Berufsverbote: Viel zu radikaler Verfassungstreue-Check

Linksfraktion befasst sich mit Berufsverboten ab 1972 und zieht Lehren

Am Schluss erläutert die Brandenburger Landtagsabgeordnete Marlen Block (Linke) die Position ihrer Partei: Eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz vor der Einstellung von Beamten in den Landesdienst »lehnen wir ab«. Alle Fälle, »die aufgeploppt sind«, wären durch einen Verfassungstreue-Check, wie ihn Innenminister Michael Stübgen (CDU) plant, nicht aufgefallen. Da gab es zum Beispiel einen Chemie- und Biologielehrer in Hennigsdorf. Der trug auf den Bauch tätowiert den SS-Spruch »Meine Ehre heißt Treue« und verschiedene rechte Symbole. Es brauche eine »Kultur des Hinschauens«, meint Block. Bei dem Hennigsdorfer Pädagogen hatte ein Kollege hingesehen, als sich der Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf bei einem Sportfest an einem heißen Sommertag das T-Shirt auszog und mit freiem Oberkörper mit seinen Schülern Volleyball spielte.

Die Gesellschaft sei auf dem Weg nach rechts, man sehe es an der AfD, erinnert die Abgeordnete Block. Wäre bereits jetzt Landtagswahl in Brandenburg und nicht erst im Herbst 2024, so würde die AfD laut der jüngsten Meinungsumfrage 25 Prozent der Stimmen erhalten und damit stärkste Kraft werden. »Die Richtung ist gefährlich«, sagt Block. Schnell könne es passieren, dass der Verfassungstreuecheck nicht etwa dazu eingesetzt wird, Neonazis aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten, wie es Innenminister Stübgen vorhat. Das Instrument der Regelabfrage beim Verfassungsschutz könnte dann gegen demokratische Linke eingesetzt werden, befürchtet die Politikerin. Auch »aus historischer Verantwortung« lehne die Linksfraktion das Vorhaben ab.

Wer die Geschichte des Radikalenerlasses von 1972 in der alten Bundesrepublik nicht kennt und nichts über die Vorgeschichte und die Nachwirkungen weiß, der erhält am Dienstagabend Aufklärung durch den Rechtsanwalt und Bürgerrechtsaktivisten Rolf Gössner. Wer nicht zu dieser Veranstaltung der Linksfraktion in den Saal 2050 des Potsdamer Landtags kommen oder sie im Livestream im Internet verfolgen konnte, der kann sich in den nächsten Wochen immer noch die Ausstellung »Vergessene Geschichte der Berufsverbote« ansehen. Sie wird jetzt zwei Monate lang auf dem Flur der Linksfraktion gezeigt.

Nicht nur Beamte, auch Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst wurden auf Grundlage des Radikalenerlasses politisch überprüft – insgesamt rund 3,5 Millionen Menschen. Die Geheimdienste meldeten 25 000 bis 35 000 Verdächtige. Mehr als 10 000 Berufsverbotsverfahren wurden eingeleitet, etwa 2250 Bewerber erst gar nicht eingestellt und 256 Beamte entlassen. »Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher liegen«, informiert die Ausstellung.

In einigen wenigen Fällen habe es auch Rechte getroffen, überwiegend aber Linke, erklärt Rolf Gössner. Angekreidet wurde Bewerbern etwa die Mitgliedschaft in der immerhin legalen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Betroffen von Verfolgung seien aber auch Angehörige und Kontaktpersonen gewesen. So habe es für Nachstellungen genügt, sich in bestimmten Organisationen zu engagieren, in denen auch Kommunisten mitwirkten. Beweise seien nicht erforderlich gewesen. Schon Zweifel an der Verfassungstreue hätten genügt, jungen Menschen die Zukunft zu verbauen. »Dieses dunkle, zwei Jahrzehnte währende Kapitel der alten Bundesrepublik ist bis heute nicht aufgearbeitet worden«, bedauert Gössner. Immerhin hat es vom Land Niedersachsen eine Art formelle Entschuldigung gegeben, und das Land Berlin hat sein Bedauern ausgedrückt.

Gössner zufolge kam der Radikalenerlass nicht aus dem Nichts. Vorläufer sei die systematische Verfolgung von Kommunisten schon in den 50er Jahren gewesen, die im Verbot der KPD 1956 gipfelten. Bereits damals seien mehr als 10 000 Personen zu Haft- oder Bewährungsstrafen verurteilt worden, die nicht etwa Aufstände angezettelt oder politische Morde begangen hätten. »Das politische Strafrecht zeigte die Handschrift entnazifizierter Altnazis in den westdeutschen Sicherheitsorganen«, so Gössner.

