Feministin Lola Aronovich über die Maskulinisten Brasiliens

Die Feministin Lola Aronovich über Maskulinisten in Brasilien und darüber hinaus

  • Interview: Niklas Franzen
  • Lesedauer: 5 Min.

In den vergangenen Monaten gab es in Brasilien mehrere Amokläufe an Schulen, viele Täter waren in antifeministischen Hassgruppen im Internet aktiv. Gibt es hier eine Verbindung zu jenen, die Sie als Maskulinisten bezeichnen?

Auf jeden Fall. Von diesen Gruppen geht eine große Gefahr aus, nicht nur in Brasilien. Der Hass auf Frauen ist im Internet eine Art Einstiegsdroge. Und die Misogynie schweißt Männer in virtuellen Gemeinschaften zusammen.

Interview

Lola Aronovich ist Literatur-Professorin an der Bundesuniversität von Ceará, Bloggerin und feministische Aktivistin. Sie beobachtet antifeministische Gruppen im Netz und wird deswegen bedroht. Ein Gesetz gegen Hass im Netz (Lei Lola) trägt ihren Namen. Mit ihr sprach Niklas Franzen.

Wer steckt dahinter?

Oft sind es regelrechte Rekrutierer. Ihre Taktik: Den Jugendlichen erst zuhören, vorspielen, sie zu verstehen und Stück für Stück ihre Radikalisierung testen. Irgendwann fangen sie an, »Schlampen« statt »Frauen« zu sagen und beobachten die Reaktion der Jugendlichen. Wenn diese sich beweisen und mitspielen, werden sie in exklusivere Gruppen aufgenommen. Es ist nicht so, dass ein junger Mann aufwacht und sich spontan entschließt, Menschen zu ermorden. Im Netz bekommen junge Männer, die sich mit Suizidgedanken tragen, zu hören: Wenn du dich umbringen willst, nimm noch ein paar Mitschüler mit, so wirst du zum Held.

Bei etlichen Amokläufen starben mehr Frauen als Männer. Ist das ein Zufall?

Das glaube ich nicht. Beim Amoklauf am 3. Mai in Belgrad, wo neun Menschen an einer Schule erschossen wurden, waren die Opfer vor allem Mädchen. Das war auch in anderen Ländern so.

Woher kommt dieser Hass?

Misogynie ist weit verbreitet, nicht nur bei radikalen Maskulinisten. Diese sind aber gut organisiert, oft von frustrierten Männern, die im Leben nicht vorankommen. Finanzieller Erfolg ist extrem wichtig für sie, dies sei angeblich ein Zeichen von Männlichkeit. Weil sie männlich, weiß und hetero sind, also bereits von Geburt an privilegiert, glauben sie, dass die Gesellschaft ihnen etwas schuldet: eine Freundin, einen Platz an der Universität oder einen guten Job. Wenn das nicht so einfach klappt, werden sie extrem wütend. Sie sehen sich dann als Opfer des Feminismus.

Der Attentäter von Belgrad war 13 Jahre alt. Auch in Brasilien lief ein 13-Jähriger Amok. Wie ist das zu erklären?

Vor den 2000er Jahren gab es kaum Amokläufe an Schulen, die Täter waren meist zwischen 25 und 40 Jahre alt. Doch dann wurden die Täter immer jünger; heute werden viele Anschläge gar von Minderjährigen durchgeführt. Dafür gibt es einen Grund: das Internet. Ich habe das am eigenen Leib zu spüren bekommen. Seit vielen Jahren werde ich bedroht, viele Drohungen kommen per Telefon. Die Anrufer werden immer jünger. Es ist eine neue Generation des Hasses.

Gibt es eine neue Welle des Frauenhasses oder ist Misogynie wegen des Internets einfach nur sichtbarer?

Natürlich gibt es Phänomene wie Doxxing (Veröffentlichen von Informationen einer Person), die jetzt viel leichter sind. Aber ich glaube auch, dass die Dinge mit dem Internet wahrnehmbarer sind.

Der 13-jährige Schüler, der im März einen Amoklauf in São Paulo verübte, kündigte seine Tat auf dem Blogging-Dienst Twitter an, der jüngst vom Milliardär Elon Musk übernommen wurde. Hat das irgendeinen Einfluss?

Auf jeden Fall. Elon Musk wird von diesen Gruppen als Verbündeter betrachtet, gar als Held gefeiert – auch weil nun weniger Nutzer wegen Hassbotschaften gesperrt werden. Die Unterschiede kann man schon sehen. Sie haben Nutzern den blauen Haken zur Verifizierung weggenommen, dafür muss man jetzt bezahlen. Vor ein paar Wochen habe ich gesehen, dass die größte Neonazi-Gruppe der USA nun einen blauen Haken hat. Twitter hilft solchen Gruppen, ihren Hass zu verbreiten.

Zurück nach Brasilien. Welchen Einfluss hatte die Regierung des ultrarechten Ex-Präsident Jair Bolsonaro auf die maskulinistische Szene?

2009, als Bolsonaro noch als unbekannter Abgeordneter im Kongress saß, war er bereits der Held dieser Gruppen. Und die Maskulinisten sind immer noch ganz klar Pro-Bolsonaro. Dieser hat ihnen auch etwas vorgelebt, indem er regelmäßig Frauen und Journalisten beschimpfte. Sein Versprechen, die Waffengesetze zu liberalisieren, kam ebenfalls gut an bei ihnen.

Wie beurteilen Sie die Reaktion des brasilianischen Staates auf die jüngste Welle der Gewalt an den Schulen?

Früher hat sich niemand dafür interessiert, was im Netz passiert. Meine Anzeigen wurden einfach ignoriert und die Polizeibehörden der einzelnen Bundesstaaten haben nicht miteinander kommuniziert. Nun greifen Polizei und Geheimdienste endlich durch, in den letzten Monaten hat es viele Hausdurchsuchungen gegeben. So konnten etliche Amokläufe verhindert werden. Aber die Arbeit der Polizei ist eine Sache, wir brauchen auch kontinuierliche Arbeit in den Schulen. Menschenrechtsunterricht wäre beispielsweise gut, um den Hass nachhaltig zu bekämpfen.

Seit Langem sind Sie Feindbild der Antifeministen. Wie ist es heute für Sie?

Ich werde seit 13 Jahren bedroht. Mein Rekord war es, drei Wochen lang keine Morddrohung zu erhalten. Ich bin in einem Schutzprogramm des Bundesstaates. Gewisse Dinge sind leichter für mich, wie Anzeigen zu stellen und einen Therapieplatz zu bekommen. Aber ich erhalte keinen Polizeischutz. Und ich muss Ihnen sagen, ich habe mich an die Drohungen gewöhnt und versuche, darüber zu lachen.

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Lola Aronovich ist Literatur-Professorin an der Bundesuniversität von Ceará, Bloggerin und feministische Aktivistin. Sie beobachtet antifeministische Gruppen im Netz und wird deswegen bedroht. Ein Gesetz gegen Hass im Netz (Lei Lola) trägt ihren Namen. Mit ihr sprach Niklas Franzen.

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