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Verkehrswende auf dem Prüfstand

Berlins neue Verkehrssenatorin zieht die Notbremse bei rot-grün-rotem Gesetzentwurf

In letzter Sekunde hat die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) eines der größten Projekte des rot-grün-roten Vorgänger-Senats wieder vom Tisch gezogen. Das letzte Kapitel des Berliner Mobilitätsgesetzes zu den Themen Wirtschaftsverkehr und der sogenannten Neuen Mobilität sollte eigentlich am Donnerstag im Abgeordnetenhaus abschließend behandelt werden. Doch am Dienstag erteilt die Senatsverkehrsverwaltung via Pressemitteilung eine Absage: »Nach Vortrag« Schreiners habe man beschlossen, den Entwurf »einer Revision im Hinblick auf die kommenden Richtlinien der Regierungspolitik zu unterziehen«.

In einer beigefügten Erklärung lässt Schreiner durchblicken, dass gerade der Wirtschaftsverkehr noch einmal unter die Lupe genommen werden soll. Betreffen könnte das etwa die Bestimmungen für betriebliche Ladezonen. Die Senatorin aber hält sich im Vagen, spricht von einem »gut aufeinander abgestimmten Verkehrsmix« und einer Raumaufteilung, die Versorgung und Mobilität zusammen denke. »Regelungen im Gesetzentwurf, die diese Ziele befördern, werden schnellstmöglich wieder ins Abgeordnetenhaus eingebracht«, verspricht die Mobilitätssenatorin.

Revision ist »kontraproduktiv«

Genau das, eine schnelle Umsetzung des Mobilitätsgesetzes, fordert der Verkehrswende-Verein Changing Cities. »Es ist ein Stück weit verständlich, dass die neue Senatorin nicht einfach das umsetzen will, was Rot-Grün-Rot beschlossen hat«, sagt Sprecherin Ragnhild Sørensen zu »nd«. Dennoch irritiere der Schritt, auch weil mit der SPD immerhin der Koalitionspartner an dem Entwurf mitgewirkt habe. Darüber, was Schreiner jetzt vorhaben könnte, ist sich Sørensen nicht sicher. »Die Senatorin ist schwer einzuschätzen«, sagt sie. Im Wahlkampf habe sich die CDU-Politikerin erst für den Autoverkehr starkgemacht, sich zuletzt aber wieder dagegen positioniert. »Wer weiß, vielleicht will sie tatsächlich eine autofreie Stadt.« Changing Cities zumindest, so Sørensen, würde es freuen.

Nur bedingt zuversichtlich zeigt sich die Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK). »Das Bessere ist der Feind des Guten, das gilt auch für Gesetzesentwürfe«, lässt Robert Rückel, Vizepräsident der IHK, in einer Stellungnahme wissen. Der Verband wolle dem Senat »mit Rat und Tat zur Verfügung« stehen. »Die Wirtschaft wartet allerdings schon lange auf die Verabschiedung des Wirtschaftskapitels im Mobilitätsgesetz, deshalb setzen wir darauf, dass die angekündigte Revision zügig vonstattengeht.«

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Keine Geduld mehr will hingegen der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club Berlin (ADFC) aufbringen. »Es ist kontraproduktiv, die Diskussion jetzt noch einmal aufzumachen«, kritisiert ADFC-Sprecher Karl Grünberg. Das Zusammenspiel von temporären Beladungszonen und geschützten Radwegen wie am Tempelhofer Damm zeige, dass eine sichere Fahrradstruktur und der Wirtschaftsverkehr zusammen funktionieren. »Die Kapitel Wirtschaftsverkehr und Neue Mobilität müssen nun endlich zusammen verabschiedet werden. Sie dürfen nicht getrennt, nicht verwässert und nicht aufgehalten werden«, fordert Grünberg.

SPD will beruhigen

Ganz ähnlich sieht das die Opposition, in der die Sorge umgeht, dass gerade der zweite Teil des Entwurfs verloren gehen könnte. »Wir waren als rot-grün-rote Koalition auf gutem Weg, das Mobilitätsgesetz nun endlich zu vervollständigen«, kommentiert Kristian Ronneburg (Linke) gegenüber »nd«. Nun befürchtet der mobilitätspolitische Sprecher seiner Fraktion, dass die Neue Mobilität hinten herunterfallen könne. Betroffen seien Regelungen für Innovationen, Digitalisierung und die Flächenverteilung im öffentlichen Raum. »Die Koalition wird sich irgendwann im Wirtschaftsverkehrsteil des Entwurfs einig werden und diesen dann als isolierten Teil in den Prozess geben«, vermutet der Linke-Abgeordnete.

»Ich kann verstehen, dass die Kollegen aus der Opposition den Verdacht hegen«, entgegnet Tino Schopf, Mobilitätsexperte der SPD. »Aber wir haben uns im Koalitionsvertrag dazu bekannt, den Entwurf so schnell wie möglich einzubringen.« Das betreffe sowohl den Wirtschaftsverkehr als auch die Neue Mobilität. Von der CDU hintergangen fühlt sich Schopf nicht, wie er »nd« wissen lässt. Dass der Koaltitionspartner die Vorlage noch einmal durchgehen wolle, sei kein ungewöhnlicher Vorgang. Alle betroffenen Senatsverwaltungen würden in den Prozess einbezogen. »Ich kann damit gut leben.«

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