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Die Polizei und ihre Phantome

Rassismus ist fester Bestandteil der westlichen Gesellschaften – zumal vonseiten staatlicher Institutionen. Georgiana Banita untersucht das Verhältnis von Polizeigewalt und Diskriminierung in Europa und den USA

  • Nora Keller
  • Lesedauer: 6 Min.

Töten, Verletzen und Kontrollieren nicht-Weißer Menschen: all dies sind polizeiliche Strategien, die Georgiana Banita in ihrem Buch »Phantombilder. Die Polizei und der verdächtige Fremde« beschreibt. Dabei gelingt der Wissenschaftlerin, die in Bamberg lehrt, die Vermittlung einer faszinierend interdisziplinären Perspektive.

Das Buch dokumentiert eine Reihe von Geschichten: Menschen werden von der Polizei gefoltert, erschossen, bombardiert, zu Tode geprügelt und qualvoll hingerichtet oder von überlebensnotwendigen Ressourcen ferngehalten. Die Betroffenen haben in der Regel ähnliche Merkmale, entsprechen »Phantombildern«: Sie sind Schwarz, migrantisch oder werden aus anderen Gründen als »fremd« wahrgenommen. Das aufmerksame Lesen des gesamten Buches dürfte vielen schwerfallen, die beschriebene Gewalt und die Aneinanderreihung unfassbar brutaler Geschichten sind stellenweise kaum auszuhalten.

Töten ist polizeilicher Alltag

Banita legt ausführlich dar, dass polizeiliche Tötungen bestimmter Personen stattfinden, seit es die Polizei gibt und dass diese schlicht integraler Bestandteil der regulären Polizeiarbeit sind. Eingebettet in historische, mediale und kulturelle Kontexte werden die beschriebenen Taten nicht nur als Resultat eines systematischen polizeilichen Handelns begriffen, sondern als Ausdruck einer grundlegenden Funktionslogik des politischen und sozialen Lebens in Europa und den USA.

Die von »Phantombildern« geleiteten konkreten Arbeitsweisen der Polizei teilt die Autorin in drei Kategorien ein. Als Nekro-Polizei bezeichnet sie den gezielten Zugriff auf das Leben Schwarzer und weiterer als nicht-Weiß rassialisierter Menschen. Diesen Zugriff sieht sie besonders durch raumbezogene Ansätze verwirklicht, in denen die Polizei Zonen schafft, wo sichtbare Minderheiten belagert und eingeschüchtert werden. In Deutschland heißen diese Zonen »gefährliche Orte«.

Wie grundlegend etwa Rassismus für die Praxis polizeilicher Gewalt und polizeilicher Tötungen ist, stellt die Wissenschaftlerin am Begriff des Phantombildes, seiner Entwicklungsgeschichte und den aktuellen Anwendungen dar. Es handelt sich bei diesen Bildern um gezeichnete, computergenerierte oder in den Köpfen der Beamten und der Gesellschaft festgeschriebene Profile, anhand derer die Polizei operiert. Sie entstehen entlang diskriminierender Kategorien und funktionieren somit als stereotype Schuldzuschreibungen. Aufgrund von Phantombildern, so beschreibt es Banita, werden in den USA ebenso wie in Deutschland täglich Menschen rassistisch kontrolliert, als Verdächtige behandelt, verhaftet oder getötet.

Drei Formen des Polizierens

Das mächtigste Instrument der Nekro-Polizei ist laut Banita die Schusswaffe; allein in den USA erschossen Polizist*innen im Jahr 2022 1097 Personen. Die polizeiliche Schusswaffe, so zeichnet Banita nach, wurde erstmals im Jahr 1805 in New Orleans eingeführt, um die dortigen, im Kontext des Kolonialismus in Massen versklavten Schwarzen an Aufständen zu hindern. Als sich die städtische Demografie änderte, Weiße Menschen die Bevölkerungsmehrheit in New Orleans bildeten und erkannt wurde, dass jede Verhaftung durch Polizei mit Waffenbesitz – auch die einer Weißen Person – tödlich enden konnte, wurde die Schusswaffe wieder aus der klassischen Ausrüstung der Polizei entfernt. In diesem Kontext zitiert Banita die Schwarze Schriftstellerin und Aktivistin Toni Morrison: »Vielleicht kann eine mehrheitlich Weiße Gesellschaft gar nicht anders, als die Gefahr polizeilicher Übermacht erst dann zu erkennen, wenn ihre eigenen Mitglieder betroffen sind, also diejenigen, die als schützenswert gelten.«

Nachdem im Jahr 1865 die Leibeigenschaft der Sklaverei, also das Recht von Weißen, über Schwarze versklavte Leben und Körper zu verfügen, offiziell abgeschafft war, wurden Schusswaffen wieder in die Grundausrüstung der Polizei integriert. Dies diente dazu, so beschreibt es Banita, einer möglichen Rache für die erlebten Leiden oder dem Aufbegehren für Gleichberechtigung und der zu erwartenden Armutskriminalität der fortan mobilen Schwarzen Unterschicht zu begegnen. Bis heute gab es kein Jahr, in dem in den USA oder in Europa nicht überdurchschnittlich viele nicht-Weiße Menschen von der Polizei erschossen oder zu Tode getasert wurden.

