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Griechenland vor der Wahl: Die alte Dynastie der Konservativen
Die rechtskonservative Nea Demokratia bei der Parlamentswahl in Griechenland wieder stärkste Partei werden. Das liegt auch an der schwachen Opposition
Die politische Landschaft Griechenlands ist von Korruption und Vetternwirtschaft durchzogen. Um Leser*innen, die die aktuellen Geschehnisse im Land nicht aus der Nähe verfolgen, eine Vorstellung der amtierenden Mitsotakis-Regierung zu vermitteln, sei vorab eine Anekdote erlaubt. Nur wenige Tage bevor bei dem verheerenden Zugunglück in der Gemeinde Tembi Anfang März dieses Jahres 57 Menschen ums Leben kamen, meldete sich im Parlament Verkehrsminister Kostas Karamanlis von der rechtskonservativen Regierungspartei Nea Demokratia (ND) zu Wort. Auf eine Frage der Opposition nach der Sicherheit im Schienenverkehr antwortete er: »Ich schäme mich dafür, dass Sie Sicherheitsfragen aufwerfen und möchte, dass Sie diese sofort zurücknehmen. Eine Schande ist das! Wir sind diejenigen, die die Sicherheit im Schienenverkehr gewährleisten.«
Zwar musste der Verkehrsminister kurze Zeit später seinen Hut nehmen, an einer erneuten Kandidatur bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag hindert ihn das jedoch nicht. Immerhin gehört Karamanlis einer wahrhaftigen Dynastie konservativer Politiker an. Er ist nicht nur der Neffe des sogenannten Führers der Nation, dem zweimaligen Premierminister und späteren Staatspräsidenten Konstantinos Karamanlis. Sondern er ist ebenfalls der Cousin seines Namensvetters, der das Land von 2004 bis 2009 regiert hat. Als Rechtfertigung der erneuten Kandidatur von Kostas Karamanlis sagte einer der bedeutendsten ND-Parteifunktionäre nur: »Das griechische Parlament kann nicht zum ersten Mal seit 1974 ohne einen Karamanlis bleiben.«
Ein weiteres Beispiel für Vetternwirtschaft gefällig? Der amtierende Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis ist der Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten und ND-Ehrenpräsidenten Konstantinos Mitsotakis; der Neffe des Ministerpräsidenten ist Bürgermeister von Athen und die Frau des Bürgermeisters wiederum ist eine berühmte Moderatorin eines privaten Fernsehsenders. Die im Übrigen keine Skrupel hat, am Fernsehduell der zur Wahl stehenden Kandidaten teilzunehmen und dort ihrem Onkel Fragen zu stellen.
Politik für das eigene Klientel
Das griechische Volk hatte im Jahr 1974 mit einem Referendum über die künftige Staatsform entschieden, die Glücksburg-Dynastie loszuwerden und der Monarchie ein Ende zu setzen. Was folgte, waren Politiker-Dynastien. In den 49 Jahren der Dritten Griechischen Republik stammten nur zwei Ministerpräsidenten aus Familien, die nicht zu den drei Politiker-Dynastien von Karamanlis, Mitsotakis und Papandreou gehörten. Namentlich der Sozialdemokrat Kostas Simitis (1996 bis 2004) und der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras (2015 bis 2019).
Nach dem Ende der Militärjunta 1974 entwickelte sich die Nea Demokratia schnell zu einer konservativen Partei, die Facetten eines dynamischen liberalen Reformismus und einer pro-europäischen Ausrichtung hatte ‒ zumindest in den ersten vier Jahren, in denen sie das Land regierte. Doch da sie sich als wenig wandlungsfähig zeigte, wurde sie allmählich vom Schwung der sozialdemokratischen Partei Pasok und deren späteren Ministerpräsidenten Andreas Papandreou an den Rand der politischen Bedeutungslosigkeit gedrängt.
Als die ND von 1991 bis 1994 zum zweiten Mal das Land regierte, war der Vater von Kyriakos Mitsotakis Parteivorsitzender. Damals versuchte die Regierung zum ersten Mal nach dem Ende der Militärjunta, im Land ein hartes Privatisierungsprogramm neoliberaler Ausrichtung durchzusetzen. Doch damals war die Zeit dafür noch nicht reif: Sowohl wegen der politischen Umstände, als auch wegen der grassierenden Korruption der Regierung, die ausschließlich ihren eigenen Klientel Versprechungen machte.
Als die Nea Demokratia dann zum dritten Mal von 2004 bis 2009 regierte, war es der Neffe von Konstantinos Karamanlis, der den Posten als Parteivorsitzender inne hatte. Es war die Zeit der fiskalischen Entgleisungen, für die das Land später einen so hohen Preis zahlen musste. Die vierte Amtszeit der Partei fiel in die Zeit der Memoranden. Damals regierte die Nea Demokratia im Rahmen der Koalitionsregierung mit der Pasok und der linksgerichteten Demokratiki Aristera, Ministerpräsident war der ND-Vositzende Antonis Samaras. Bei diesem handelte es sich um einen Vertreter der Alt-Right-Bewegung, der keinen Hehl aus seinen feindlichen Positionen gegenüber Migrant*innen und den Rechten der LGBT-Gemeinschaft machte und überdies eine anti-türkische Rhetorik bediente. Er war auch derjenige, der Mitsotakis Senior im Zuge der Namensfrage um die Region Nord-Mazedonien gestürzt und das griechische Staatsfernsehen dichtgemacht hatte. Ein Politiker, der eine harte ideologische Sprache benutzte, vergleichbar mit dem einstigen bayerischen CSU-Politiker Franz Josef Strauß.
