Heißes Frühjahr in Italien erwartet

Gewerkschaften machen mobil gegen Melonis Arbeitsgesetz und den Abbau des Sozialstaats

  • Wolf H. Wagner
  • Lesedauer: 4 Min.

In einem eigens gedrehten Video im Palazzo Chigi, Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten, preist Regierungschefin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia, FdI) die Errungenschaften des neuen Dekrets an: Mehr Menschen sollen in Arbeit kommen, Steuersenkungen die Inflation bremsen und alle mehr von ihren Einkommen profitieren. Sie sei sehr stolz auf das Erreichte, meint Meloni.

Doch die Realität sieht anders aus. Zwar sind im Dekret Lohnsteuersenkungen beschlossen worden, doch die greifen nur bei niedrigen Einkommen. So sollen Arbeitende mit einem Bruttojahreseinkommen bis 25 000 Euro sieben Prozent weniger Steuern, solche mit einem Einkommen bis 35 000 sechs Prozent weniger zahlen müssen. Netto entspräche dies etwa einer Zahlung zwischen 35 und 100 Euro monatlich – eine Summe, die in keiner Relation zur derzeitigen Inflations- und Teuerungsrate steht. Die Premierministerin fügte sodann noch hinzu, Unternehmen hätten ja noch die Möglichkeit, über Boni und Sachgutscheine ihre Mitarbeiter für gute Leistungen zu honorieren. Allerdings liegt dieses Mittel in der Hand der Unternehmer, ohne dass für die Arbeitenden ein gesicherter Rechtsanspruch besteht.

Um mehr Menschen in Arbeit zu bringen – so eine weitere Maßnahme der Regierung –, soll die Möglichkeit der Befristung von Arbeitsverträgen von bisher 12 auf nun 24 Monate erhöht werden. Mussten bislang Beschäftigte nach einem Jahr in einen festen Vertrag übernommen werden, so erhöht sich nun die Unsicherheit auf zwei Jahre – ein Bonus für die Unternehmer, die nun freiere Hand zum Kündigen bekommen. Vor allem im wirtschaftlich desolaten Süden des Landes wird damit die Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse deutlich ansteigen.

Parallel ist im Dekret der bereits angekündigte Wegfall des Grundeinkommens, des Reddito di Cittadinanza, zu Beginn des kommenden Jahres festgeschrieben. Wer nachweislich aus Krankheits- oder Altersgründen, wegen einer Schwerbehinderung oder wegen der Erziehung von Kindern keiner geregelten Arbeit nachgehen kann, soll befristet noch eine Sozialunterstützung erhalten; allerdings ist dieses Geld nicht kontinuierlich erhältlich. Und da auch die Arbeitslosenunterstützung deutlich gekürzt wird, ist eine Verarmung der Italiener mit der neuen Verordnung programmiert.

Dass Giorgia Meloni das Dekret ausgerechnet am 1. Mai, dem traditionellen Feiertag der Arbeiterinnen und Arbeiter verkündet, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Doch nicht nur des Datums willen gehen Opposition und Gewerkschaften auf die Barrikaden. Meloni hatte noch am Samstag die Spitzen der Gewerkschaften CGIL, CSIL und UIL zum Gipfel geladen und dennoch deren sämtliche Bedenken in den Wind geschlagen.

Die neue Vorsitzende der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Elly Schlein, nannte das neue Dekret schlicht eine »Provokation«. Das Gesetz »verurteilt uns zu Armut und Präkariat«, so Schlein in einer ersten Reaktion. Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern müssten für einen knappen Lohn tätig sein, könnten sich nicht einmal ein Mittag- und ein Abendessen leisten, führte die PD-Chefin aus. Die Arbeitslosenrate im Süden, schon jetzt bedenklich hoch, würde noch weiter steigen. Vor allem erhöhe die Aufweichung des Kündigungsschutzes für junge Arbeitnehmer die Gefahr erhöhter Jugendarbeitslosigkeit. Dem müsse entschieden entgegengetreten werden.

Diese Auffassung vertritt auch der Chef der 5-Sterne-Bewegung, Giuseppe Conte. Das erlassene Dekret sei keines für Arbeit, sondern gegen Arbeiterinnen und Arbeiter. Conte rief für Juni zu Protestdemonstrationen auf. Konkreter wurde der Chef der größten italienischen Gewerkschaft CGIL, Maurizio Landini. Bereits für den kommenden Samstag ruft er zur Protestdemonstration in Bologna auf. Am 13. Mai folgt dann Mailand und eine Woche später versammeln sich die Gewerkschafter in Neapel.

Es steht zu erwarten, dass die politischen Gegner der Rechtsregierung die Neuregelung nicht ohne Weiteres hinnehmen werden. Conte, Landini und Schlein haben bereits Kontakt in Sachen neues Dekret aufgenommen und wollen sich abstimmen. Der Regierung Meloni könnten heiße Wochen ins Haus stehen – denn italienische Demonstranten können nicht weniger impulsiv sein als ihre französischen Kollegen.

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