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Französisch-Polynesien: Signal für die Selbstbestimmung

Französisch-Polynesien vollzieht nach einem Jahrzehnt einen politischen Kurswechsel

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Wähler in Französisch-Polynesien haben die Befürworter der Unabhängigkeit von Frankreich belohnt: Dank 44,3 Prozent der Stimmen beim zweiten Wahldurchgang am vergangenen Sonntag stellt die Partei Tavini Huira’atira künftig 38 der 57 Abgeordneten in der Volksvertretung des französischen Überseeegebiets. Voraussichtlich Mitte Mai wird Moetai Charles Brotherson sein Amt als neuer Regierungschef antreten. Von einem wichtigen Schritt in Richtung Selbstbestimmung ist übereinstimmend nach dem Wahlausgang die Rede. Denn in der Tat steht die 1977 gegründete Tavini unter ihrem Anführer Oscar Temaru, der zwischen 2004 und 2013 schon fünf Mal Präsident des französischen Überseegebiets im Südpazifik war, für die Unabhängigkeit von Frankreich.

Bis dahin ist es zwar noch ein weiter Weg, doch zumindest einem mittelfristigen Referendum über die Zukunft rückt man nun näher. Denn der politische Druck steigt aufgrund des Wahlergebnisses. Die Regierung in Paris hat bisher jeden Vorstoß für ein Referendum blockiert. Dabei steht Französisch-Polynesien seit 2013 offiziell auf der Dekolonisierungsliste der Vereinten Nationen. Die 121 Inseln (75 davon bewohnt) mit einer Gesamtbevölkerung von rund 280 000 Menschen sind eines der letzten Überbleibsel des einst weltumspannenden französischen Kolonialreichs.

An der Regierungsspitze steht nun ein Generationswechsel an: Politikveteran Oscar Temaru (78) ist zwar weiterhin Parteichef der Tavini und war auch deren Spitzenkandidat, hatte aber schon vor der Wahl verkündet, nicht erneut das Kabinett anführen zu wollen. Deutlich abgewählt wurde mit seiner Partei auch der scheidende Präsident Edouard Fritch (71), der seit 1984 in verschiedenen hohen Ämtern aktiv war. Moetai Brotherson, von Haus aus IT-Fachmann mit Arbeitserfahrung in den USA, Japan und auch Deutschland, ist mit seinen 53 Jahren eine ganze Generation jünger.

Dialog mit Paris

Das gilt ebenso für designierte Mitglieder seines neuen Regierungsteams, in das er nach eigener Aussage deutlich mehr Frauen berufen will – gleichfalls ein Umbruchsignal. Er ist zudem Parteivize und war zuletzt Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung, wo er sich mit unbequemen Vorstößen hervortat. Voriges Jahr hatte die Tavini bereits alle drei dem autonomen Überseegebiet innerhalb der Französischen Republik zustehenden Mandate erobern können.

Fritch und der mit ihm in der zweiten Wahlrunde verbündete, ebenfalls konservativ-autonomistische Ex-Präsident Gaston Flosse, der viele Jahre Temarus wichtigster Gegenspieler war, hatte bei einem Sieg des progressiven Lagers der Unabhängigkeitsbefürworter vor Chaos gewarnt. Viele sehen in den klaren Ergebnissen aber einen grundlegenden politischen Neubeginn, untermauert auch von einer gegenüber 2018 noch einmal erhöhten Wahlbeteiligung von 69,4 Prozent. Nun bietet sich die Chance, mit Paris in einen Dialog zu treten, wie die Einwohner*innen des aus fünf Inselgruppen bestehenden Überseegebiets mit einer kombinierten Landfläche von etwas mehr als 4000 Quadratkilometern ganz demokratisch zu ihrer Meinung über die politische Zukunft Französisch-Polynesiens befragt werden könnten.

Rest eines Kolonialreichs

Seit der Zeit der großen europäischen Seefahrer und Entdecker im 15. und 16. Jahrhundert waren auch die Inselwelten des südlichen Pazifiks von den Kolonialmächten unterworfen worden. Die nationale Befreiungsbewegung setzte dort ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg ein, und viele unabhängige Ministaaten entstanden. Wenngleich mit einem höheren Maß an Autonomie ausgestattet, ist Französisch-Polynesien eines der letzten abhängigen Gebiete in der Region, durch seine Bevölkerungszahl zudem insgesamt eines der größten.

Zwar sind laut dem jüngsten Zensus aus dem Vorjahr knapp 90 Prozent der Einwohner*innen auf den Inseln geboren, doch nur rund zwei Drittel sind tatsächlich ethnische Nachfahren der polynesischen Ureinwohner. Tahitisch wird noch von etwa 20 Prozent gesprochen, hinzu kommen Sprachen von Volksgruppen der anderen Inseln. Viele Nachfahren der Franzosen, oft auch schon über Generationen im Lande, stemmen sich vehement gegen mehr als bestenfalls kleine Veränderungen am Autonomiestatus.

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