Forschungswindpark: Rotieren für den Erkenntnisgewinn

Im Sommer soll an der Unterelbe ein Forschungswindpark den Betrieb aufnehmen

  • Volker Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Forschungswindpark »WiValdi« sollen auch Wechselwirkungen zwischen mehreren Windturbinen erforscht werden.
Im Forschungswindpark »WiValdi« sollen auch Wechselwirkungen zwischen mehreren Windturbinen erforscht werden.

Das Projekt sei »weltweit einzigartig«, sagt Jakob Klassen. Der Diplom-Ingenieur betreut seitens des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt einen Forschungswindpark unweit der Elbe in der niedersächsischen Ortschaft Krummendeich, in dem Daten über Windenergie gewonnen werden sollen. »Die Sensorenkette reicht von Kopf bis Fuß«, erklärt Klassen. Bereits die 25 Meter tief in den Marschboden gerammten Pfähle für das Betonfundament, auf dem sich die Windräder und Messmasten erheben werden, sind mit Sensoren versehen. Rund 1500 Sensoren sind so in die Rotorblätter eingebaut, dass sie mit deren Oberfläche abschließen und nicht zu Verwirbelungen führen. Die Windturbinen kommen vom größten deutschen Hersteller Enercon aus Aurich.

Windenergie wird in der Gegend seit mehr als einem Vierteljahrhundert erzeugt. Seit 1997 gelten die Anlagen in Niedersachsen als »privilegierte Bauvorhaben«. Die Gemeinden haben kaum eine Möglichkeit, Anträge abzulehnen. Über das flache Land weht der Wind kontinuierlich und kräftig, vorwiegend aus Westen, von der Nordsee. Aktuell drehen sich im Landkreis Stade 242 Windmühlen.

Von Anfang an begleiteten Proteste die Planungen. Manches Dorf erlebte seine erste Demonstration, auf der »Gemeindevertreter – Gemeindeverräter« skandiert wurde. Bürgerinitiativen drohten: »Wer Wind sät, wird Sturm ernten«. Der Bund für Umwelt und Naturschutz, die Grünen und das Naturschutzamt des Landkreises warnten vor einer »Landschaftsverschandelung« und der »Industrialisierung des Landstrichs«, als die ersten »Mega-Spargel« geplant wurden, deren Rotoren sich in 100 Metern Höhe drehen. Verwaltungsgerichte befassten sich mit Klagen gegen den durch die Anlagen verursachten »Infraschall«. Zuletzt nahm auch noch die AfD das Thema auf und machte Windräder gar für Orkane und den Tod von Vögeln und Insekten verantwortlich.

Auch gegen die Leitung, die den Strom transportieren sollte, gab es Widerstand, der für jahrelange Verzögerung sorgte. Ursprünglich sollte die 700 Kilometer lange »SuedLink« genannte Trasse des Betreibers Tennet aus Masten bestehen. Inzwischen sind Erdkabel vorgesehen, die statt drei zehn Milliarden Euro kosten werden. Noch ist das Genehmigungsverfahren für die ersten 100 Kilometer von Wilster in Schleswig-Holstein bis Scheeßel im Landkreis Rotenburg/Wümme nicht abgeschlossen. Bei der Einweihung eines Kabelzwischenlagers in Zeven im März 2023 prognostizierte der Projektleiter von Tennet dafür den Sommer 2024. Vor 2026 wird kein Strom fließen.

Bei den ganzen Auseinandersetzungen um vorhandene Anlagen blieb die Forschung auf der Strecke. Und die Politik bewilligte kein Geld. Die ersten Anträge für den über 20 Millionen Euro teuren »WiValdi« (für Wind-Validation) genannten Forschungswindpark in Krummendeich gehen auf 2012 zurück, aber erst 2019 wurde das Vorhaben konkret und hat inzwischen Rückenwind durch den energiepolitischen Zeitgeist.

Die Witterung habe die Verlegung von Kabeln erschwert, begründet Jakob Klassen, warum der für das erste Halbjahr 2022 geplante Aufbau der Windenergieanlagen, Messmasten und der Leitwarte, in der die Daten verarbeitet werden, sich verzögerte. Inzwischen sind mit Schwerlasttransporten Großkomponenten angeliefert worden. Nach einem öffentlichen Besichtigungstermin am 30. März soll der Aufbau binnen 14 Tagen abgeschlossen sein.

Für den Testbetrieb in Krummendeich werden drei Windräder errichtet, von denen zwei 150 Meter hoch sind. Sie werden von fünf Messmasten flankiert. Die Anlagen befinden sich hintereinander auf einer Linie. Bei kommerziellen Windparks wird eine solche Konfiguration vermieden, weil die eine Anlage so im Windschatten der anderen liegt. Hier wird hingegen erforscht, wie der Wind abgeschwächt oder verwirbelt wird und wie genau die Rotorblätter angesteuert werden müssen, um die Windenergie abzuschöpfen. Dabei geht es nicht nur um technologische Weiterentwicklung, sondern eben auch um die Datengewinnung über das reale Verhalten der Windräder im Betrieb.

Die Fragestellungen der Wissenschaft sind nicht neu, sagt Jakob Klassen. Aber »WiValdi« ermögliche es erstmals, unter realen Bedingungen herauszufinden, wie sich Windenergieanlagen »leiser, langlebiger und effizienter auslegen und nachhaltiger betreiben lassen«. Der Standort wurde seiner »Windhöffigkeit« wegen gewählt. Bei den Experimenten werde es aber auch darum gehen, wie sich in Gegenden, in denen der Wind weniger stark und anhaltend weht, Energie erzeugen lässt.

Weil die Rotoren niemals stillstehen und durch Luftbewegungen oder Vibrationen im Untergrund in Schwingung versetzt werden können, soll der Testbetrieb auch Erkenntnisse über die Belastbarkeit liefern. Wie heikel das werden kann, zeigte sich Ende März in Grevenbroich bei Köln, wo beim Prototyp einer neuartigen Windturbine ein Rotorarm abknickte.

Mit einem zum 1. Februar in Kraft getretenen Gesetz versucht die Bundesregierung, die Windenergieerzeugung zu beschleunigen. Bis Ende 2032 sollen 1,7 bis 2,2 Prozent der Fläche Niedersachsens dafür ausgewiesen werden. Über den Anteil des Landkreises Stade daran gibt es unterschiedliche Rechnungen. 2,2 Prozent beträgt er, wenn der Testwindpark einbezogen wird. Ob der hier erzeugte Strom eingespeist werden kann, war im Mai 2022 noch unklar, denn der zuständige Rat der Gemeinde Freiburg verweigerte die Verlegung von Kabeln. Man habe »eine Einigung erzielt«, sagt Jakob Klassen: »WiValdi« werde im Sommer den Betrieb aufnehmen und quasi nebenbei für 20 Jahre Strom erzeugen.

In Freiburg scheint sich der Wind sogar gedreht zu haben. Im Januar wurde beschlossen, Windkraft auch in Landschaftsschutzgebieten zuzulassen. Ob es dazu kommt, steht dahin, denn Landrat Kai Seefried (CDU) ist dagegen.

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