Rechtes »Bullshit-Bingo«

Angeklagter mit dubiosen Aussagen beim Prozess gegen die »Vereinten Patrioten«

  • Joachim F. Tornau, Koblenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Um zu erklären, wie er wurde, was er ist, hat Sven B. in der Untersuchungshaft 98 Seiten gefüllt, engbedruckt und, das darf man ohne Übertreibung sagen, mit sehr viel Liebe zum Detail. Wie aufregend das Kleid war, das seine Frau beim Polterabend getragen hat, beschreibt der 55-Jährige darin genauso wie seine Liebe zu Russland und seine Verachtung der Bundesrepublik Deutschland.

Der Buchhalter aus Falkensee bei Berlin ist einer der fünf Angeklagten, denen seit einer Woche vor dem Oberlandesgericht in Koblenz der Prozess gemacht wird, wegen Hochverrats und Terrorismus. Als »Vereinte Patrioten« sollen die vier Männer und eine Frau den Umsturz geplant haben, unter anderem mit Sprengstoffanschlägen auf die Stromversorgung des Landes und einer Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Ihr Ziel war laut Bundesanwaltschaft die Absetzung der Bundesregierung und die Rückkehr zur Verfassung des Kaiserreichs von 1871, wenn auch mit einem nichtadligen Führer statt dem Kaiser.

Die ersten beiden Verhandlungstage nach Verlesung der Anklage gehörten fast vollständig Sven B. Insgesamt sechs Stunden lang liest er, deklariert als »Einlassung zur Person«, seine Lebensgeschichte vor. Sie handelt von der DDR, die zu verklären er nicht müde wird, von seiner glücklichen Zeit als NVA-Soldat, seiner Arbeit in Russland, seinem späteren Wechsel in den Finanzsektor, seinem Privatleben. Vor allem aber: von seiner immer stärker wachsenden Entfremdung von der Bundesrepublik.

Der Mann, der sich seiner antikapitalistischen Prägung rühmt und zur Jahrtausendwende mal FDP-Mitglied war, will kein »Reichsbürger« sein, nicht einmal ein Rechter. Doch was er da mit der süffisanten Selbstgefälligkeit des Besserwissenden vorträgt, streift so verlässlich ein rechtes Propagandastichwort nach dem anderen, dass man »Bullshit-Bingo« spielen möchte. Vom alliierten Bombenangriff auf Dresden 1945 – für den Angeklagten einer von vielen »Genoziden« der USA – und von einer den Deutschen angeblich »befohlenen Nachkriegsdemut« bis zum vermeintlichen »Mord an Vögeln durch Windkraft«: Der rundgesichtige Brillenträger im karierten Hemd lässt nichts aus.

Er ist gegen die EU, den Euro, eine liberale Geflüchtetenpolitik und die Unterstützung der Ukraine. Der Vater eines Sohnes beklagt das Verbot, Kinder zu schlagen (»Hat es mir geschadet?«), und behauptet, dass man »die Wahrheit« ja nicht mehr sagen dürfe. Er raunt vom »Great Reset« und der »Neuen Weltordnung«.

Und während er Wladimir Putin bewundert, sieht er Deutschland spätestens seit der Pandemie als »Diktatur mit Zensur«. »Wenn etwas für mich logisch ist, dann stehe ich dazu«, sagt er. »Ich suche die Logik.«

B. ist Corona-Leugner und Impfgegner. Stundenlang redet er am Donnerstag über die Pandemiebekämpfung. Er zeichnet das Bild einer großen Verschwörung, einer gezielten Entrechtung und Unterjochung der Bevölkerung, einer »Gleichschaltung« wie im Nationalsozialismus. Ungebremst vom Gericht hetzt er dabei immer wieder auch gegen Karl Lauterbach, das mutmaßliche Entführungsopfer.

Konkret zum Anklagevorwurf wird sich der Brandenburger erst Mitte Juni äußern, wenn der Prozess fortgesetzt wird. Schon jetzt räumt sein Verteidiger ein, dass B. keinen anderen Ausweg mehr gesehen habe, als sein »Recht auf Widerstand« auszuüben – aber friedlich. »Herr B. wollte einen unblutigen Regierungswechsel, wie nach dem Mauerfall in der DDR.« Laut Bundesanwaltschaft soll sich der Angeklagte um die Beschaffung von Waffen und Sprengstoff bemüht haben, in großem Stil.

Gleichwohl ist von ihm offenbar mehr Geständigkeit zu erwarten als von seinen Mitangeklagten. So bescheinigt die Verteidigung von Thomas K., einem 51-jährigen Eisenbahner aus Landshut, der Anklage »wenig Substanz« – und wirft Lauterbach eine Missachtung des Gerichts vor, weil er sich »harte, gerechte Urteile« gewünscht habe. Und Elisabeth R., die der Gruppe die »Reichsbürger«-Ideologie geliefert und immer wieder zum Losschlagen gedrängt haben soll, bestreitet pauschal alle Vorwürfe und kündigt so etwas wie einen Schauprozess gegen den Staat an.

Weil die »Vereinten Patrioten« dank verdeckter Ermittler aufflogen, will sich die pensionierte Lehrerin und habilitierte Theologin aus Mainz, die zuletzt im sächsischen Flöha lebte, als Opfer einer Inszenierung des Verfassungsschutzes darstellen. »Sie beschloss die Aufdeckung dieses Betrugs sowie die Vorführung des dahinterstehenden okkult-politischen Systems«, trägt ihr Anwalt in seinem Eröffnungsstatement vor. Deshalb, sagt er, habe die 75-Jährige ihre Verhaftung »provoziert«.

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