Korallenschutz mit Robotern

Wie das Great Barrier Reef mit modernster Technik gerettet werden könnte

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 8 Min.
Mit dem Laich von Korallen betreiben australische Forscher ein bisher erfolgreiches Nachzuchtprogramm für Steinkorallen.
Mit dem Laich von Korallen betreiben australische Forscher ein bisher erfolgreiches Nachzuchtprogramm für Steinkorallen.

Von Cairns im tropischen Queensland starten die Ausflugsboote, die täglich Zigtausende Touristen zum Schnorcheln oder Tauchen zu den Korallenbänken des Great Barrier Reef bringen. Die größte von Lebewesen – den Korallentierchen – geschaffene Struktur der Erde ist sogar vom All aus zu sehen. Die vielen Millionen Euro teuren Fahrkarten zu den Sternen können sich jedoch nur Superreiche wie der britische Exzentriker Richard Branson leisten.

Einen ersten Eindruck des Riffs können sich Urlauber kostenlos inklusive eines Spiritualitätscocktails aus Christentum und Glauben der australischen Ureinwohner in der katholischen Kathedrale Sankt Monica in Cairns verschaffen. Die einzigartigen Kirchenfenster erzählen in leuchtenden Farben die Schöpfungsgeschichte vom Urknall bis zum Entstehen des tropischen Regenwalds, des knochentrockenen Outback und des Great Barrier Reef mit seiner üppigen Artenvielfalt. Das Flugzeugwrack an einem Korallenriff auf einem der Fenster erinnert zudem daran, dass auch der Südpazifik im Zweiten Weltkrieg ein Schlachtfeld war.

Die Erwartung der Touristen einer bunten Korallenwelt mit nicht minder bunten Fischen, mit riesigen Schildkröten, majestätisch gleitenden Stachelrochen oder furchterregend aussehenden, aber harmlosen Riffhaien wird aber oftmals enttäuscht. Seit Jahrzehnten leidet das Riff große Not. Eine Reihe von kurz aufeinanderfolgenden El-Niño-Ereignissen haben Teile des Riffs bleichen lassen. El Niño führt zu höheren Wassertemperaturen und bei hohen Temperaturen stoßen die Korallen die Algen ab, mit denen sie in Symbiose leben, was zum Verlust ihrer Farbe führt. Dadurch werden die Korallen auch nicht mehr mit Nährstoffen versorgt und sterben ab. Klimawandel, mit Düngemitteln belastete Flüsse, verschmutzte Abwässer, Überfischung und Gefährdung durch den boomenden Kohlebergbau in Queensland sind weitere Zutaten, die die Selbstheilungskräfte der gestressten Korallen überfordern. Die Prognose der Wissenschaftler: Wenn das so weitergeht, ist das Riff in wenigen Jahrzehnten Vergangenheit.

Ökologische Balance wiederherstellen

Nun sind Wissenschaftler keine esoterischen Zeitgenossen, die durch eine Glaskugel in eine unabänderliche Zukunft zu blicken glauben. Vielmehr orientieren sie sich an den tatsächlichen Erkenntnissen ihrer Forschung. Dabei geht es nicht nur um das Wissen, warum und wie etwas passiert, sondern auch darum, wie ungesunde Entwicklungen abgestellt und entstandene Schäden beseitigt werden können und sich die ökologische Balance mit modernster Technik nachhaltig wieder herstellen lässt.

Mit großer Freude konnten so die Meeresbiologen der Reef Restoration Foundation jetzt Kindergeburtstag feiern. Durch künstliche Befruchtung gezeugte Korallenbabys wurden fünf Jahre alt. »Wie Tausende Fünfjährige, die diesen Monat in ganz Australien eingeschult wurden, wachsen und entwickeln sich unsere Korallenbabys weiter und erreichen wichtige Meilensteine. Bisher sind diese Korallen größer als ein Essteller geworden, haben schwere Korallenbleichereignisse überstanden und begonnen, selbst Babys zu bekommen. Das lässt hoffen, dass diese innovative Technik beschädigte Riffe erfolgreich wiederherstellen kann«, sagten an dem Projekt beteiligte Wissenschaftler in einer im Januar 2023 veröffentlichten Erklärung über die »weltweit führende Technik zur Züchtung von Babykorallen«. »Unsere Forscher fangen an gesunden Riffen Laich aus Koralleneiern und -sperma und ziehen Millionen von Babys in speziell entworfenen schwimmenden Becken auf dem Riff und in Bassins auf und setzen sie dann an beschädigten Riffen aus, um diese wiederherzustellen und neu zu bevölkern.«

