9. Mai in Berlin: Polizei beschlagnahmt Sowjetsymbole

Berliner Polizei beschlagnahmt am Tag des Sieges Flaggen, erwischt aber nicht alle

Am 9. Mai, dem Tag des Sieges, ist am Morgen Russisch die vorherrschende Sprache am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park. Es versammeln sich Menschen, die aus Russland stammen, aber auch aus Aserbaidschan, Armenien, Tadschikistan oder Usbekistan.

Maksat Gosin lebt in Dresden, ist aber in Kasachstan geboren und trägt eine sowjetische Uniform mit Orden, die er einer Fernsehkamera des russischen Senders Erster Kanal präsentiert. Für Fotos salutiert er. An der Uniform sind Hammer und Sichel zu sehen. Damit versehene Fahnen und Abzeichen sind hier eigentlich nicht erlaubt, aber Gosin verbarg sie am Einlass unter einem langen Mantel; direkt vor dem Ehrenmal greifen die deutlich abseits stehenden Polizisten nicht mehr ein. Es sind dort nun etliche sowjetische Fahnen zu sehen und sogar russische, etwa an der Lederjacke eines Motorradfahrers.

Auch Familie Bekr entfaltet eine sowjetische Flagge. Frau Bekrs Großmutter war Ukrainerin und hat ihr von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs erzählt. »Wir sind für den Frieden«, versichert Frau Bekr.

Im Laufe des 8. Mai bestätigte das Oberverwaltungsgericht größtenteils die Auflagen der Polizei zum Verbot bestimmter Fahnen und Symbole. Georgsbänder sind demnach ebenfalls untersagt und sogar bestimmte Lieder aus den Jahren des Krieges gegen den Hitlerfaschismus; ukrainische Fahnen dagegen nicht. Es sei unmoralisch und unvertretbar, »russische Flaggen zu verbieten und Symbole zu untersagen, die mit dem Tag des Sieges und der Befreiung Deutschlands und Europas vom Nazismus unzertrennlich verbunden sind«, beschwerte sich Botschafter Sergej Netschajew vergeblich. Russische Soldaten stehen dennoch in ihren Uniformen vor den aufgereihten Kränzen stramm, russische Diplomaten tragen offen das Georgsband. Sie genießen Immunität und dürfen das.

Reichsbürger Rüdiger Hoffmann von der rechten Plattform »staatenlos.info«, der sich am Aufgang zum Ehrenmal postiert hat, dürfte das nicht und müsste die Georgsbänder auf seinen Transparenten abkleben. Er versichert, dies gleich noch zu tun. Erst einmal jedoch verteilt Hoffmann Flugblätter: »Die BRD ist nicht Deutschland! Der Zweite Weltkrieg ist nicht beendet!«

Eine DDR-Fahne des Traditionsverbandes der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen darf ungehindert passieren und auch ein T-Shirt »FCK USA« (Fick die USA). Aber ein Mann muss sein in den russischen Farben Weiß, Blau und Rot gehaltenes T-Shirt mit dem russischen Bären abgeben. Es nur auf links zu drehen, genügt den Polizisten nicht. DKP-Landeschef Stefan Natke wird gezwungen, ein sowjetisches Abzeichen abzulegen. Sonst wäre es beschlagnahmt worden, erzählt er. In der Ukraine könne man heute beobachten, was für eine Tragödie die Auflösung der Sowjetunion gewesen sei, sagt Natke. »Der Kapitalismus birgt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen.«

Ex-SED-Generalsekretär Egon Krenz berichtet, er sei fast jedes Jahr hier gewesen, seit er 14 Jahre alt ist, 1967 sogar mit dem sowjetischen Soldaten, der für das Ehrenmal Modell stand. »Ich bin hier, um alle zu ehren, die Deutschland vom Faschismus befreit haben«, sagt Krenz.

Markus Tervooren, Geschäftsführer der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, spricht die Sprachen nicht, ist sich aber sicher, dass die Losung »Solidarität statt Nationalismus« auf seinem Transparent richtig ins Russische und Ukrainische übersetzt ist. Das ist tatsächlich so. »Wir sitzen hier zwischen den Stühlen«, erklärt Tervooren. »Einige Linke werfen uns vor, dass wir Waffenlieferungen ablehnen, andere übernehmen das russische Narrativ vom Verteidigungskrieg.«

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