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BVV-Wahl in Mitte landet vor Gericht

Grüne wollen Bezirksverordneter der Linken juristisch das Mandat entziehen lassen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Wiederholungswahl in Berlin hat bekanntlich nicht überall für gute Laune gesorgt.
Die Wiederholungswahl in Berlin hat bekanntlich nicht überall für gute Laune gesorgt.

Mehrfach hatten sich die Grünen im Kreisverband und in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte in den vergangenen Monaten beschwert, nun machen sie ernst und ziehen vor den Landesverfassungsgerichtshof, um der Linke-Verordneten Ingrid Bertermann das Mandat aberkennen zu lassen. Bertermann ist seit 2016 Bezirksverordnete und war bei der Wiederholungswahl Mitte Februar erneut in die BVV eingezogen. Allerdings nicht über die Liste der Linken – sondern auf dem Ticket der Grünen. Ein Unding, finden Letztere.

Die Sachlage klingt komplizierter, als sie ist: Da es sich um eine Wiederholungswahl gehandelt hat, mussten alle Parteien mit den gleichen Kandidatenlisten antreten wie bei der sogenannten Hauptwahl im September 2021. So hatten es die Berliner Verfassungsrichter verfügt. Ingrid Bertermann wiederum war vor eineinhalb Jahren noch Grünen-Mitglied und zog für ihre damalige Partei über Listenplatz 17 in die BVV Mitte ein, erst kurz nach der Wahl wechselte sie unter durchaus lautstarkem Protest gegen die Politik des damaligen Grünen-Bezirksbürgermeisters Stephan von Dassel zur Linkspartei.

Für die Wiederholungswahl spielte der Bruch mit den Grünen keine Rolle: Seinerzeit Grünen-Liste, heute Grünen-Liste. Und da die Partei im Februar 18 von 55 BVV-Sitzen holte, war auch Bertermann auf Platz 17 wieder mit dabei, um dann freilich umgehend in der Linksfraktion Platz zu nehmen.

Ihre ehemaligen Parteifreunde im Kreisverband und in der BVV-Fraktion Mitte wollen das nicht mehr hinnehmen. Bertermann sei schon im Vorfeld der Wahl eine »zu Unrecht berufene Bewerberin« gewesen, heißt es von den Bezirks-Grünen. Mehrmals habe man sie »aufgefordert, ihr Mandat niederzulegen und nicht auf der bündnisgrünen Liste zu kandidieren«. Dem sei sie nicht nachgekommen. Also werde man sich jetzt eben vor Gericht wiedersehen. Ziel des verfassungsrechtlichen Einspruchs sei »die Feststellung« von Bertermanns Mandatsverlust.

»Das ist ja juristisches Neuland, aber ich glaube, unsere Chancen vor Gericht stehen nicht schlecht«, sagt Grünen-Fraktionschef Tarek Massalme zu »nd«. Wie generell bei der Wiederholungswahl habe es auch im Hinblick auf die Abstimmung in den Bezirken »viele ungeklärte Punkte« gegeben. »Und einer davon betrifft die Frage, wie man damit umgeht, dass eine Bezirksverordnete, die gar nicht mehr Teil unserer Partei ist, trotzdem über unsere Liste in die BVV gewählt wird.« Massalme sagt: »Diesen sehr speziellen Zustand halten wir für mindestens untersuchungswürdig.«

Zur Wahrheit gehört, dass die von Grünen und SPD in der BVV Mitte gebildete Zählgemeinschaft – eine Art Koalition auf Bezirksebene – seit der Wiederholungswahl keine Mehrheit mehr hat. Die SPD ist auf zehn Sitze geschrumpft, somit kommen die beiden Fraktionen zusammen nur noch auf 27 Sitze. Nötig für eine Mehrheit wären 28. Rückt für Ingrid Bertermann ein weiter hinten auf der Liste platzierter Grünen-Kandidat nach, wären die alten Verhältnisse wiederhergestellt. »Ja, wir haben die Interessen unserer Fraktion und unserer Partei zu wahren«, sagt Massalme. Es gehe aber primär darum, den Wählerwillen durchzusetzen. Zur Not auch vor Gericht.

Bei der Linken sieht man dem Einspruch verhältnismäßig entspannt entgegen. Schon vor der Wahl sei vom Landes- und vom Bezirkswahlausschuss bestätigt worden, dass die Listenaufstellung rechtmäßig sei. »Wir sind deshalb zuversichtlich, dass das, was vor der Wahl galt, auch jetzt nach der Wahl gilt«, sagt Linksfraktionschef Sven Diedrich zu »nd«. Wie Massalme spricht aber auch Diedrich von »rechtlichem Neuland«. Dass die Grünen die Wahl prüfen lassen wollen, sei dabei »vollkommen in Ordnung«.

Tatsächlich ist der Einspruch gegen die Zusammensetzung der BVV Mitte nicht das einzige Verfahren, mit dem sich die Verfassungsrichter im Zusammenhang mit der Wiederholungswahl beschäftigen müssen. Demnächst dürfte es auch Post aus Lichtenberg von den Anwälten der Linke-Politikerin Claudia Engelmann geben. Wie berichtet, hatte die ehemalige queerpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus ihren Direktwahlkreis Lichtenberg 3 im Februar an den Herausforderer von der CDU verloren – mit nur zehn Stimmen Rückstand.

Trotz einer, so Engelmann, »Vielzahl an dokumentierten Wahlunregelmäßigkeiten, Auszählungsfehlern und Verfahrensverstößen« hatten die Wahlausschüsse auf Bezirks- und Landesebene eine Nachzählung abgelehnt. Zwei Anträge gegen diese Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht sind in der vergangenen Woche abgewiesen worden. Nun geht der Fall weiter zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Sollte auch das abgeschmettert werden, kommt er bei den Verfassungsrichtern auf den Tisch. »Ich ziehe das durch, mit allem, was dranhängt«, hatte Engelmann jüngst im nd-Interview betont.

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