Im australischen Sommer 2016/2017 pflanzten die Wissenschaftler hoffnungsvoll große Kolonien der kaum Streichholzkopf großen Babysteinkorallen an beschädigten Riffen vor der Küste der Insel Heron 80 Kilometer nordöstlich von Gladstone aus. 2021 entdeckten die Experten mit Freude, dass ihre Babys herangewachsen waren, gelaicht und Nachwuchs produziert hatten. Parallel zu diesem Projekt laufen bereits Forschungen zur Weiterentwicklung der In-Vitro-Fertilisationstechnik der Korallen. Dadurch, so hoffen die Experten, können in Zukunft Millionen von Korallen ausgewildert und Schäden an Riffen behoben werden.

Roboter sollen Bestand überwachen

Für den Erfolg sind aber genaue Daten über die Zahl dieser Korallen, ihr Wachstum und ihre Gesundheit von entscheidender Bedeutung. Diese Informationen wurden bisher mühselig von tauchenden Meeresbiologen zeit- und arbeitsintensiv vor Ort erhoben. In Zukunft sollen Roboter diese Arbeit schneller und gründlicher erledigen.

Roboterspezialist Dorian Tsai vom Reef Restoration and Adaptation Project der Universität von Queensland hat zusammen mit Kollegen den Prototyp einer Roboterkamera entwickelt, die bereits erfolgreich beim jährlichen Massenlaichen der Korallen getestet wurde. Die Technologie umfasst den Prototyp einer Roboterkamera, die Computervision und lernfähige Algorithmen verwendet und jedes einzelne Korallenbaby erkennen, zählen sowie Gesundheit und Wachstum in Echtzeit verfolgen kann. »Es wird Korallenforschern ein beispielloses Maß an Kontrolle bei der Massenproduktion von Korallen bieten«, ist sich Tsai sicher.

Die Roboter sollen in Zukunft auch im Kampf gegen die gefräßigen und vermehrungsfreudigen Dornenkronenseesterne (Acanthaster planci) zum Einsatz kommen. Millionen des blau-rot gefärbten »crown-of-thorns starfish« (COTS) »überfallen« in regelmäßigen Abständen Riffe und laben sich an Steinkorallen. Ein einzelner Acanthaster planci kann innerhalb eines Jahres eine Korallenfläche von 13 Quadratmetern vertilgen und nur ein ödes Kalkskelett des Riffs hinterlassen. Die zum natürlichen Ökosystem des Great Barrier Reef gehörenden COTS mit ihren fünf Zentimeter langen Giftstacheln sind mit bis zu 50 Millionen Nachkommen pro Weibchen äußerst fruchtbar. In einem gesunden, sich im Gleichgewicht befindlichen Riffökosystem können die Tiere keinen nachhaltigen Schaden anrichten. Ihre natürlichen Fressfeinde wie der Napoleon-Lippfisch, der Riesenkugelfisch oder die Schneckenart Tritonshorn halten die Bestände in Schach.

Seesterne dezimieren die Steinkorallen

COTS-Invasionen treten aber immer häufiger und in immer kürzeren Abständen auf. Als Schuldige stehen die Bauern entlang der Küste von Nord-Queensland in Verdacht, die ihre Bananen- und Zuckerrohrplantagen mit Nitraten und Phosphor traktieren. Regen spült die Chemikalien ins Meer, Phytoplankton als Nahrung der Larven der Dornenkronenseestern blüht auf und mehr Larven erreichen das Erwachsenenalter.

