Trauer um Harry Belafonte: Das Herz schlug links

Mit Harry Belafonte verstummt ein künstlerisches Multitalent und engagierter Antirassist

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 5 Min.
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Als wir damals mit großen Augen den Checkpoint Charly passierten, erklärte uns Harry, dass die Mauer nicht mehr allzu lange stehen bleiben würde», erinnert sich Dianne Reeves. «Die Leute werden es nicht ewig dulden, das war seine Einschätzung», erinnert sich die Jazz-Sängerin, die von Belafonte entdeckt wurde. Gemeinsam mit dem Calypso- und Folksänger stand sie damals im Palast der Republik auf der Bühne, um gegen das Wettrüsten im Zentrum Europas und für den Frieden zu singen. Sechs Jahre später wurde die Prognose wahr, die Wand zwischen Ost und West fiel und Dianne Reeves musste an ihren Mentor denken.

Harry Belafonte hatte sie als Leadsängerin gefördert, ihre Vorliebe für das Improvisieren erkannt und sie mit Musikern aus allen Ecken der Welt zusammengebracht. Eine exzellente Schule, in der Dianne Reeves nicht nur musikalisch reifte, sondern vieles dazulernte. «Harry wusste, wie er seine Popularität als Künstler einsetzen konnte, um Veränderungen in der Welt anzustoßen.»

Das hatte Belafonte allerdings erst lernen müssen. Als trotzig und böse auf die Welt hat er sich selbst zu Beginn der 1950er Jahre beschrieben und diese Haltung hat ihm erst Martin Luther King ausgetrieben. Der afroamerikanische Bürgerrechtler hatte den jungen, rebellischen Sänger und Schauspieler in der zweiten Hälfte der 19950er Jahre auf das andere, das gewaltfreie Gleis gesetzt. Das war neu für den großen Mann mit dem breiten Kreuz und dem schlauen Kopf.

Belafonte wuchs als Sohn eines Matrosen aus Martinique und einer jamaikanischen Hilfsarbeiterin in Harlem auf. Dort hatte er lernen müssen, sich durchzusetzen. Gegen Diskriminierung und Rassismus, aber auch gegen den eigenen Vater, der wenig präsent war. Und wenn er zu Hause blieb, dann verprügelte er seinen Sohn. Der Armut und der Gewalt wollte Belafonte entfliehen, träumte von einem anderen Leben und verließ 1944, gerade 16 Jahre alt, die Schule. Freiwillig meldete er sich zum Militär, um in Europa gegen die Nazis zu kämpfen.

Doch er landete nicht an der Front, sondern in der Versorgungskette – beim Verladen der Munition auf Kriegsschiffen. Für Belafonte eine stumpfsinnige, überaus riskante Arbeit für die meist Schwarze Soldaten abgestellt wurden. Darüber ärgerte er sich einmal in einem Interview.

Drei Jahre später verließ der 19-Jährige die Armee – ohne echte Perspektive. Belafonte jobbte als Hausmeistergehilfe in einer Mietskaserne in Harlem. Als er eines Tages einem Mieter die Jalousien reparierte, bedankte sich dieser mit einem Trinkgeld in Form von zwei Theaterkarten für das American Negro Theatre. Das gehörte zu den ersten afroamerikanischen Theatern und führte Stücke im Keller der Stadtbücherei an der 135. Straße auf. Belafonte war sofort Feuer und Flamme. Die Dramaturgie, die Magie der Texte und die Strahlkraft der Schauspielerei fesselten ihn.

Als Fahrstuhlführer und Verkäufer verdiente er sich das Geld für den Schauspielkurs beim deutschen Regisseur Erwin Piscator. Der unterrichtete an der kritischen New School for Social Research, wo sich auch Marlon Brando, Tony Curtis und Walter Matthau eingeschrieben hatten. Ein exzellenter Jahrgang, und Harry Belafonte schaffte 1954 mit seiner Rolle im Broadway Musical «Carmen Jones» den Durchbruch als Schauspieler. In den Fünfzigerjahren war Belafonte neben Sidney Poitier der erste Schwarze Hollywoodstar und hatte mit Filmen wie «Heiße Erde» und «Wenig Chancen für morgen» riesigen Erfolg.

Neben der Schauspielerei zog Belafonte mit Folk- und Calypso-Songs durch New Yorker Clubs und feilte an seiner Stimme. Sein markanter Tenor mit dem prägnanten unterschwelligen Raspeln war der Grund, weshalb er aus so manchem ordinären Song einen Evergreen machte. Das Potenzial erkannten die Manager des legendären «Village Vanguard», wo er 1954 sein erstes Engagement bekam und das zum Sprungbrett für seine Karriere als Sänger, Komponist und Produzent wurde.

1956 kam «Calypso» heraus und die Schallplatte wurde mehr als eine Million Mal verkauft und machte den rebellischen Mann aus Harlem zum Star. Ein Hit war «Day-O» (The Banana Boat Song), der zu einer Hymne der Bürgerbewegung wurde, ein anderer war «Man smart (Women Smarter)». Für Belafonte öffneten sich Türen, der smarte Mann mit dem Schmelz in der Stimme wurde zum Calypso-King, der seine Popularität nutzte, um anderen ins Scheinwerferlicht zu helfen. So holte er Bob Dylan mit seiner Mundharmonika auf die Bühne, mit Dianne Reeves, aber auch mit Nana Mouskouri oder Miriam Makeba trat er auf und engagierte sich auf und neben der Bühne für mehr Toleranz und Respekt.

Belafonte wurde nach seinem ersten Treffen mit Martin Luther King, der bei seinen Besuchen in New York fortan bei ihm unterkam, zu einer zentralen Figur der Bürgerrechtsbewegung, engagierte sich gegen den Vietnamkrieg und die chilenische Diktatur. Folgerichtig war da nur, dass sich Belafonte für die Freilassung Nelson Mandelas engagierte und gegen die Apartheid.

1980 hatte das in Manhattan lebende Multitalent dann die Idee zum Benefizsong «We are the World», mit dem gegen den Hunger in Afrika mobil gemacht werden sollte. Die Initiative wurde ein Erfolg und ein Jahr später nahm der Superstar bei der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981 das Mikrofon in die Hand und warnte vor der Aufrüstungsspirale.

Früh erkannte der Talentscout Belafonte auch das Potenzial von Hip-Hop, Break Dance und Graffiti und ebnete dem zutiefst afroamerikanischen Genre mit «Beat Street», dem ersten Hip-Hop-Film überhaupt, den Weg. Für Belafonte war Hip-Hop authentisch, im Gegensatz zur immer kommerzieller werdenden Pop-Kultur, mit der Mister Calypso nur noch wenig anfangen konnte. Ein Grund, weshalb es musikalisch ruhiger um den Altmeister wurde, der konsequent gegen Rassismus in aller Welt eintrat – auch in Deutschland. Im Februar 2010 besuchte er die Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert.

Typisch für den großgewachsenen Mann, der nie aufgehört hat, den Traum von Martin Luther King nach Freiheit und Gleichheit zu verfolgen. Auf seine Initiative entstand «Against the Wall», ein vierminütiger Kurzfilm gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner*innen, der 2016 von seiner Tochter Gina in Szene gesetzt wurde. Ohne Belafonte wäre «Black Lives Matter» vielleicht unter anderen Vorzeichen entstanden.

Am 25. April verstarb Harry Belafonte im Alter von 96 Jahren an der Upper West Side von New York City an Herzversagen.

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