Ibrahim Maalouf: Tanz die Trompete

Er macht das, was man am wenigsten von ihm erwartet: Der französische Trompeter Ibrahim Maalouf verbindet Jazz, Klassik und Rap. Wenn’s sein muss, auch mit der Hilfe von Sharon Stone

  • Jan Paersch
  • Lesedauer: 5 Min.
Sanft wie Chet Baker: Ibrahim Maalouf auf dem Jazzfestival in Montreux, 2022
Sanft wie Chet Baker: Ibrahim Maalouf auf dem Jazzfestival in Montreux, 2022

Es gibt Instrumentalisten, die schon körperlich wie untrennbar mit ihrem Instrument verbunden wirken. Ein David Garrett ohne Geige in den tätowierten Armen? Ein Carlos Santana ohne Gibson-Gitarre um den Hals? Unvorstellbar. Ähnlich gelagert ist es bei Ibrahim Maalouf. Ohne Trompete sieht man den 42-jährigen Franzosen kaum. Umso erstaunlicher, dass er das Instrument als Kind nur ungern in die Hand nahm.

»Ich mochte die Trompete überhaupt nicht, es machte einfach keinen Spaß«, erinnert sich Maalouf, backstage in seiner Garderobe in der Hamburger Elbphilharmonie sitzend. »Selbst wenn du jeden Tag stundenlang übst – es gibt immer ein paar Töne, die du nicht triffst. Die Trompete ist ein seltsames Wesen. Sie ist stark von deinem Befinden abhängig, sie klingt anders, wenn du müde bist oder wenn du Probleme mit deinen Lippen hast. Aber vor allem mochte ich ihren hellen Klang nicht, wenn ich Klassik spielte. Das entsprach einfach nicht meiner Persönlichkeit.«

Jahrzehnte später hat Maalouf etwas gefunden, das seinem Temperament entspricht. Einen Genrebegriff gibt es dafür nicht; meist wird er in die Schublade Jazz gesteckt. Der Musiker, Komponist und Produzent verbindet Rock, Funk, Fusion, Bossa, arabische und elektronische Musik.

In 15 Jahren hat Maalouf ebenso viele Alben veröffentlicht, dazu kommen mehr als ein Dutzend Filmmusikarbeiten und unzählige Gastauftritte. In Frankreich ist er so etwas wie ein Superstar, seine Auftritte in 10 000er-Arenen muten an wie Rockkonzerte – ob er nun mit Band auftritt oder mit riesigen Orchestern. Die – fast vollzogene – Krönung folgte 2022: Maalouf, 1980 in Beirut geboren, bekam eine Grammy-Nominierung – als erster libanesischer Instrumentalist überhaupt.

Nicht unerheblichen Anteil am Erfolg des Sohnes hat Vater Nassim, selbst Trompeter. Maalouf senior war es, der das Instrument in den 70er Jahren weiterentwickelte. Frustriert von den Anstrengungen, die es bedurfte, um mit einer herkömmlichen Trompete die in der klassischen arabischen Musik verbreiteten mikrotonalen Schnörkel zu produzieren, schuf er die Vierteltontrompete. Die hat anstelle der üblichen drei gleich vier Ventile. Sein Sohn hat nie auf einer anderen Trompete gespielt – und die Musik profitiert enorm davon.

Ibrahim Maalouf mag totgestreamten Kitsch wie »What a Wonderful World« interpretieren oder Miles Davis’ unsterblich melancholisches »Ascenseur pour l’échafaud« (Maalouf: »Das Album hat für mich alles verändert«). Klassiker. Aber die kleinen Schlenker, die eleganten Verzierungen machen seine Versionen stets unverwechselbar.

Als der Pariser mit den libanesischen Wurzeln ein Kind war, war der Jazz noch fern. Er hatte kaum eine Wahl: die Mutter Pianistin, der Vater Trompeter, beide professionelle Klassik-Interpreten. Im Alter von neun Jahren stand der kleine Ibrahim schon auf Konzertbühnen in ganz Europa und dem Nahen Osten, spielte mit dem Vater ein barockes Repertoire von Vivaldi bis Purcell.