Erst 1968 wurde eine sogenannte Rechtskorrektur-Amnestie erlassen. Doch ausgerechnet unter SPD-Kanzler Willy Brandt, der mit dem Slogan »Mehr Demokratie wagen« angetreten war, habe es 1972 mit dem Radikalenerlass einen Rückfall in alte Muster gegeben. 1985 hob das Saarland als erstes Bundesland den Radikalenerlass auf. Als letztes Bundesland verzichtete Bayern 1991 auf die Regelabfrage beim Verfassungsschutz.

Lediglich eine einzige Lehrerin, die als DKP-Mitglied Berufsverbot hatte, konnte sich laut Gössner vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Entschädigung für ihre Behandlung erstreiten. Schon in den 90er Jahren habe sich eine neuerliche Berufsverbotspraxis abgezeichnet. Diesmal seien Menschen wegen früherer Stasi-Tätigkeit oder einfach Staatsnähe in der DDR vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen worden. In jüngerer Zeit habe in Baden-Württemberg der Realschullehrer Michael Csaszkoczy Berufsverbot erhalten, weil er der Roten Hilfe angehörte. Erst nach vier Jahren sei dies 2007 in zweiter Instanz für rechtswidrig erklärt worden. Später habe Kerem Schamberger als DKP-Mitglied unangemessen lange auf seine Doktorandenstelle an der Universität München warten müssen, und jemand von der Linksjugend Solid habe in Bayern nicht gleich Referendar im Schuldienst werden dürfen.

Für Rolf Gössner lehrt dies alles: Massenhafte und anlasslose Regelabfragen dürfe es nie wieder geben. »Alles andere wäre geschichtsvergessen.« Doch in Brandenburg droht nun genau das. Die erste Lesung des Gesetzes, mit dem der Verfassungstreue-Check eingeführt werden soll, gab es bereits 2021, es folgte eine Anhörung. Nach einer zweiten und dritten Lesung könnte es beschlossen werden.

Er sei Ostdeutscher und zu jung, um die Berufsverbotspraxis der alten BRD aus eigenem Erinnern zu kennen, sagt Matthias Schlenzka vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) am Dienstagabend im Gespräch mit Block und Gössner. Schlenzka gab in der Anhörung des Landtags eine Stellungnahme des DGB ab und äußerte sich dort nach eigener Darstellung zurückhaltend. Er wisse, dass sich viele an die 70er Jahre erinnert fühlen. Doch: »Heute haben wir eine andere Situation.« Eine Woche nach der Anhörung sei eine rechte Terrorzelle ausgehoben worden, der die Richterin und vormalige Berliner AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann angehört haben soll. »Dieses Ereignis hat mich ein bisschen nachdenklich gemacht«, gesteht Schlenzka. Dabei weiß er, dass die Gewerkschaften den Radikalenerlass von 1972 mitgetragen hatten. »Im DGB sind wir uns einig, dass Rechtsextremismus und Antisemitismus nicht in den öffentlichen Dienst schwappen sollen«, sagt Schlenzka. Ob die Regelabfrage das richtige Mittel ist, da sei er allerdings noch ein bisschen ratlos. Was würde dann geschehen? Man sollte jungen Menschen, die Mist gebaut haben, vielleicht noch eine Chance geben und durch politische Bildung ein Umdenken bewirken.

»Verfassungsgegner müssen ganz klar aus der Polizei ausgeschlossen werden«, sagt Anita Kirsten, Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Sie glaubt: »Wir haben einen guten Verfassungsschutz.«

Doch das sei ein Geheimdienst, und und der sei nicht kontrollierbar, sind Marlen Block und auch Niklas Schrader (ebenfalls Linke) überzeugt. Beide sitzen in den parlamentarischen Kontrollgremien, die den Verfassungsschutz überwachen sollen – Block im Brandenburger Landtag, Schrader im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie wissen also, wovon sie sprechen. Politikerin Block findet: »Um die Verfassung zu schützen, dafür brauchen wir den Verfassungsschutz nicht.« Über rechte Strukturen vor Ort wisse die Zivilgesellschaft oft besser Bescheid.

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