dem viele Frauen stecken. Die »Gabe« scheinen zu Beginn besonders jene zu erlangen, die es am nötigsten haben, um gegen Vergewaltigung, Unterdrückung und Mord zu kämpfen. Aber das Phänomen breitet sich aus. Das wird in der hochkarätig besetzten Serie beeindruckend umgesetzt. Ob der dystopische Teil des Romans in einer späteren Staffel noch zu sehen sein wird, bleibt abzuwarten.

»Die Gabe« auf Amazon Prime

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