Er hat ein komplexes Verhältnis zu seinem Erzeuger: »Mein Vater hatte kein leichtes Leben, er war ein harter Typ. Aber immer wenn wir zusammen Trompete gespielt haben, war er ganz anders. Er legte mir die Hand auf die Schulter, ich konnte den Stolz in seinen Augen sehen. So habe ich eine ganz andere Seite von ihm kennengelernt. Als Teenager fand ich dann heraus, dass es okay ist, anders zu spielen. Ich wollte etwas Sanftes, etwas, das so klingt wie ich. Das fand ich bei Miles Davis und Chet Baker.«

Jazz, Rock und Pop haben Maalouf gleichermaßen geprägt, der Künstler ist sich nicht zu schade, bei Live-Konzerten Songs von Beyoncé und Queen mit den eigenen zu verweben. Zu seinem 40. Geburtstag beschenkte er sich selbst mit dem Doppelalbum »40 Melodies«, darauf Kollaborationen mit Sting und Marcus Miller. Ganze Alben hat Maalouf großen Frauen gewidmet; so war »Dalida« eine Verbeugung vor der gleichnamigen Künstlerin, die in Deutschland als Schlagersängerin gilt (»Am Tag, als der Regen kam«), in Frankreich aber als große Chansonnière verehrt wird.

Der Trompeter scheint stets das zu machen, was am wenigsten von ihm erwartet wird. 2022 veröffentlichte er »Capacity to Love«, zum Bersten gefüllt mit aktuellen Pop-Stilistiken, sehr viel Hip-Hop, reichlich R & B, jede Menge illustre Gäste, darunter die Rapper von De La Soul und der Soul-Sänger Gregory Porter.

Auch die Schauspielerin Sharon Stone hat einen bizarren Auftritt: Im Video zum pathetischen »Our Flag« meditiert sie zwischen teuer aussehenden Chaiselongues und monologisiert über ihre Sehnsucht nach einer Zukunft und echtem »Leadership«. Die Jazz-Anhänger des Franzosen dürften’s gruselig finden, Maalouf ist’s herzlich egal: »Alle, die sich sorgen, dass der Jazz sich verändert – das sind die traurigsten Menschen überhaupt. Sie können nicht akzeptieren, dass sich alles bewegt, wie Wasser. Es geht nicht um verschiedene Stile. Es geht um die Botschaft, die die Musik zu uns trägt.«

Abends, wenige Stunden nach dem Interview, spielt Ibrahim Maalouf in der Elbphilharmonie ein Duo-Programm mit seinem alten Freund François Delporte. Mit seinen rhythmischen Licks ist der Gitarrist der perfekte Begleiter für Maaloufs triumphalen Ton. Egal, wie lange der Trompeter soliert, seine unendlich scheinende Musikalität bringt ihn immer wieder zurück zum Kern des Songs.

Zwischendurch legt er Pausen ein und erzählt die Geschichten hinter den Stücken. Maalouf ist ein glänzender Entertainer, der weiß, dass er zu viel redet. Das betont er selbst immer wieder. Doch mit wohlplatzierten Pointen bringt er das Publikum zum Lachen – und lässt es seine eingängigen Melodien mitsummen, so das Gänsehaut erzeugende »Will Soon Be a Woman«. Den Song komponierte er nach eigener Aussage spontan während eines Soundchecks, als er die Nachricht bekam, dass er bald Vater werden würde.

Ist Ibrahim Maalouf nun der Santana der Trompete? Das Instrument ist fest mit ihm verwachsen. So scheint es jedenfalls, betrachtet man die offiziellen Tourplakate, auf denen die Silhouette eines tanzenden Trompeters zu sehen ist, Michael-Jackson-Style. Maalouf hat den Schattenriss zu seinem visuellen Markenzeichen gemacht, man findet ihn auf T-Shirts und Hoodies. Bis zum eigenen Merchandise war es ein weiter Weg: »Wenn du ein schüchterner Junge bist, hast du Ängste. Es hat gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich okay bin. Wenn du erwachsen wirst, ändert sich alles. Genauso ist es mit der Musik. Ich habe Klassik genau so gespielt, wie es vorgegeben war. Aber dann habe ich entschieden: Jetzt bin ich ich. Und ich spiele so, wie ich will.«

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