China und Frankreich: Die Causa Lu Shaye

Chinas Botschafter in Paris rührt an völkerrechtlich anerkannten Staatsgrenzen

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.
Lu Shaye, Botschafter Chinas in Frankreich, ist für seine bisweilen wenig diplomatischen Äußerungen bereits bekannt.
Lu Shaye, Botschafter Chinas in Frankreich, ist für seine bisweilen wenig diplomatischen Äußerungen bereits bekannt.

Am Montag war Außenamtssprecherin Mao Ning um Schadensbegrenzung bemüht. »China respektiert den Status der früheren Sowjetrepubliken«, sagte sie bei der täglichen Pressekonferenz in Peking. Damit wies sie indirekt die jüngsten Äußerungen des chinesischen Botschafters in Frankreich, Lu Shaye, zurück, die in der Europäischen Union für einen diplomatischen Streitfall sorgen.

Am Freitag hatte Lu Shaye im französischen Fernsehsender LCI den Status der ehemaligen Sowjetrepubliken als souveräne Nationen infrage gestellt. Ob die Krim zur Ukraine gehöre, hänge davon ab, wie man das betrachte, sagte der 58-Jährige während der Live-Sendung. Auf Nachfrage ließ der chinesische Botschafter eine rhetorische Bombe platzen: »Im Völkerrecht haben selbst die Länder der ehemaligen Sowjetunion keinen effektiven Status, weil es kein internationales Abkommen gibt, um ihren Status als souveränes Land zu konkretisieren.«

Die Entrüstung war abzusehen, insbesondere die einst von der Sowjetunion annektierten baltischen Staaten zeigten sich erzürnt. Lettlands Außenminister Edgars Rinkēvičs bezeichnete die Aussagen als »völlig inakzeptabel« und bestellte den Geschäftsträger der chinesischen Botschaft in Riga ein. Zudem forderte eine Gruppe von über 80 europäischen Parlamentariern in einer schriftlichen Petition, dass die französische Regierung Lu Shaye künftig zur Persona non grata erklären und damit nicht mehr als Diplomat anerkennen solle.

Es ist nicht das erste Mal, dass der 1964 im ostchinesischen Nanjing geborene Lu für einen Eklat sorgt. In den letzten vier Jahren, seit der Botschafter von Ottawa nach Paris wechselte, lieferte er mehr als ein halbes Dutzend davon: So sagte er im August 2022 im französischen Fernsehen, die Bewohner Taiwans seien einer »Gehirnwäsche« unterzogen worden und benötigten nach der »Wiedervereinigung« eine patriotische »Umerziehung«. Regelmäßig diffamiert er einzelne Journalisten wegen kritischer Artikel als Lügner.

Lu ist kein Einzelfall, sondern nur ein ausgeprägter Prototyp des chinesischen »Wolfskriegers«: Damit werden jene polternden Diplomaten bezeichnet, die unter Staatschef Xi Jinping für ihren demonstrativ zur Schau getragenen Nationalismus systematisch befördert wurden. Oftmals ist ihre konfrontative Rhetorik zwar nicht im Sinne der diplomatischen Beziehungen zum Gastland, doch das adressierte Publikum sitzt ohnehin daheim: Regierungsvertreter wie Lu Shaye wollen vor allem dem chinesischen Volk beweisen, dass sie sich vom Westen keine Kritik mehr gefallen lassen, sondern austeilen können.

Diesmal ist der Botschafter allerdings zu weit vorgeprescht: Seine eigene Botschaft hat das Transkript des Fernsehinterviews auf ihrem We-Chat-Account nur wenige Stunden später wieder gelöscht. Dennoch bezweifeln viele Kommentatoren, dass es sich lediglich um einen spontanen Fauxpas handelt. »Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Lu aus eigener Initiative gesprochen hat und nicht von Peking als führender Wolfskrieger des chinesischen diplomatischen Corps losgelassen wurde«, schreibt etwa Alex Lo, Kolumnist der Hongkonger »South China Morning Post«.

Er sieht die Aussage vor allem auch als gezielte Warnbotschaft gegen die baltischen Staaten. Denn Lettland, Litauen und Estland haben in den letzten Jahren nicht nur zunehmend China den Rücken gekehrt, sondern gleichzeitig auch ihre Beziehung zum demokratisch regierten Inselstaat Taiwan forciert. Nun müssten sie mit den Konsequenzen leben, schreibt Lo in seiner Kolumne: »Peking schert sich zwar einen Dreck um deren internationalen Status und sieht auch keine Vorteile darin, Putin dabei zu helfen, sich auf dem alten sowjetischen Spielplatz zu profilieren. Aber der Westen sollte sich dennoch noch einmal überlegen, ob er in Bezug auf Taiwan mit dem Feuer spielt.«

Auf chinesischen Online-Plattformen wird Lu Shaye für seine Kontroverse bejubelt. »Ich unterstütze Botschafter Lu an allen Fronten«, lautet eines der Postings mit den meisten Likes. Ein anderer User meint: »Ich denke, was Botschafter Lu gesagt hat, ist ziemlich gut und logisch.«

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