Oranienburg: Gewerbegebiet mit Vorgeschichte

Stadt Oranienburg erschließt den Alten Flugplatz der Heinkel-Werke, die KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen ausbeuteten

Alte Einfliegerhalle auf dem Flugplatzgelände
Alte Einfliegerhalle auf dem Flugplatzgelände

Kein anderer privater Betrieb war in der Nazizeit so früh und so massiv in die rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskraft von KZ-Häftlingen involviert wie das Flugzeugwerk des Industriellen Ernst Heinkel in Oranienburg (HWO). Es setzte die Häftlinge zunächst in Baukommandos für die Reparatur von Werkstraßen und die Errichtung von Rollfeldern ein und schließlich auch in der Serienfertigung des Bombers He-177 sowie später der Jagdflugzeuge Fw-190 und Do-335. Im aktuellen Bebauungsverfahren des Flugplatzes, der zu einem Gewerbehof werden soll, ist von diesem Erbe allerdings keine Rede.

Muster für KZ-Betriebe

Auf dem Betriebsgelände entstand extra ein Außenlager des KZ Sachsenhausen, in das bis zu 9000 Menschen gepfercht wurden. Das HWO entwickelte sich schnell zu einem Musterbetrieb, in dem interessierten Besuchern aus der Wirtschaft die Einrichtung eines KZ-Werkes vorgeführt werden konnte.

Im unvollständigen Totenbuch von Sachsenhausen ist bei 315 Namen als Ort des Todes das Außenlager Heinkel verzeichnet. Wie viele jedoch geschwächt, krank oder wegen Widerstands abtransportiert und anderswo ermordet wurden, ist nicht klar. Fest steht, dass viel mehr als 315 Todesopfer auf das Konto dieses Lagers gehen. Allein 205 Häftlinge starben bei einem Bombenangriff auf den Rüstungsbetrieb im April 1944.

Solange es ging, hielt das HWO die Rüstungsproduktion aufrecht. Dann überließ der Konzern das Werksgelände der SS, die in Halle 8 Transporte aus den Vernichtungslagern einpferchte, Menschen also, deren Ermordung im Osten nicht mehr gelungen war, weil die sowjetischen Truppen nahten. Bevor auch Oranienburg befreit wurde, gab es noch Erschießungen in der alten Spritzkabine des Werkes. Außerdem töteten SS-Ärzte mit Giftinjektionen.

Das alles und noch viel mehr schilderte der Historiker Roman Fröhlich in seinem 2018 erschienenen Buch »Der Häftlingseinsatz wurde befohlen«. Doch kein Wort davon in einer Pressemitteilung der Stadt Oranienburg vom Mittwoch. Unter der Überschrift »Schritt für Schritt zu einer neuen Nutzung – Bebauungsplan für den Alten Flugplatz auf der Zielgeraden« findet sich zur Vorgeschichte nur ein einziger Satz: »Einst wurden hier in den Heinkel-Werken Kampfflugzeuge für die Luftwaffe der Nationalsozialisten gefertigt, später wurde die Fläche von sowjetischen Luftstreitkräften als Militärflughafen genutzt.«

Das KZ-Außenlager habe sich nicht am 1936 bis 1939 gebauten Flugplatz der Heinkel-Flugzeugwerke befunden, sondern etliche Kilometer entfernt im Ortsteil Germendorf. Dort gibt es auch einen Gedenkort. Das stellt die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten auf Nachfrage klar. Es wurde und wird also für den Gewerbepark kein historisch problematisches Gelände bebaut. Doch selbst wenn es so wäre, sei dies kein unüberwindbares Hindernis. »Es ist nicht so, dass wir als Stiftung sagen: Wo ein KZ-Außenlager gewesen ist, darf kein Stein bewegt werden. Es soll nur sensibel mit der Geschichte umgegangen und angemessen darauf hingewiesen werden«, erläutert Sprecher Horst Seferens.

Inzwischen haben sich am Alten Flugplatz Firmen angesiedelt. Es gibt dort zum Beispiel seit 2011 ein Logistikzentrum der Lebensmittelkette Rewe, weiterhin ein Verteilzentrum des Hermes-Versands und einen Solarpark. Auch auf dem nördlichen Teil des alten Flugplatzes solle sich künftig Gewerbe ansiedeln können, heißt es nun. Im Juni stehe die Verlängerung der Flugpionierstraße auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung. Sie sei wichtig für die Erreichbarkeit. Noch dieses Jahr solle der Bau beginnen.

Ein Problem mit Blindschleichen

Für einen rechtskräftigen Bebauungsplan sei aber eine nochmalige öffentliche Beteiligung erforderlich. »Damit starten wir im Juli«, informiert Bauleitplanerin Anna Florl. Bereits 2014 hatten die Stadtverordneten das Bebauungsplanverfahren auf den Weg gebracht. Doch mögliche Auswirkungen auf die Umwelt erwiesen sich als knifflige Angelegenheit – oder wie die Stadt sagt, als »in seinem Ausmaß unerwarteter Knackpunkt«. Zum Naturschutz habe es Nachfragen gegeben. Es seien Ergänzungen und nochmalige Prüfungen gefordert worden. Denn Blindschleichen, Schling- und Ringelnattern, Fledermäuse, Zauneidechsen und Knoblauchkröten könnten die Fläche als Lebensraum beanspruchen. »Um Natur und Umwelt zu schützen, ist das richtig und wichtig, aber das hat den ganzen Prozess natürlich in die Länge gezogen«, sagt Christian Kielcynski, der das Stadtplanungsamt leitet. »Dass Bebauungsplanverfahren mehrere Jahre dauern, ist normal. Aber dieses hier hat es wirklich in sich.«

Fast zehn dicke Aktenordner sind inzwischen mit den Dokumenten dazu gefüllt. Die Nacharbeiten dauerten ihre Zeit. Dazu gehörte nach Angaben von Bauleitplanerin Anna Florl ein »teilweise ziemlich kompliziertes Rechenwerk, in welchem Verhältnis wo, wie und was zum Ausgleich gepflanzt und aufgeforstet werden muss, wenn hier eines Tages Gewerbehallen errichtet werden«.

»Aber wir sind zuversichtlich, dass jetzt alles reibungslos vonstattengeht«, erklärt Bürgermeister Alexander Laesicke (parteilos). »Damit kann endlich ein für Oranienburg sehr spannender Bereich entwickelt werden.« Man erschließe so dringend nachgefragte Gewerbeflächen, und andererseits sei die Flugpionierstraße auch Voraussetzung für eine geplante Stadtbuslinie.

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