Macron gibt sich selbstkritisch

Frankreichs Präsident begegnet dem Unmut der Bürger mit einer Werbetour durchs Land

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Welche Region Frankreichs Emmanuel Macron in diesen Tagen auch besucht, überall wird er mit dem Lärm geschlagener Töpfe oder Pfannen und mit Sprechchören empfangen. Genau ein Jahr nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten ist die Zustimmung zu ihm und seiner Politik in Umfragen auf einem neuen Tiefpunkt angekommen.

Schwer angekreidet wird ihm vor allem, dass er die Rentenreform mit dem Eintrittsalter von künftig 64 statt 62 Jahren ungeachtet der Proteste der Gewerkschaften und der Millionen, die zwischen Januar und April bei einem Dutzend Aktionstagen auf die Straße gingen oder streikten, durchgedrückt hat. Kommentatoren fragen sich bereits, was der Präsident bei einer solch tiefen Krise zwischen ihm und den Bürgern in den restlichen vier Jahren seiner Amtszeit noch Positives zustande bringen will.

In einer Fernsehansprache, mit der er vor einer Woche die Rentenreform im Nachhinein zu rechtfertigen versuchte, bat Macron zugleich um eine Art »Schonzeit« von 100 Tagen, um »das Land wieder zu befrieden und die nationale Einheit wiederherzustellen«. Es ist zu bezweifeln, dass ihm das gelingt, aber zumindest will er es versuchen.

Dabei kehrt Macron wieder zu seiner Taktik zurück, die ihn schon 2018/19 die Proteste der »Gelben Westen« überstehen ließ und reist durchs Land, um »den Puls des Volkes zu fühlen« und in unermüdlichen Diskussionen für seine Vorhaben zu werben. Er sucht den unmittelbaren Kontakt mit den Franzosen vor Ort, besucht in den verschiedenen Landesteilen Dörfer und Städte oder Betriebe, die besonders innovativ oder nachhaltig arbeiten. Aber auch Schulen und Universitäten, wo die Kritik besonders virulent ist, stehen auf dem Programm.

Zum Schrecken seiner Leibwächter scheut Macron dabei nicht das – oft improvisierte – »Bad in der Menge«, auch wenn er dabei viel Kritik und Topflärm zu hören bekommt. Auf jeden Fall will er den Eindruck vermeiden, er habe sich angesichts des starken Gegenwindes im Elysée verschanzt, um die Welle des Unmuts über sich hinwegrollen zu lassen und zu warten, bis sie versandet ist.

Als abschreckendes Beispiel steht ihm wohl sein Amtsvorgänger Giscard d’Estaing vor Augen, der zwischen 1974 und 1981 Präsident war und der das noch durch das patriarchalische Gespann Charles de Gaulle-Georges Pompidou geprägte Frankreich mit einem scharfen Wind moderner Reformen aufgescheucht hat. Von denen konnte er allerdings nur einen kleinen Teil verwirklichen. Dazu gehörte immerhin die Zulassung des Schwangerschaftsabbruchs, was ihm letztlich noch einen ehrenden Platz in den Geschichtsbüchern sicherte. Dass Giscard kaum mehr hinterlassen hat, lag vor allem daran, dass er isoliert und selbstherrlich im Elysée regierte und es nicht verstand, die Gewerkschaften als wichtigstes Bindeglied zwischen der Regierung und der Masse der Franzosen für seine Reformen zu gewinnen.

Auch Macron neigt zur Selbstüberschätzung. Er entscheidet nach der eigenen Überzeugung und nur zu oft, ohne zuvor zu konsultieren. Dass er bei der Rentenreform die Gewerkschaften und ihre Meinung nicht ernst genommen und einbezogen hat, entfremdete ihn von wichtigen Sektoren der Gesellschaft, was ihn wohl noch bis ans Ende seiner Amtszeit verfolgen wird.

Dabei standen Macron mit der größten Gewerkschaft CFDT und deren Generalsekretär Laurent Berger potenzielle Partner gegenüber, die – ganz anders als beispielsweise die CGT – für Reformen durchaus aufgeschlossen waren. Eine Neuregelung der Rentenberechnung nach Beitragsjahren und nach einem gerechten und Wechselfälle des Lebens berücksichtigenden Punktesystem hätte sich mit diesen Gewerkschaften machen lassen. Hätte der Präsident auf sie wie auch auf Rentenrechtsexperten gehört, so hätte er sich und Frankreich viel Unruhe und Ärger erspart.

Diese Erkenntnis muss ihn wohl auch bewogen haben, dieser Tage in einem Interview selbstkritisch einzuräumen, dass er in der jüngsten Vergangenheit sicher »Fehler gemacht« hat. So bleibt ihm jetzt nur der Canossagang zu den Franzosen vor Ort, um sie wieder für sich zu gewinnen. Damit es dabei nicht zu laut zugeht, haben einige Präfekte der besuchten Departements per Dekret verfügt, dass während der Präsidentenvisite »tragbare Lärminstrumente« verboten sind und durch die Polizei beschlagnahmt werden können. Macron selbst konnte seiner üblichen Bonmot-Versuchung nicht widerstehen und hat erklärt, dass »Töpfe Frankreich nicht voranbringen werden«. Das hat ein Unternehmen gekontert, indem es auf Werbeseiten in der Presse versichert: »Unsere Töpfe bringen Frankreich voran!«

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