Hatti Ayo – Elefanten kommen

Lebensraumverluste führen in Asien immer häufiger zu Konflikten zwischen Menschen und Elefanten

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 5 Min.
Sowohl Menschen als auch Elefanten sind durch engeres Zusammenleben unfallgefährdet.
Sowohl Menschen als auch Elefanten sind durch engeres Zusammenleben unfallgefährdet.

Die Schüler im malaysischen Sabah auf Borneo staunten nicht schlecht, als plötzlich ein Elefant durch ihre Schulkantine spazierte. In der kambodschanischen Provinz Mondulkiri sind die Bauern schlecht auf wilde Elefanten zu sprechen, weil sich die Dickhäuter gerne über die Bananen-, Mango- und Cashewplantagen hermachen. In Nepal statten in der Paarungszeit wilde Elefantenbullen immer öfter zahmen Elefantendamen in den Dörfern Besuche ab und versetzen die Menschen in Panik. Einem liebestollen Elefanten kommt man besser nicht in die Quere.

Es vergeht kaum eine Woche ohne Berichte in den Medien der asiatischen Elefantenländer über nicht glimpflich und mitunter sogar tödlich verlaufende Konflikte zwischen Mensch und Elefant. Mal werden Elefanten beim Eindringen auf Felder und Plantagen von aufgebrachten Bauern getötet. Mal werden Menschen von den mächtigen Tieren zu Tode getrampelt.

Spitzenreiter bei solchen Konflikten ist Indien. In den vergangenen drei Jahren seien exakt 299 964 Mensch-Elefanten-Konflikte registriert worden, teilte im März 2023 Bhupender Yadav, Minister für Umwelt, Klima und Wald, dem indischen Parlament mit. 1500 Menschen seien durch Elefantenattacken ums Leben gekommen, während 41 Elefanten durch Zugunfälle, 198 durch Elektroschocks, 27 durch Wilderer und acht durch Vergiftung den Tod gefunden hätten.

Unter Umwelt- und Elefantenexperten ist die Ursache für Mensch-Elefanten-Konflikte seit langem eindeutig: der zunehmende Verlust des Lebensraums der Elefanten. Für die Tiere sind die Felder und Plantagen der Bauern ein mehr als willkommener Ersatz für den Verlust ihrer Nahrungsquellen in der Wildnis.

Kolonialzeit veränderte die Landnutzung

Wie drastisch der Lebensraumverlust des asiatischen Elefanten (Elephas maximus) ist, zeigen Wissenschaftler der University of California San Diego in einer im Fachjournal »Scientific Reports« veröffentlichten Studie. Anhand von Landnutzungsdaten 13 asiatischer Elefantenländer errechneten sie den Habitatrückgang seit dem Jahr 850 bis zum Jahr 2015. Ab 1500 sei der Lebensraum des größten asiatischen Landtieres mit der allmählichen Änderung der Landnutzung durch den Menschen immer kleiner geworden, so die Studie. Mit dem Beginn der Kolonialzeit ab 1700, so die Forscher um Leitautorin Shermin de Silva, habe sich die Landnutzung weiter verändert und der Habitatverlust der Elefanten beschleunigt. Der für Elefanten geeignete Lebensraum sei in den vergangenen 300 Jahren um zwei Drittel geschrumpft und habe 2015 nur noch insgesamt 3,36 Millionen Quadratkilometer betragen. Die durchschnittliche Fläche eines geeigneten Lebensraums sei von 99 000 Quadratkilometern auf 16 000 gesunken und diese Lebensräume seien zudem oft zu weit voneinander entfernt.

In jüngerer Vergangenheit kommen das Bevölkerungswachstum und damit einhergehender Flächenbedarf als weitere Ursachen hinzu. Auf keinem Kontinent leben mehr Menschen als in Asien. Indien hat gerade mit 1,4 Milliarden Einwohnern China den Rang als bevölkerungsreichstes Land der Welt abgelaufen.

Die Wissenschaftler von der University of California San Diego nutzten für ihre Forschung den von Kollegen der University of Maryland erstellten Datensatz »Land-Use Harmonization 2«. Dieser lieferte historische Rekonstruktionen der menschlichen Landnutzung in den bekannten Lebensräumen von Elefanten zurück bis ins neunte Jahrhundert.

Wie immer beim Niedergang der Umwelt und der Artenvielfalt kommt der Klimawandel auch beim Verschwinden der Elefantenwelt als zusätzlicher Verdächtiger in Frage. Aber das, so die Forscher aus San Diego, könne zum jetzigen Zeitpunkt wissenschaftlich noch nicht belegt werden.

Der Elephas maximus war einst in allen Regenwäldern und im Grasland Asiens heimisch. Im Jahr 2019 wurde die Wildpopulation jedoch nur noch auf 48 323 bis 51 680 Individuen geschätzt. Gut die Hälfte davon entfällt auf Indien. Für die anderen rund ein Dutzend Staaten, in denen der asiatische Elefant beheimatet ist, schwanken die Daten: In China, Vietnam und Bangladesch soll es zwischen 70 und 250 Individuen geben, bis zu 2500 und 5000 in Sri Lanka, Myanmar oder Thailand. Der internationale Naturschutzverband IUCN stuft die Art daher als bedroht ein.

Bienen und Elefanten-Apps

Es gibt viele Initiativen, die mit allerlei Methoden den Zusammenprall von Elefanten und Menschen zu vermeiden suchen. Immerhin symbolisiert der Elefant im Buddhismus Glück, Stärke, Fleiß und Intelligenz, während im Hinduismus der Elefantengott Ganesha sehr populär ist. Die indigenen Einwohner von Sabah haben so großen Respekt vor Elefanten, dass sie die grauen Riesen »Nene« – »Großmutter« – nennen.

In Thailand machte sich eine Wissenschaftlerin die Angst der großen Elefanten vor kleinen Bienen zunutze. In einem Pilotprojekt stellte sie rund um eine bei Elefanten beliebte Ananasplantage 40 Bienenstöcke auf, um die Tiere von den süßen Früchten fernzuhalten. In Nepal setzen Elefantenschützer auf eine von einem Landsmann in Frankfurt entwickelte App. Wer eine Elefantenbewegung entdeckt, drückt auf der App einen Knopf mit der Aufschrift »Hatti Ayo!«. In Windeseile geht dann diese »Elefanten kommen«-Warnung über die App und per SMS an die Dorfbewohner und die Polizei. Die Menschen können sich so in Sicherheit bringen oder frühzeitig mit viel Lärm die Elefanten vertreiben, etwa durch Trompetenstöße oder Trommeln auf Blechgegenständen.

Die Wissenschaftler aus San Diego sehen ihre Arbeit nicht nur als Bestandsaufnahme, sondern auch als einen Baustein für eine zukünftige ökologische und soziale Politik. »Wir verwenden Elefanten als Indikatoren, um die Auswirkungen von Landnutzungsänderungen auf die verschiedenen Ökosysteme zu untersuchen«, sagt de Silva und betont: »Damit wir eine gerechtere und nachhaltigere Gesellschaft aufbauen können, müssen wir die Geschichte verstehen, wie es so weit kommen konnte. Diese Studie ist ein Schritt hin zu diesem Verständnis.«

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