Ein Narrenteller und das »Tödlein«

Museyroom (Teil 5): Die Ambraser Sammlung in Innsbruck

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 6 Min.
Zwischen Spätgotik und Renaissance: Das »Tödlein« von Hans Leinberger, um 1520
Zwischen Spätgotik und Renaissance: Das »Tödlein« von Hans Leinberger, um 1520

Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Dieses Jahr stellen wir jeden Monat eins vor, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.« nd

Das Schloss Ambras liegt am Stadtrand von Innsbruck. Kaiser Ferdinand I. überschrieb es einst seinem zweitgeborenen Sohn Erzherzog Ferdinand II. (1529–1595) und ernannte ihn zum Regenten von Tirol. Dieser ließ die mittelalterliche Burganlage ab 1564 in ein Renaissanceschloss umwandeln. Noch vor Beginn der Bauarbeiten übertrug der Erzherzog die Herrschaft über Ambras seiner Gattin, Philippine Welser (1527–1580), genannt »die schöne Welserin«.

Die Augsburger Kaufmannstochter machte aus dem Schloss ein Zentrum höfischer Geselligkeit. Damals wurde das Unterschloss zur Aufstellung der Ambraser Sammlung errichtet: Die Kunst-, Wunder- und Rüstkammern bildeten das erste Museum der Welt. Es ist an seinem ursprünglichen Ort erhalten geblieben. Johann Wolfgang von Goethe stattete Ambras 1790 einen kurzen Besuch ab und nahm lediglich die Abschrift eines Gedichts von Wolfram von Eschenbach wahr sowie eine einzige Bronze, über die er in seine »hirnern Spießertagebücher« (Jakob Haringer) notierte: »Eine kleine Figur mit eingelegten silbernen Augen und mannigfaltigen, sehr einfach herabhängenden, fürtrefflich studirten Falten.«

1565 schrieb der belgische Gelehrte Samuel Quiccheberg, der als Gründer der Museumswissenschaft gilt, in seinem Traktat »Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi«, eine ideale Sammlung sollte das gesamte Wissen über die Zusammensetzung des Kosmos repräsentieren und sich gliedern in die Kategorien Artificialia, Naturalia, Scientifica und Antiquitates. In der Ambraser Kunst- und Wunderkammer ist dieses breit gefächerte Universum mit allerlei Hervorbringungen der Welt vertreten, einschließlich diverser Kuriosa, die den Blick freigeben auf das Andere, auf das Abstruse, Abtrünnige, Ausgestoßene und von der Norm Abweichende. Die Kunst- und Wunderkammer diente nicht nur der Befriedigung der Sensationslust, sondern war auch als Studiensammlung gedacht, mit der die belebte und unbelebte Natur erforscht werden sollte.

Beim Gang aus dem Ticketshop in die erste Rüstkammer fällt der Blick auf eine 2,60 Meter große Holzgliederpuppe in rot-weißer Landsknechttracht, die umgeben ist von Knabenharnischen. Mittels Kugelgelenken und Scharnieren war die Figur an Arm- und Beingliedern beweglich. Ein im Brustkorb verborgener Aufziehmechanismus ließ Kopf, Schultern und Arme in verschiedene Positionen bringen. Die riesige Puppe stellt Bartlmä Bon aus Riva am Gardasee dar. Von diesem ist nur bekannt, dass er 1560 beim »Wiener Turnier« als »wilder Mann« auftrat. Vorbei an prächtig glänzenden Rüstungen gelangt man in die Kunst- und Wunderkammer. In deren mehr als zwanzig Schrankvitrinen sind Objekte u. a. aus den Bereichen Silber, Stein, Musikinstrumente, Messgeräte und Automaten, Korallen, Bronzen, Perlmutt, Glas und Ton, Bücher sowie Asiatika ausgestellt.

Vermutlich aus Italien stammende Früchte aus Marmor – zwei Äpfel und eine Birne – wurden bereits im Nachlassinventar von Ferdinand II. aus dem Jahr 1596 erwähnt. Die naturalistische Darstellung der Früchte ist typisch für den Illusionismus der Spätrenaissance und des Manierismus. Naturalistisch gestaltet ist auch die Landschaft mit Bäumen, Blumen und Tieren in einer nach 1575 entstandenen Gebirgsszene, die auf vier hölzernen Kugeln ruht und von einem burgähnlichen Gebäude aus Elfenbein gekrönt wird. Das obere Drittel des Objekts gibt nach dem Aufklappen eine Sonnenuhr mit Kompass frei.

Ebenfalls im Inventar von Ferdinand von 1596 erwähnt ist »ain instrument von glaszwerch«. Dieses Glasglockenklavier besteht aus einem kastenartigen Holzgehäuse mit vorspringender Klaviatur und abnehmbarem Deckel. Als Klangkörper dienten im Inneren des Instruments angebrachte schalenförmige Gläser (»Glocken«). Die Tonerzeugung erfolgte mittels filzbezogener Klöppel über die in Schwingung versetzten Gläser.

In der Buchvitrine ist u. a. eines der drei Ambraser Trinkbücher zu sehen. Ferdinand II. hielt in seiner künstlich angelegten Bacchusgrotte eine besondere Trinkzeremonie ab. War diese beendet, trugen sich die Teilnehmer in ein Gästebuch ein. Die drei Ambraser Trinkbücher stellen mit mehr als 950 verzeichneten Personen aus regierenden Häusern, altem und neuem Adel, geistlichen Herren und Bürgerlichen eine bedeutende historische Quelle dar und zeugen von der Internationalität der Besucher am Hofe von Ferdinand.

Flankiert werden die Schrankvitrinen von frei stehenden Objekten und von Gemälden. Ein Objekt, das auf die Trinkbücher verweist, ist der »Fangstuhl«. Auf diesem wurde der Gast mithilfe verborgener Federmechanismen und Seilzüge gefesselt. Die Fesseln wurden erst wieder gelöst, wenn der Kandidat die Trinkprobe absolviert hatte, die im zügigen Austrinken eines »vässleins mit vier geschmeltzten raiflen« aus dem besonders zarten und transparenten Murano-Glas mit einer Füllmenge von 0,6 Liter Wein bestand. Das Trinkgefäß wurde »Willkumb« genannt. Das Willkommensgefäß für Damen war »ain Cristallin glass wie ein Schliff« mit 0,22 Liter Fassungsvermögen.

Gezeigt wird auf Schloss Ambras auch, welche Tiere als »Wunder der Natur« in die Kunstkammern gelangten: ein Lama, das für einen »Bastard einer Hirschkuh« gehalten wurde, ein weißes Hündchen ohne Vorderbeine oder das Ambraser Schwein von außergewöhnlicher Größe.

Auf einem weiteren Gemälde ist der riesengroße Bartlmä Bon neben dem kleinwüchsigen Thomele zu sehen. Dieser diente zusammen mit fünf weiteren »Hofzwergen« Ferdinand II. am Ambraser Hof. Thomele war angeblich 65 Zentimeter klein und gezwungen, die Gesellschaft mit Tänzen, Grimassen, Späßen und Witzen zu unterhalten. Auf einer Hochzeit musste er zur Belustigung der Gäste einmal beim Mittagsmahl aus einer Pastete springen. Gelang es ihm nicht, das höfische Publikum zum Lachen zu bringen, setzte es Ohrfeigen und Fußtritte.

Mittels eines Films des Narrenforschers Werner Mezger wird derzeit ein Objekt besonders in den Fokus gerückt: der hölzerne Narrenteller mit einem Durchmesser von knapp 80 Zentimetern, signiert: Bertel Kesselschmid, datiert: 1528. Die komplexe Bildwelt und die Mond- und Bibelbezüge des Narrentellers verweisen auf Augsburg, eine Zeichnung von Jörg Breu d. J. (1510–1547), die wohl als Vorlage für den Teller gedient hat, wird in Weimar aufbewahrt. Auf dem Boden des Tellers ist eine Matrone mit ausgestreckten Armen, Eselsohren und einer Kette mit einem Anhänger in Form eines Narrenkopfes aus Gold und Silber zu sehen. Sie wird von ihren sieben Söhnen umtanzt. Die Szenerie des Tellerbodens gilt dem Ursprung und der Ausbreitung der Narretei, während die am Tellerrand umlaufenden acht Szenen sich mit den vergeblichen Versuchen der Beseitigung aller Narretei beschäftigen.

Ein besonders fein gearbeitetes Exponat ist die aus Birkenbaumholz geschnitzte Skulptur das »Tödlein«, die im Inventar von 1596 als »Todt mit seinem bogen und köcher, gar khunstlich von holz geschniczlt« beschrieben wird. Rippen und Knochen liegen teilweise frei, Haut und Kleidungsreste hängen in Fetzen am Skelett. Wegen des ausladenden Kontraposts sowie der dynamischen Körperdrehung wird die Figur dem Landshuter Bildschnitzer Hans Leinberger (ungefähr 1470–1530) zugeschrieben, der zu den führenden Holzbildhauern an der Wende der Spätgotik zur Renaissance in Niederbayern zählte.

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