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  • Abhängigkeit: G7 versus Globaler Süden

Tadschikistan: Arbeiten im Ausland ist überlebensnotwendig

Tadschikistan ist abhängig von den Rücküberweisungen der Arbeitsmigranten im Ausland

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Viele Tadschiken arbeiten in Russland auf dem Bau oder in der Landwirtschaft.
Viele Tadschiken arbeiten in Russland auf dem Bau oder in der Landwirtschaft.

Ein Großteil der Tadschiken arbeitet im Ausland. Das kleine Land in Zentralasien – eingeklemmt zwischen Afghanistan im Süden, Kirgistan im Norden, Usbekistan im Westen und China im Osten – und von der Fläche etwas größer als Griechenland, entsendet jedes Jahr Zehntausende Arbeitsmigranten in die Welt, vor allem nach Russland. Von den über drei Millionen Tadschiken, die im Ausland arbeiten, sind rund 90 Prozent in Russland. Ein Grund dafür ist die Visafreiheit, dazu kommt, dass man sich von früher kennt und viele Tadschiken noch immer die russische Sprache beherrschen. Die meisten arbeiten entweder im Dienstleistungssektor, im Baugewerbe oder in der Landwirtschaft, wo sie oft schlecht bezahlte körperliche Arbeit verrichten.

Das Geld, das die im Ausland arbeitenden Tadschiken nach Hause schicken, machte 2022 etwa 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, in früheren Jahren waren es sogar bis zu 50 Prozent. Tadschikistan lag mit diesem Anteil an der Weltspitze. Ohne diese Rücküberweisungen wäre die ökonomische Situation noch dramatischer. Studien belegen, dass das Geld der Migranten dem heimischen Wirtschaftskreislauf zugutekommt und direkt den Familien der Arbeitsmigranten, die sich damit Essen kaufen können: Nach Angaben des Welternährungsprogramms waren Ende 2022 etwa 30 Prozent der Bevölkerung Tadschikistans als »mäßig ernährungsunsicher« eingestuft (2021: 20 Prozent), während sich der Anteil der akut von Ernährungsunsicherheit Betroffenen auf 8,6 Prozent mehr als verdoppeln könnte. Mit 18 Prozent unterernährter Kinder unter fünf Jahren hat Tadschikistan die höchste Unterernährungsrate in der Region Europa und Zentralasien.

Tadschikistan war immer das Armenhaus der Sowjetunion, lieferte und liefert vor allem Agrarprodukte, Aluminium, Strom und Wasser: Das Land hat einen großen Anteil am Pamir-Gebirge mit zahlreichen Gletschern und Wasserläufen, die zur Stromerzeugung genutzt werden und die großen Flüsse Zentralasiens speisen, deren Wasser wiederum für die Landwirtschaft genutzt wird. Die Auflösung der Sowjetunion und die plötzliche Unabhängigkeit stellten das Land vor schwere wirtschaftliche Probleme. Bis heute ist Tadschikistan das ärmste Land auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Der Asian Development Bank zufolge lebten 2019 über 26 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze. Von 1000 Neugeborenen sterben 31 im Verlauf der ersten fünf Lebensjahre. Weit über zwei Drittel der Bevölkerung lebt weiterhin auf dem Land, die Landwirtschaft beschäftigt noch immer einen Großteil der arbeitenden Menschen. Außer Zentralasiens größter Aluminiumhütte in Tursunzoda gibt es nur wenig Industrie.

Der Rückfluss eines Teils des Lohns tadschikischer Arbeitsmigranten ist somit überlebenswichtig für das Land, insbesondere seit den 2000er Jahren. Seitdem steigt auch das Bruttoinlandsprodukt wieder, das nach dem Ende der Sowjetunion abgestürzt war. Im Jahr 2019 beliefen sich die Überweisungen aus Russland auf mehr als 2,6 Milliarden Dollar, berichtete die Nachrichtenwebseite Eurasianet – etwa das Dreifache des Wertes aller anderen tadschikischen Exporte.

Laut Radio Free Europe/Radio Liberty wurden 2021 mehr als drei Millionen tadschikische Bürger offiziell in Russland registriert – ein Rekord. Nach Angaben des russischen Innenministeriums gaben fast 2,5 Millionen tadschikische Staatsangehörige »Arbeit« als Grund für ihre Einreise nach Russland an. Eine gewaltige Zahl, die etwa einem Viertel der Gesamtbevölkerung Tadschikistans entspreche. Während die Mehrheit der Migranten Saisonarbeiter ist, sucht eine wachsende Zahl von Tadschiken nach einer dauerhaften Niederlassung in Russland: Im Jahr 2021 erhielten knapp über 100 000 tadschikische Bürger die russische Staatsbürgerschaft.

Die hohe Arbeitsmigration bringt aber nicht nur Vorteile mit sich. Nicht nur ungelernte Hilfsarbeiter verlassen das Land, sondern auch Fachkräfte. So berichtet Radio Free Europe/Radio Liberty von einem jungen Ärzte-Ehepaar, das im Sommer 2021 seine Arbeit in einem Dorfkrankenhaus in der nördlichen Provinz Sughd in Tadschikistan aufgegeben hat und nach Russland gezogen ist. Beide arbeiten jetzt in einem Bezirkskrankenhaus in der russischen Region Perm, wo der Familie auch eine subventionierte Wohnung und finanzielle Unterstützung angeboten wurde. Mit jeweils etwa 1200 Dollar pro Monat sei ihr Gehalt fast viermal so hoch wie das, was sie in Tadschikistan verdienten.

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