Mit dem Begriff der Krypto-Polizei beschreibt Banita anschließend die zunehmend präventive Ausrichtung der Polizeiarbeit, die mit Statistiken und Berechnungen zukünftige Verbrechen verhindern soll. Diese Berechnungen enttarnt sie als »psychosoziale Profilberechnung sozialer Benachteiligung« und deckt den Zynismus auf, der darin liegt, dass diese Profilberechnung kriminalistisch instrumentalisiert wird. Präventiv beobachtet und kontrolliert würden von der Krypto-Polizei nämlich unter anderem diejenigen, die von Rassismus, Armut oder psychischen Krankheiten betroffen sind. Die daraus folgenden Formen von sozialem Ausschluss, Nöten und Stress führten häufig zu Delinquenz. Anstatt hier sozial- und bildungspolitisch anzusetzen oder die sozialen Ausgrenzungen und Stressfaktoren zu reduzieren, vertiefe die Krypto-Polizei die gesellschaftlichen Gräben durch präventive Repression.

Der letzte von Banita eingeführte Begriff der Xeno-Polizei beschäftigt sich mit dem Konzept des »Fremden«, das sich im polizeilichen Phantombild konkretisiert. Die Autorin legt dar, wie dieses Konstrukt medial, gesellschaftlich und in der Polizeiarbeit als handlungsleitend gilt, um Menschen als abstoßend, störend und gefährlich zu stilisieren und zu bestrafen. Die Xeno-Polizei töte zunehmend durch Abschottung, zum Beispiel durch die Verteidigung von Grenzmauern, die sich in den letzten Jahren mehr als verfünffacht haben. Eine der Konsequenzen dieser Mauern ist, dass jährlich schätzungsweise bis zu fünftausend Menschen auf dem Fluchtweg übers Mittelmeer ertrinken. Die Wirkweisen der Xeno-Polizei beschreibt Banita als Resultat grundlegender gesellschaftlicher Mechanismen, nämlich Abschottung und Strafe gegenüber den »Fremden«, die ein Stück vom europäischen oder US-amerikanischen Reichtum abhaben wollen könnten. Wie umfassend sich rassistische Grenzziehungen mitten durch die Gesellschaft ziehen, legt Banita an dem »pandemischen Rassismus« der Covid-19-Pandemie dar, in der in erster Linie diejenigen krank wurden und gestorben sind, die beengt und prekär wohnen, wie etwa Geflüchtete in Unterkünften oder Marginalisierte in Wohnblocks.

Rassismus ist allgegenwärtig

Diese drei Formen des Polizierens legt Georgiana Banita anhand von wahren Biografien, Filmen und Musik, in denen diese Themen bearbeitet werden, sowie in historischen Kontextanalysen dar. Während eine solche interdisziplinäre Auseinandersetzung in vielen Themenbereichen völlig normal ist, ruft sie beim höchst umstrittenen Thema Polizei Widerstände hervor. In einer Rezension der FAZ wird Banitas Buch beispielsweise als »abwegige Verallgemeinerung« beschrieben, die an »verschwörungstheoretisches Geraune« erinnere. Tatsächlich mag die Durchmischung der unterschiedlichen Disziplinen beim Lesen zunächst irritieren; die Vermengung von wahren Geschichten und fiktiven Filmen oder Büchern erscheint auf den ersten Blick unwissenschaftlich. Aber beim tieferen Einstieg in das Buch wird deutlich, dass Banita weder verallgemeinernd noch verschwörungstheoretisch vorgeht. Vielmehr beweist die Autorin in ihrem Buch, dass rassistische und diskriminierende Gewalt nicht nur ein Problem der Polizei ist, sondern ein allgegenwärtiges Problem der gesamten bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Es artikuliert sich in der Kunst und der Sprache genauso wie auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, bei militärischen Interventionen und in der Einwanderungspolitik.

Mit dieser Perspektive leistet Banita einen in dieser Form in der deutschen Debatte zu wenig beachteten und wichtigen Beitrag zum Verständnis von Polizeigewalt. Lediglich die Rolle von Armut, psychischer Gesundheit und weiteren intersektionalen Kontextfaktoren wird im Buch relativ wenig herausgearbeitet. Das Lesen lohnt sich in jedem Fall – nicht zuletzt, weil es überzeugende Argumente liefert, warum nicht nur die Polizei abgeschafft gehört, sondern die gesamte kapitalistische, rassistische und diskriminierende Gesellschaftsordnung, die sie durchsetzt.

Georgiana Banita: Phantombilder. Die Polizei und der verdächtige Fremde. Edition Nautilus, br., 480 S., 24 €.

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