Armut verpflichtet

»Old money« oder neureich? In den USA kommt’s drauf an

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 3 Min.
Es genügt nicht, reich auszusehen, ein bisschen stilvoll soll es auch noch zugehen.
Es genügt nicht, reich auszusehen, ein bisschen stilvoll soll es auch noch zugehen.

Howdy aus Texas, liebe Leser*innen, sind Sie »old money«? Dieser Begriff ist gerade der letzte Schrei in den USA. Er bedeutet: sich kleiden und gebaren, als hätte man über viele Generationen vererbte Kohle, ganz egal, ob die Alten wirklich noch selbst geschossene Raubtiere in ihrem Chateau ausstellen oder nur mit Coupons bei Walmart einkaufen. Understatement, aber mordsteuer und todschick. Unschick dagegen gilt nun der neureiche Stil – offensichtliche Logos, Vulgäres, Prolliges, wie bei den Kardashians. Oder bei Kader Loth. Gerade noch war das total modisch und trieb manch amerikanisches Designeropfer in die Schuldenfalle, wie beispielsweise den prahlerischen Rapper 50 Cent, der vor einigen Jahren Bankrott anmelden musste – nomen est manchmal wirklich omen.

Talke talks
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Kritiker dieser neuen Altgeldtendenz sagen nicht zu Unrecht, dass die Hinwendung zum unauffällig Erhabenen rassistisch motiviert sei, wenngleich Klimawandel und Wirtschaftskrise bei diesem Trend sicherlich auch eine Rolle spielen. Minderheiten in den USA haben nun etwas mehr Geld zur Verfügung als zuvor, und seit diese Interesse an Gucci und Louis Vuitton zeigten, wollten sich die weißen Amerikaner Trendexperten zufolge von den Nichtweißen distanzieren. Mit der Wiederentdeckung der »quiet luxury«, also des »leisen« Luxus à la Kennedy-Clan. Dabei war an dieser famosen Familie nun wirklich nichts leise! Oder auch à la BWL-Justus. Apropos Justus, »Euro-chic« ist somit selbstverständlich auch total trendy in den USA. Mit Europa ist dabei wie immer nur Westeuropa gemeint, für den Ostblock reicht der Nachahmungswunsch dann doch nicht. Da mögen sie schließlich noch Gucci.

Wie ich außerdem beobachte, herrscht in den USA eine angenehme Art von Bewunderung für den westeuropäischen Lebensstil. Egal wem ich begegne, wenn ich sage, ich käme aus Deutschland, so erklingen stets Komplimente. Die US-Amerikaner loben unsere großzügige Anzahl an Urlaubstagen und Mutterschutzmonaten, sagen, wir bewegten uns sehr viel und hätten hervorragendes Essen.

Dabei findet teilweise auch eine Verklärung des europäischen Lebensstils statt. Während die britische Monarchie die Amis mehr zu interessieren scheint als die Briten selbst, schreibt »Bridgerton« diese gleich in ein verträumtes Toleranz-Paradies um; und jede US-Gastgeberin, die was auf sich hält, serviert ihren Gästen neuerdings Charcuterie-Brettchen (oder eher Bretter, denn die Portionen bleiben uneuropäisch riesig). Vielleicht ist der amerikanische Wunsch nach generationsübergreifender Gediegenheit auch eine Sehnsucht nach okzidentaler Sicherheit, Freizeit und Weltgewandtheit. Dass es bei uns nicht immer so elegant und libertin zugeht, sollten wir unseren transatlantischen Freunden vielleicht gar nicht verraten, um ihnen ihre Träume nicht zu nehmen. Und ich muss gestehen, ich genieße ihre Komplimente zu sehr.

Auch die andere Seite der europäischen Medaille wirkt hierzulande. »Late stage capitalism«, also Spätkapitalismus, ein Begriff, den der deutsche Soziologe und Teilzeitrassist Werner Sombart Anfang des 20. Jahrhunderts prägte und den der Marxist Ernest Mandel ein halbes Jahrhundert später popularisierte, ist hier in aller Munde. Viele europäische Denker wandelten diesen Begriff für ihre Philosophien um, von Adorno bis zu Derrida oder Habermas. Heute impliziert »late capitalism« unter anderem die Kritik am ausbeuterischen nordamerikanischen Businessmodell, welches den Angestellten mental und sozial schadet, ist aber auch eine ironische Auseinandersetzung mit den kuriosen Phänomenen unserer Zeit wie den 18-Dollar-Shakes vom Edel-Supermarkt Erewhon in Los Angeles – oder Gwyneth Paltrows Wellnesswebsite Goop, die rektale Ozontherapie bewirbt.

Ob Eskapismus dank edlen europäischen Marken oder eine neue Version der kritischen Theorie, die Amerikaner können endlich nicht genug von uns kriegen. Bis der nächste Trend kommt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal