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Spitzenduo Berliner Linke: »Stehen für rebellisches Regieren«

Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer im nd-Interview über die Neuaufstellung des Berliner Linke-Landesverbandes

  • Interview: Rainer Rutz
  • Lesedauer: 9 Min.
»Das schafft sich besser zu zweit«: Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer
»Das schafft sich besser zu zweit«: Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer

Frau Brychcy, Herr Schirmer, nicht wenige in Ihrer Partei sind der Ansicht, dass der Berliner Linken während der Regierungszeit das Kämpferische verloren gegangen ist. Im Gegensatz zur bewegungsnahen Oppositionslinken hatten andere stets für eine Fortführung von Rot-Grün-Rot plädiert, auch mit Franziska Giffey als Senatschefin. Wo verorten Sie sich?

Interview

Franziska Brychcy, 1984 in Meißen geboren, aufgewachsen in Thüringen, ist seit 2016 Mitglied der Linksfraktion im Abgeordneten­haus und hier bildungspolitische Fraktions­sprecherin. Die Politikwissen­schaftlerin trat 2011 in Die Linke ein und führte von 2013 bis 2022 den Bezirksverband Steglitz-Zehlendorf. Von 2014 bis 2018 war sie zudem stellvertretende Landesvorsitzende.

Maximilian Schirmer, 1990 in Berlin geboren, aufgewachsen in Weißen­see, sitzt seit 2016 für Die Linke in der Bezirksverordneten­versammlung Pankow, seit 2022 als einer von zwei Fraktions­vorsit­zenden. Der Politikwissenschaftler ist seit 2013 Mitglied der Linken und engagiert sich hier unter anderem in der Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus.

Auf dem Parteitag der Berliner Linken an diesem Wochenende kandi­dieren Brychcy und Schirmer, um als Doppelspitze die Nachfolge von Katina Schubert anzutreten, die den Landesverband seit 2016 als Vorsitzende führt. Schubert hatte vor gut zwei Wochen angekündigt, sich vom Landesvorsitz zurückziehen zu wollen.

Brychcy: Für uns ist völlig klar, dass wir als Doppelspitze genau diese Verbindung produktiv machen wollen. Wir stehen für das Konzept des rebellischen Regierens. Ob Die Linke in der Opposition ist oder in der Regierung: Eine rebellische Politik ist unsere DNA. Und wir werden, egal in welcher Rolle, gemeinsam mit den Menschen in der Stadt für eine lebenswerte Stadt für alle kämpfen. Das heißt: gegen Ausbeutung, gegen die Verwertung der Stadt, gegen die investorengetriebene Stadt.

Rebellisches Regieren heißt trotzdem, lieber im Senat als auf der Oppositionsbank?

Brychcy: Jetzt sind wir in der Opposition, diese Rolle nehmen wir an. Und wir werden eine kämpferische Opposition sein. Wir stehen aber natürlich auch als Regierungspartner wieder bereit, sobald es progressive Mehrheiten gibt. Freiräume werden in unterschiedlichen Rollen erkämpft, und man braucht hierfür linke Mehrheiten: in der Stadt, im Parlament, aber eben auch in der Regierung.

Schirmer: Regierung oder Opposition – wir können mit beiden Rollen sehr gut. Entscheidend für die Berlinerinnen und Berliner wird jetzt sein, welches inhaltliche Angebot für die gesamte Stadt wir machen können. Wir haben nun dreieinhalb Jahre Zeit; wir wollen für diese Stadt wieder Verantwortung übernehmen, wir wollen diese Stadt mitgestalten. Dafür müssen wir uns jetzt neu aufstellen.

Jenseits der neuen Doppelspitze: Was heißt das konkret für Sie, den Landesverband neu aufzustellen?

Schirmer: So wir gewählt werden, stehen wir vor vielen Aufgaben gleichzeitig. Worauf wir uns konzentrieren werden, ist die inhaltliche Arbeit. Auf der einen Seite gibt es selbstverständlich den Schwerpunkt Mietenpolitik; es gibt aber, wenn man mehr in die Fläche geht, auch noch ganz andere Interessenlagen. Wir haben am Stadtrand Ärztemangel, einen schlecht ausgebauten ÖPNV. Dann haben wir die Krankenhäuser, die marode sind, die Schulen, die kaputt sind. Das Thema der öffentlichen Daseinsvorsorge werden wir weiter stark machen und unser Profil schärfen. Auch deshalb die Doppelspitze.

In Ihren einstigen Hochburgen im Osten Berlins wenden sich die Menschen von der Politik ab oder wählen die CDU, die bisweilen als »Kümmerer« vor Ort die Nachfolge der Linken angetreten hat. Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie hier neu ansetzen?

Brychcy: Auch in meinem Bezirk Steglitz-Zehlendorf wohnen Menschen, die sich abwenden, die gar nicht mehr zur Wahl gehen. Aber wir sehen es eben auch als unsere Aufgabe, dass wir unsere ehemaligen Hochburgen in den Ostbezirken wieder verstärkt in den Blick nehmen. Auch dort wollen wir wieder zulegen. Gleichzeitig wollen wir aber auch den Menschen im Westteil der Stadt ein Angebot machen, dass klar wird: Die Linke setzt sich vor Ort ein – für gute Schulen, für gute Gesundheitsvorsorge, für bezahlbares Wohnen. Wir wollen Vertrauen aufbauen und stärken, und zwar stadtweit, innerhalb und außerhalb des S-Bahn-Rings. Das ist ein verbindendes Konzept.

Schirmer: Das steht auch überhaupt nicht im Widerspruch. Wir wollen alle Lebensrealitäten abbilden. Es braucht eine gemeinsame Erzählung dafür, was wir als Linke in der Stadt konkret zum Besseren verändern wollen. Dazu gehört auch, dass wir weiter bei Mieterinitiativen und bei Projekten mitmachen werden, die sich gegen das Zubetonieren von Lebensqualität in Berlin stellen. Den Druck und Rückhalt, den wir auch in den Mieterinitiativen verspürt haben, den werden wir mitnehmen, um genau das auch umzusetzen.

Aber wenn man ehrlich ist, hatte man spätestens seit der Wahl 2021 eher den Eindruck einer Entfremdung zwischen Teilen der Parteispitze und Bewegungen der Stadtgesellschaft, hier vor allem Deutsche Wohnen & Co enteignen. Wieder näher an den Initiativen: Ist das Ihr Plan?

Brychcy: Wir als Linke haben immer eng mit den Initiativen zusammengearbeitet, auch in der Regierungszeit. Mit Deutsche Wohnen & Co enteignen genauso wie mit vielen anderen. Aber es ist so, dass wir als Linke auch in einem Senat nicht alles zu 100 Prozent durchsetzen können. Umso mehr braucht es dieses kritisch-solidarische Verhältnis, diesen produktiven Druck. Ich sehe das nicht als Problem, dass man anspricht, was noch nicht erreicht ist, wo wir noch weitergehen müssen. Wir erwarten, dass Kritik an uns geübt wird.

Schirmer: Ich finde es völlig logisch und nachvollziehbar, dass Vereine, Initiativen, Kampagnen uns kritisch begleiten. Sie setzen ja Hoffnungen in unsere Arbeit. Sie erwarten und wollen von uns, dass wir Ideen und Vorhaben in die Parlamente tragen, das haben wir auch in den vergangenen anderthalb Jahren gemacht.

Brychcy: Noch mal: Wir sind die Partner der Mieter*inneninitiativen, der stadtpolitischen Initiativen, der Gewerkschaften. Dieser Austausch ist auch wichtig für den programmatischen Prozess, der jetzt beginnen wird. Klar ist, wir können Stadtpolitik, wir können mit den Initiativen und Gewerkschaften. Und ob Gute Arbeit, Mobilität, Bildungspolitik, Gesundheit oder Soziales: In all diesen Bereichen wollen wir uns neu aufstellen, sodass wir 2026 wieder angreifen können. Und da sind die Initiativen Partner und Treiber.

Bis 2026 dürften Ihre Möglichkeiten schwer begrenzt sein.

Schirmer: Das stimmt. Als Opposition haben wir weniger Möglichkeiten, Dinge praktisch umzusetzen. Die Diskrepanz zwischen Regierungsbeteiligung und der Arbeit in der Opposition, die gibt es immer. Man muss aber auch sehen: Wir saßen in der Vergangenheit mit genau dieser SPD, die jetzt mit der CDU von Kai Wegner in eine Koalition gegangen ist, in einer Regierung. Auch das hat Schwierigkeiten mit sich gebracht. Denken Sie an die Abwehrhaltung der SPD bei der Umsetzung des Volksentscheids »Deutsche Wohnen & Co enteignen«.

Brychcy: Wir als Linke hatten beispielsweise ein kommunales Wohnungsbauprogramm vorgestellt und deutlich gemacht, was man alles erreichen könnte, wenn vorrangig die Landeseigenen bezahlbaren Wohnraum bauen würden. Da hätten wir uns natürlich gewünscht, das auch umsetzen zu können. Stattdessen haben wir nun Schwarz-Rot, wo wir wissen: Dieser Senat wird die Stadt den Investoren zum Fraß vorwerfen.

Schirmer: Ich mache mir deshalb auch keine Sorgen darum, dass wir mit der Oppositionsrolle hadern, sondern mehr darum, was auf Berlin jetzt zukommt: beim Thema Mietenpolitik, in der Innenpolitik, bei der bereits angekündigten Sparpolitik. Das wird uns vor große Probleme in den Kiezen stellen. Und das sind Dinge, die wir ganz klar von links kritisieren werden und denen wir uns entgegenstellen werden.

Apropos Probleme: Auf den ersten Blick wirkt die Berliner Linke auch über die konsequente Haltung der bisherigen Landeschefin Katina Schubert wie ein Bollwerk gegen den Wagenknecht-Flügel. Tatsächlich hat Wagenknecht aber auch hier an der Basis nicht wenige Anhänger. Wie wollen Sie damit umgehen?

Brychcy: Also das erst mal generell: Katina hat ein großes Verdienst oder eigentlich mehrere große Verdienste, aber unter anderem auch, dass sie diese Partei geeint hat. Wir haben dabei an verschiedenen Stellen gesehen, dass sie den Bezirksverbänden auf Augenhöhe begegnet ist. Ich habe das immer als Wertschätzung empfunden, selbst wenn wir inhaltlich nicht immer einer Auffassung waren.

Gut, aber die Frage war, wie Sie in der Flügelfrage agieren wollen, auch und vor allem mit Blick auf die grundverschiedenen Ansichten zum Krieg in der Ukraine.

Brychcy: Ich finde, dass unsere Pluralität eine Stärke ist. Ich werde auf jeden Fall dafür werben, dass wir zusammenhalten in dieser schwierigen Situation. Deshalb wünsche ich mir, dass wir das Verbindende stark machen und das Trennende solidarisch aushalten. Wir können es uns nicht leisten, dass Mitglieder austreten. Egal, aus welchen Gründen.

Schirmer: Die Berliner Linke hat sich immer als Friedenspartei begriffen und stand immer solidarisch an der Seite der Ukraine.

Das heißt: Deckel drauf auf die Flügelfrage?

Schirmer: Nein, das genaue Gegenteil wollen wir. In all den Runden, in denen ich zum Beispiel sitze, wird die Frage ausgiebig und differenziert diskutiert. Wir haben nur den Punkt, dass wir uns in verschiedenen Milieus innerhalb der Partei befinden. Zum Beispiel diskutieren oft ältere Genossen und jüngere Genossen das untereinander und kommen dabei teilweise zu verschiedenen Einschätzungen. Was wir unbedingt tun müssen, ist, auch generationsübergreifend aufeinander zuzugehen und auszuhalten, dass man vielleicht zu anderen Bewertungen kommt. Dass man sagt: Okay, ich akzeptiere die andere Meinung und gehe einen Schritt darauf zu, höre erst mal zu. Ich glaube, das können wir.

Als Doppelspitze wohlgemerkt. Eigentlich verrückt, dass die linkeste Partei als letzte im Berliner Mitte-links-Lager so lange für das Modell Doppelspitze gebraucht hat, oder?

Brychcy: Wir haben auf dem letzten Parteitag die Satzungsänderung beschlossen, wonach die Berliner Linke nach Möglichkeit eine Doppelspitze haben soll. Jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir uns breiter aufstellen und daher auch die Arbeit besser verteilen wollen. Das hat auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun. Ich zum Beispiel habe fünf Kinder. Als Doppelspitze können wir das gut hinbekommen und beispielsweise Termine aufteilen. Katina hat das alles allein gemacht, sie war überall präsent, überall aktiv, hat alles als Einzel-Vorsitzende gewuppt.

Die Linke entdeckt die Work-Life-Balance?

Brychcy: Ich glaube tatsächlich, dass wir in dieser Konstellation auch noch mal mehr leisten können, als es sonst möglich wäre, und trotzdem die Work-Life-Balance ein bisschen halten. Sodass ich auch ab und zu mit meinen Kindern am Wochenende ins Schwimmbad gehen kann. Sodass man Zeit hat für die Familie und für Freund*innen.

Die Doppelspitze kommt trotzdem recht spät.

Schirmer: Sie kommt zu dem Zeitpunkt, wo sie notwendig wurde. Katina hat den Landesverband jahrelang sehr erfolgreich als Einzel-Vorsitzende geführt und dabei wahnsinnig viel Arbeit weggetragen. Zum jetzigen Zeitpunkt kommen viele, auch neue Aufgaben und Herausforderungen auf uns zu. Innerhalb der Linken, aber auch mit Blick darauf, dass wir uns in der Oppositionsrolle neu finden und die inhaltlichen Angebote nach vorn stellen. Wir wollen dafür sorgen, dass die Berlinerinnen und Berliner wissen, wen sie 2026 unterstützen können, wenn sie eine soziale und gerechte Politik haben wollen. Das alles müssen wir gleichzeitig schaffen. Da haben wir uns viel vorgenommen. Das schafft sich besser zu zweit.

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