Mit einem interdisziplinären Forschungsprojekt soll den COTS jetzt zu Leibe gerückt werden, deren übermäßige Ausbreitung bislang dadurch nur beschränkt eingedämmt werden konnte, dass Taucher die Kreaturen mit Giftspritzen töteten. »Wir haben Experten in den Bereichen Genetik, Datenwissenschaft, Ingenieurwesen, Ökologie, Entscheidungswissenschaft und weiteren Sozialwissenschaften, die mit Riffmanagern und Schiffsbesatzungen des ›COTS Control Innovation Program‹ zusammenarbeiten«, sagt Programmleiterin Mary Bonin. Zu den innovativen Ansätzen gehöre zum Beispiel die Entschlüsselung des COTS-Genoms, um die natürlichen Pheromone zu finden, mit denen die Dornenkronenseesterne kommunizieren. »Diese könnten verwendet werden, um Köder herzustellen, die COTS massenhaft aus ihren Verstecken und in Fallen locken«, erklärt Bonin und sagt weiter: »Andere Projekte entwickeln modernste Erkennungstechnologie. Wir schaffen neue Robotik und künstliche Intelligenzsysteme, um die rätselhaften Seesterne zu jagen, zu verfolgen und auf ihre Verbreitung schneller reagieren zu können. In dem Programm wird auch an Feinabstimmungsmethoden für Umwelt-DNA-Nachweise als frühestmögliche Warnzeichen für einen COTS-Befall gearbeitet (…).«

Die Erfolge und Entwicklungen der Wissenschaftler bieten einerseits Hoffnung auf Rettung des Riffs, aber angesichts der Vielfalt der Gefahren sind auch Zweifel angebracht, ob die Wissenschaft alleine das Weltnaturwunder bewahren kann.

»Too big to fail«

Die von Klimawandelleugnern gestellten konservativen australischen Regierungen der zurückliegenden Jahrzehnte haben zwar einerseits Forschungs- und Schutzprogramme gefördert, aber angesichts der ökonomischen Bedeutung des Riffs und der Bergbaubranche grundsätzliche Maßnahmen gegen den Klimawandel abgelehnt. Deshalb hatten sich Meeresbiologen, Korallenforscher, Wasserexperten und Klimawissenschaftler 2017 gesagt: »Wenn die Politiker nur in Kosten-Nutzen- und Profitkategorien denken können, dann sollen sie das haben. Kleben wir eben ein Preisschild auf das Riff.«

Herausgekommen ist der Report »At what price? The economic, social and icon value of the Great Barrier Reef« (»Zu welchem Preis? Der ökonomische, soziale und symbolische Wert des Great Barrier Reef«) von Deloitte Access Economics. Das Fazit des internationalen Wirtschaftsprüfungskonzerns lautete kurz gefasst: Das Great Barrier Reef als systemrelevanter »Schatz« sei »too big to fail« – »zu groß, um es scheitern zu lassen«.

Kohleförderung wird reduziert

Die Botschaft ist bei australischen Banken und auch bei der seit Mai 2022 amtierenden Labor-Regierung von Premierminister Anthony Albanese angekommen. Ende 2021 ging zwar die Megakohlemine Carmichael der Indischen Adani Group im Galilee-Becken in Queensland in Betrieb. Nachdem aber australische Banken dem indischen Milliardär Gautam Adani aus Klimaschutzgründen die Finanzierung seines Megaprojekts verweigert hatten, wurde das genehmigte Abbauvolumen von 60 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr über 60 Jahre auf 27,5 Millionen Tonnen pro Jahr reduziert, die per Schiff über das Riff nach Indien exportiert werden. Ein weiterer kleiner Erfolg war kürzlich auch die Ablehnung der Eröffnung einer weiteren gigantischen Kohlemine am Ufer des Riffs. Gleichzeitig betonten die Behörden, das sei kein Präzedenzfall für die 18 weiteren Anträge zur Förderung von Kohle in der Region.

Andererseits versicherte Albanese in diesem Jahr, von den 15 Milliarden australischen Dollar (rund neun Milliarden Euro) des »Nationalen Wiederaufbaufonds« zur Transformation von Industrie und Wirtschaft werde kein einziger Dollar für Kohle- und Gasprojekte ausgegeben.

Ob das alles reicht, die Unesco in diesem Jahr davon abzuhalten, das Weltnaturerbe Great Barrier Reef als »gefährdet« einzustufen, wird sich zeigen. Erst 2021 wäre das Riff wegen seines schlechten Zustands beinahe auf die Rote Liste der gefährdeten Weltnaturerbestätten gesetzt worden.

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