Von 2012 bis 2015 regierte Samaras Griechenland mit harter Hand, bevor er von Syriza besiegt wurde. Und dennoch gelang es der ND in dieser Regierungsperiode nur selten, ihre Ziele umzusetzen. Zum einen, weil sie von ihren Koalitionspartnern eingehegt war. Zum anderen, weil die berüchtigte Troika es ihr unmöglich machte, ihre altbekannten Methoden der Günstlingswirtschaft anzuwenden, die das Land in ein Desaster gestürzt hatten.
Die amtierende Regierung von Kyriakos Mitsotakis kann sich auf die Fahnen schreiben, die erste rechte Regierung des Landes zu sein, die das traditionelle Klientelsystem des griechischen Konservativismus offen mit einer neoliberalen Ausrichtung verbunden hat. Der Ministerpräsident verkörpert damit gewissermaßen Viktor Orbán und Emmanuel Macron in einer Person.
Der Weg in die illiberale Demokratie
Unter Kyriakos Mitsotakis offenbart sich das korrupteste Gesicht, das die ND in den Jahren der Dritten Griechischen Republik je gezeigt hat. Günstlingswirtschaft und unendliche Geldmengen flossen während der Pandemie in die Hände der eigenen Leute, Geschäfte wurden zugunsten von privaten anstatt des öffentlichen Interesses gemacht. Vor Monaten wurde dann bekannt, dass griechische Geheimdienste die Telefone mehrerer Politiker, Journalisten und Geschäftsleute abgehört haben – nachdem Mitsotakis bereits zu Beginn seiner Amtszeit die Geheimdienste per Gesetz unter seine Leitung gestellt hatte. All das steht für ein ständiges Abgleiten in Methoden einer autoritären Republik.
In dem jüngsten Bericht des Pega-Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments heißt es dazu: »Die Enthüllungen betreffend die Benutzung von Überwachungs-Software und die Spionage gegen Journalisten vom griechischen nationalen Geheimdienst zeichnen ein sehr beunruhigendes Bild, das sich aus einem komplizierten und undurchsichtigen Beziehungsnetz, aus politischen und unternehmerischen Interessen, aus Begünstigung und Nepotismus (Vetternwirtschaft, Anm. d. Red.), sowie aus politischem Einfluss zusammensetzt.«
Die moderne Politikwissenschaft beschreibt fünf Schritte, die zu dem führen, was als »illiberale Demokratie« bezeichnet werden kann: ein Verlust der Kontrolle über den Geheimdienst, die Aushebelung der parlamentarischen Kontrollfunktionen, eine Schwächung der unabhängigen Mandatsträger*innen, ein Mangel an Pluralismus im Medienbereich und die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz. Die scheidende griechische Regierung hat all das exemplarisch umgesetzt. Diese Regierung hatte einen Plan und hat ihm auch Taten folgen lassen. Das Problem ist, dass dieser Plan schlecht für die Demokratie im Allgemeinen und für die konkrete Situation der Arbeitnehmer*innen im Land ist.
Im Bereich der öffentlichen Verwaltung hat sie sich als inkompetent erwiesen. Obwohl sie mit dem Versprechen gewählt wurde, in Verwaltungseffizienz und Sicherheit zu investieren, versagte sie in beiderlei Hinsicht kläglich. Dieses Scheitern wird die Nea Demokratia auch am Wahltag zu spüren bekommen.
Dennoch ist es möglich, dass die Partei auch nach der Wahl weiter regieren kann. Das wäre in erster Linie ein Zeichen der Schwäche der Opposition. Die Opposition in Griechenland – allen voran Syriza – braucht niemanden davon zu überzeugen, dass die regierende Partei korrupt ist, wie sie nicht müde wird zu betonen. Landauf, landab ist das hinlänglich bekannt. Trotzdem dürfte ein großer Teil der Bevölkerung dazu geneigt sein, der Partei seine Stimme zu geben. Aus der schlichten Hoffnung heraus, dass am Ende auch für sie noch ein kleines Stück vom Kuchen abfallen möge. Syriza hat bislang nicht überzeugend dargelegt, dass sie es besser machen kann.
Die Streitfrage in Griechenland ist also nicht, ob die Rechte korrupt ist oder nicht. Dies ist eine unbestreitbare Tatsache. Das Problem ist die programmatische Unzulänglichkeit und Unglaubwürdigkeit der Linken, die es der Rechten erlaubt, nach diesen katastrophalen vier Jahren erneut die Macht für sich zu beanspruchen. Die kommenden Jahre werden nicht einfach für das Land sein. Die Linke muss ein Programm zusammenstellen, nicht nur, um Wahlen zu gewinnen, sondern auch, um dieses Land regieren zu können. Das kann ihr nur gelingen, indem sie Erwartungen sowohl in Griechenland selbst als auch im Rest Europas weckt. Dass die Nea Demokratia die Macht in Griechenland verliert, ist zwar eine notwendige, aber keine ausreichende Voraussetzung, um Hoffnung zu schöpfen.
Dimitris Christopoulos ist Professor für Politikwissenschaft an der Panteion-Universität in Athen und Dekan der politikwissenschaftlichen Fakultät. Übersetzung: Pelagia Tsinari, vermittelt durch das Griechenland-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
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